Es ist ein ganz normaler Dienstagnachmittag. Dienstag ist der Tag nach Montag, also ist der Auflauf von Aufgaben vom Wochenende bereits mehrheitlich abgearbeitet und es bleibt ein wenig Luft, um sich Themen zu widmen, die etwas geringere Priorität haben. Wie der Besuch der Orga-Führungskraft, Bernhard nennen wir ihn einmal. Wenn Bernhard zu Besuch ist in der Agentur, dann ging es in den letzten Jahren meist nur um Vertriebsziele, um neue Kundenbetreuer oder um ein neues Computerprogramm aus der Hauptverwaltung. Das macht Bernhard schon seit 25 Jahren, er mag seine Vertreter gern.

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Seit ein paar Jahren jedoch hat Bernhard auch noch eine andere Aufgabe, mit der er auch an diesem Dienstagnachmittag vorstellig wird: Es geht um Digitalisierung bzw. digitale Transformation, um Themen wie Kundenbewertungen, Social Media und so ein neumodisches Zeugs, das sich Positionierung nennt. Muss Bernhard machen, hat der Regionalleiter ihm gesagt, kommt aus der Zentrale. Gab drei Tage Schulung, jetzt ist Bernhard in den Augen seiner AO-Leitung ein qualifizierter Berater für die Digital-Strategie eines stationären Vermittlers der Zukunft.

Sebastian Heithoff

Sebastian Heithoff

Sebastian Heithoff (*1986), aus Familientradition 2007 zur Kaufmanns-Lehre in die Assekuranz eingestiegen. Seit 2012 im Bereich (digitale) Kommunikation aktiv und in stetiger Weiterbildung, damit seit 2016 beratend im Versicherungsvertrieb tätig. Erst angestellt bis zur Teamleitung, danach als selbstständiger Unternehmensberater im AO- und Maklervertrieb. Schwerpunkt ist die „markanten Vertriebskommunikation“ – Vermittlermarken wirkungsvoll sichtbar und erlebbar zu machen.

Doof nur, dass Bernhard dieses Thema genau so wenig mag, wie der Inhaber unserer fiktiven Agentur: Beide sind sich irgendwie schon lange einig, dass dieses digitale Zeugs nix bringt. Niemand will hier Tierversicherungen über Facebook verkaufen, hier ist man auf Gewerbe spezialisiert. Das geht doch nur Auge in Auge, so wie vor 40 Jahren schon, als die Agentur vom Vater gegründet wurde! Und genau deshalb bleibt das Ergebnis der Digital-Strategie, die sich ein Versicherer für viel Zeit und Geld überlegt hat, schon in den Kinderschuhen stehen. Und weder Orga-Führungskraft, noch Vermittler, reichen mit den Finger überhaupt bis zur digitalen Türklinke.

Die Moral der Geschichte

Warum erzähle ich diese Geschichte, die sich so jeden Tag hunderte Male in Deutschland exakt so ereignet? Weil sie ein Sinnbild dessen ist, was schief läuft bei Digitalisierung und digitaler Transformation. Im ungünstigsten Fall (wie dem beschriebenen) haben Orga-FK und Vermittler beide keinen Bock. Und zudem keine ernstzunehmenden Fähigkeiten.

Es gibt auch veränderte Konstellationen, wo Wissen da ist, aber Wollen fehlt, oder es will ein Vermittler unbedingt, die Orga-FK ist aber keine echte Hilfe, weil er es nie richtig gelernt hat, wie man denn als eine Art digitaler Unternehmensberater überhaupt agiert.

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Diese Baustelle ist mir seit meinem Wiedereinstieg in die Versicherungsbranche mit Abstand die liebste, denn sie lässt sich unglaublich dankbar bearbeiten, wenn denn alle mitmachen. Meist ist das Problem nämlich nicht (nur) die Gesamtstrategie der Zentrale, es versandet viel eher auf dem Weg nach draußen in den Vertrieb: Zentrale sagt, nächst kleinere Orga-Einheit (Vertriebsdirektion oder Regionaldirektion) soll die Umsetzung vorantreiben, delegiert zur nächst kleineren Einheit, welche die einzelnen Vermittler betreut. Die Verantwortung wandert immer von oben nach unten, Budget jedoch kommt dabei selten mit.

Begeisterung und Befähigung

Doch damit diese gesamte Aktion gelingt, die notwendig ist, damit unser Vertrieb den Anschluss an den Kunden behält und wir nicht alle irgendwann bei Amazon versichert sind, gilt es heute Gas zu geben. Jetzt! Wir brauchen dafür eine Entlastung der Orga-FK, damit sie die Digital-Themen erst einmal lernen und dann transportieren können. Oder es braucht neue Mitarbeiter, die nicht „nebenbei“ digitale Themen vermitteln, sondern dies in der Hauptsache tun. Kurzfristig einfacher wird es vermutlich sein, wenn man in vielen Gesellschaften mit den bestehenden Personen arbeitet, denn hier ist die Vertrauensbasis zum Vertrieb oft über Jahre gewachsen. Damit ist nicht „alles“ neu.

Was gilt es in jedem Fall zu tun, ob nun mit dem bisherigen Personal oder mit neuen Mitarbeitern, damit von der Strategie von „oben“ auch etwas „draußen“ ankommt (zumal nach meiner Erfahrung gerade im Vertrieb immer mehr Leute richtig Bock haben auf die digitalen Themen):

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  • Die Führungskräfte müssen zuerst verstehen lernen, was der digitale Wandel bedeutet.
  • Dieses Verständnis muss mehr sein, als bloß Vokabeln lernen, es muss erfahrbar vermittelt werden, in Workshops und Innovation Labs.
  • Wenn das Verständnis für den Sinn des Neuen da ist, schult man die Menschen, damit sie selbst wissen, was sie verbreiten sollen.
  • Hier gilt es, tief verwurzeltes Wissen zu vermitteln und nicht die Oberflächlichkeit, die unser Bernhard in drei Tagen erfahren hat - niemand ist in drei Tagen in etwas „gut“.
  • Für die ersten Umsetzungen muss ein frisch Geschulter von einem Mentor begleitet werden, wie damals in der Ausbildung.
  • Die neuen digitalen Umsetzer brauchen konkretes Handwerkszeug, Strategiepläne und Arbeitsmaterial, damit sie nicht „aus der Nichts“ arbeiten.
  • Ist das Verständnis da, das Wissen gefestigt und das Handwerkszeug vorhanden, dann kommen auch die Ergebnisse in sehr viel besserer Qualität.

Wenn Sie selbst Entscheider in unserer Branche sind, dann tun Sie sich, Ihren Führungskräften und auch Ihrem Vertrieb bitte den Gefallen und machen Sie ab heute nicht mehr die Fehler, die fast alle in unserer Branche machen. Die Kluft wird dadurch nur größer. Begreifen Sie den digitalen Wandel als die Mammutaufgabe, die er ist und schenken Sie ihm Ihre Beachtung, Ihre Kreativität und Ihre Leidenschaft! Und wenn Sie einmal nicht weiter wissen, dann sprechen Sie mit jemandem, der weiß, wie es geht.

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