Als SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück mit seinem Parteigenossen Sigmar Gabriel am 04. März vor die Kameras trat, um das Parteiprogramm der Sozialdemokraten für die Bundestagswahl zu präsentieren, wirkte er sichtlich gelöst. Vergessen schienen die schlechten Umfragewerte des ARD-Deutschlandtrends, bei dem die SPD bei nur 26 Prozent verharrt, die CDU hingegen auf 40 Prozent kommt. Vergessen auch der viele Spott und die Häme, die Kanzlerkandidat Steinbrück als „Pannen-Peer“ erdulden musste. Die SPD präsentierte sich mit einem Selbstbewusstsein, als hätten sie die Bundestagswahl bereits für sich entschieden.

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„Regierungsprogramm“ nennt sich ganz unbescheiden die Wahlkampfbibel der Sozialdemokraten, die doch eigentlich noch keine Regierungspartei sind. Man wolle „voll auf den Angriffsmodus schalten“, hatte Wahlkampfleiterin Andrea Nahles verkündet. Und tatsächlich entpuppt sich das Parteiprogramm als mutiges Vorhaben: Es sieht einen deutlichen Linksruck der SPD vor. Ein Linksruck, der auch die Assekuranz vor große Herausforderungen stellen könnte.

Es ist vor allem der SPD zu verdanken, dass die kommende Bundestagswahl eine Entscheidung darüber sein könnte, ob die Bundesbürger zukünftig mehr oder weniger privat vorsorgen. Während die Regierungsparteien CDU/CSU und FDP erwartungsgemäß an einer starken Säule der Privatvorsorge festhalten wollen, stellen die Sozialdemokraten speziell im Gesundheitssystem den aktuellen Status Quo zur Debatte. Kommt die SPD am 22. September mit ihrem Wunschpartner Bündnis 90/ Die Grünen an die Macht, wird sowohl die staatliche Förderung der privaten Pflegevorsorge („Pflege-Bahr“) als auch die private Krankenvollversicherung abgeschafft.

Steinbrück nennt Pflege-Bahr „Kabarettnummer der Legislaturperiode“

Die inoffiziell nach Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) benannte Pflegevorsorge ist für die SPD ein heikles Thema, haben die Sozialdemokraten doch ihr großes Vorbild, die Riester-Rente, eingeführt. Doch während die Genossen an den Riesterreformen festhalten wollen – auf dem Festtag zum 150jährigen Jubiläum in Leipzig wurde die Reformpolitik der Regierung Schröder gelobt – soll dem Pflege-Bahr der Garaus gemacht werden.

Wer seit Januar 2013 eine private Pflegetagegeldversicherung abschließt, bekommt vom Staat Geld zurück, im Fall von Pflege-Bahr sind das 60 Euro pro Jahr. Bei diesen Angeboten hat die schwarz-gelbe Bundesregierung den Versicherern strenge Richtlinien vorgeschrieben, die dem Wohle des Patienten dienen sollen. So ist es verboten, einem Versicherungsnehmer aufgrund von Vorerkrankungen den Schutz zu verweigern oder Risikozuschläge zu erheben. Auch Provisions- und Verwaltungskosten werden gesetzlich gedeckelt.

Dennoch macht die SPD aus ihrer Ablehnung gegenüber dem Pflege-Bahr keinen Hehl. So ließ sich die stellvertretende Bundesvorsitzende Manuela Schwesig auf die Frage „Ist der Pflege-Bahr komplett unsinnig?“ mit den Worten zitieren: „Ja! Deshalb werden wir das nach der Regierungsübernahme zurückdrehen und stattdessen die Solidarität stärken. Zum Glück werden die Bürgerinnen und Bürger erkennen, dass der Pflege-Bahr ihnen nicht hilft und darauf verzichten.“ Auch Kanzlerkandidat Peer Steinbrück bekräftigt, er strebe eine „bessere Pflege für alle statt 5-Euro-Pflege-Bahr“ an. Auf einer Wahlkampfveranstaltung im April verspottete Steinbrück den Pflege-Bahr sogar als „Kabarettnummer dieser Legislaturperiode“. Ein Hauptkritikpunkt an der privaten Pflegeförderung ist der Tatbestand, dass die Verwaltungskosten der Verträge trotz Deckelung die gesamte staatliche Förderung auffressen.

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Statt der privaten Pflegevorsorge bevorzugt die SPD eine „Pflege-Bürgerversicherung“, in die alle Bundesbürger verpflichtend einzahlen sollen. Auch das bedeutet freilich einen Griff ins Portemonnaie der Bundesbürger. Mit einer geplanten Erhöhung des Beitragssatzes für die gesetzliche Pflegeversicherung will die SPD Mehreinnahmen in Höhe von fünf Milliarden Euro generieren. Gesetzlich Pflegeversicherte müssten dann 2,55 Prozent statt derzeit 2,05 Prozent vom Bruttolohn in die Pflegeversicherung einzahlen. Bei Kinderlosen ab 23 Jahren wären es dann sogar 2,8 Prozent vom Bruttogehalt. Peer Steinbrück formulierte die Pläne seiner Partei: „Ein erster Schritt müsste in meinen Augen zwingend sein, den Pflegeversicherungsbeitrag um 0,5 Prozent zu erhöhen“.

Bürgerversicherung statt privater Krankenversicherung

Einen noch drastischeren Einschnitt für die Assekuranz dürfte allerdings die geplante Abschaffung der privaten Krankenversicherung als Vollvorsorge bedeuten. Die SPD will das Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung beenden, fortan sollen alle Bürger zur Einzahlung in einen einheitlichen Topf gezwungen werden. „Im Gesundheitssystem und in der Pflege wird die SPD die Bürgerversicherung einführen für alle Neu- und gesetzlich Versicherte“, heißt es auf der Webseite der Sozialdemokraten.

Die Privaten Krankenversicherungen wären die großen Verlierer dieser Reformpläne. Zwar ist ihnen erlaubt, die bisherigen Mitglieder weiterhin zu versorgen. Auch dürfen sie gleichsam den gesetzlichen Kassen die neue Bürgerversicherung anbieten. Jedoch wird dem Neugeschäft ein Riegel vorgeschoben, denn zukünftig dürfen keine Kunden im Vollgeschäft nach dem bisherigen Prinzip einer individualisierten und kapitalgedeckten Risikovorsorge geworben werden. Bisher privat Versicherte sollen ein Jahr befristet wählen können, ob sie in die GKV zurück wechseln wollen. Allerdings hätten die privaten Versicherungsanbieter fortan die Möglichkeit, verstärkt auf das Geschäft mit Zusatzversicherungen zu setzen. Es könnte ein zentraler Wahlkampfslogan der Sozialdemokraten werden, endlich „die Zwei-Klassen-Versorgung“ im Gesundheitssystem zu beenden - ob die Forderung berechtigt sei oder nicht.

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Zukunftsfragen zu lange ausgespart

Es spielt der SPD in die Karten, dass die Privatversicherer wichtige Zukunftsfragen zu lange unbeantwortet ließen. Ausgerechnet die AOK präsentierte in Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung McKinsey vor zwei Monaten eine Studie, die Versäumnisse der privaten Krankenversicherungen auflistete. Viele Privatversicherer würden mit veralteten Zahlen kalkulieren, seien bürokratisch und behäbig, hätten keine Antwort auf die steigenden Gesundheitskosten. Und obwohl die Anbieter sich per Gesundheitsfragen bevorzugt die jungen und gesunden Kunden aussuchen – der Privatpatient ist mit vierzig Jahren im Schnitt fünf Jahre jünger als der Durchschnittsbürger – hätten die Anbieter keine Antwort auf die Alterung der Gesellschaft gefunden. Eine PKV ohne florierendes Neugeschäft sei demnach kaum überlebensfähig.

Zudem steigen im Alter die Ausgaben für einen Privatpatienten doppelt so stark an wie für einen gesetzlich Versicherten. So „kostet“ ein 70-jähriger Mann der GKV 4.000 Euro im Jahr, mit 85 Jahren knapp unter 5.000 Euro, also rund ein Viertel mehr. Bei der Privaten Krankenversicherung (PKV) steigen die Ausgaben dagegen vom Alter 70 mit rund 6.000 Euro auf 10.000 Euro im Alter 85, also um fast 70 Prozent (nach Angaben des Wissenschaftlichen Instituts der PKV). Uneffektiv, behäbig, auf die Alterung der Gesellschaft nicht vorbereitet – es sind genau jene Vorwürfe, die normalerweise von den Privatversicherern in Richtung gesetzliche Krankenversicherung erhoben werden.

Obwohl es offensichtlich scheint, dass die AOK mit ihrer einseitigen Studie Stimmung gegen die Privatversicherer machen will, geben auch Branchenkenner zu, dass die Vorwürfe nicht aus der Luft gegriffen sind. Das Analysehaus Bain & Company machte ebenfalls existenzielle Herausforderungen bei der PKV aus. Speziell die teils drastischen Beitragssteigerungen für ältere Versicherungsnehmer, die in den letzten Jahren stärker anwuchsen als das Bruttosozialprodukt, nagen am Image der Versicherer. In den Medien wird derzeit offen vor einer „Schuldenfalle PKV“ im Alter gewarnt, zum 01. Mai haben einige Versicherer die Beiträge erneut um bis zu 25 Prozent angehoben. Das schlechte Image bremst auch das Neugeschäft, das im letzten Jahr hinter den Erwartungen zurück blieb. „Die öffentliche Wahrnehmung der PKV ist auf einem historischen Tiefpunkt“, konstatiert Bain & Company.

Ist das duale System sozial unausgeglichen?

Doch die Interessenvertreter der PKV gehen in die Offensive. Seit Monaten trommelt der Dachverband der privaten Krankenversicherung (PKV) gegen die Bürgerversicherung. Volker Laienbach, geschäftsführendes Vorstandsmitglied im PKV-Verband, sprach sich bereits im Februar auf einer Podiumsdiskussion auf dem 13. Vorlesungstag des Institutes für Versicherungswissenschaften Leipzig für eine Fortführung der schwarz-gelben Koalition aus. „Wenn die SPD gewinnt, wird es die PKV nicht mehr geben“, sagte Leienbach. „Von mir aus klare Ansage: Wir brauchen aus Sicht der PKV - ich rede jetzt als Verbandsfunktionär, der Interessen vertritt - eine Regierungsbeteiligung entweder von Union oder von FDP“.

In seiner Argumentation versuchte Leienbach, die Gegner der PKV mit ihren eigenen Argumenten zu schlagen. Es sei gar nicht davon auszugehen, dass eine Bürgerversicherung mehr Gerechtigkeit in der Krankenversorgung schaffe. So habe Deutschland zwar die Dualität zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung – aber nur ein Versorgungssystem, das in der Regel allen Versicherten offen stehe. In anderen Ländern hingegen, in denen es keine private Vollversicherung gebe, würden gute Ärzte häufig nur gegen Bargeld oder Zusatzversicherung behandeln, die soziale Ungleichheit im Gesundheitssystem größer sein. Es ist ein altbekanntes Argumentationsmuster der Privatversicherer: Sie beanspruchen für sich, durch höhere Arzthonorare und Vergütungen für Medikamente indirekt die Versorgung der gesetzlich Versicherten mitzusubventionieren. Viele Arztpraxen müssten sogar schließen, wenn sie nicht weiterhin die höheren Honorare der Privatversicherungen bekämen.

Eine These freilich, den die Vertreter der GKV entschieden zurückweisen. „Eine Subventionierung des Gesundheitswesens durch die PKV findet nicht statt“, heißt es etwa auf der Webseite einer großen Krankenkasse. „Die Anteile der Leistungsausgaben entsprechen fast genau dem jeweiligen Versichertenanteil: Von knapp 79 Millionen Krankenversicherten entfielen 88,6 Prozent auf die GKV, 11,4 Prozent auf die PKV mit knapp 10 Millionen Versicherten“ (Zahlen für 2009/2010, Quellen: PKV-Verband und Bundesministerium für Gesundheit). Dass die PKV mit ihren höheren Zahlungen ein besseres Gesundheitssystem für alle gewährleistet - es könnte ein selbst geschaffener Mythos sein. Zumal die Kosten für schwerbehinderte Menschen und gesundheitliche Risikogruppen oft einseitig den gesetzlichen Versicherungen aufgebürdet werden.

Umsetzung der Bürgerversicherung wäre Aufgabe für mehrere Legislaturperioden

Doch selbst wenn Rot-Grün die Bundestagswahl gewinnen sollte und die Einführung einer Bürgerversicherung beschließt, so wird die Umsetzung voraussichtlich viel Zeit in Anspruch nehmen. Ein einheitliches Honorarsystem für alle Ärzte muss beschlossen werden – mitunter gegen den Widerstand der einflussreichen Ärzteverbände. Es muss geklärt werden, was mit den Altersrückstellungen der Privatpatienten geschieht. Auch neue rechtliche Rahmenbedingungen sind vonnöten. All das sprengt den zeitlichen Rahmen einer einzigen Legislaturperiode. Die Umsetzung der Reform könnte Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte beanspruchen. Ob Rot-Grün, Schwarz-Gelb, große Koalition oder 3-Parteien-Regierung: Bei der Wahl im September steht für die Assekuranz viel auf dem Spiel.

Die Abschaffung von PKV und Pflege-Bahr sind nicht die einzigen Herausforderungen, denen sich die Branche im Falle eines Wahlsieges der SPD wird stellen müssen. Ein sogenanntes „Entgeltgleichheitsgesetz“ soll dafür sorgen, dass Männer und Frauen zukünftig den gleichen Lohn für gleiche Arbeit bekommen. Hieran gibt es nichts auszusetzen. Aber zusätzlich sieht das Gesetz eine 40-Prozent-Frauenquote für Vorstände und Aufsichtsräte großer Unternehmen vor, wie die SPD auf ihrer Webseite berichtet. Eine Anforderung, der die Assekuranz derzeit nicht ansatzweise gerecht werden kann. Aktuell liegt der Frauenanteil in Versicherungsvorständen laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bei mageren 5,7 Prozent. Es wird ein großes Stühlerücken in den Chefetagen der Versicherer geben müssen, damit die Branche die Frauenquote erfüllt.

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Ganz gleich, wer die Bundestagswahl gewinnt – die privaten Versicherungsanbieter werden alte Gewohnheiten über Bord werfen müssen. Sei es im Bereich der Lebensversicherung, der privaten Krankenversicherung oder der Pflegevorsorge: Ein anhaltendes Niedrigzinsniveau, stagnierendes Neukundengeschäft, Solvency II und die Alterung der Gesellschaft machen ein Umdenken notwendig. Ein Sieg der SPD könnte freilich dazu beitragen, dass sich die Schwierigkeiten der Branche verstärken werden. Ein Sieg der CDU birgt die Gefahr, dass sich die Versicherer den aktuellen Herausforderungen weiterhin nicht stellen und an liebgewonnenen Gewohnheiten festhalten.

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