Die hohen Unfallzahlen in den Städten resultieren unter anderem daraus, dass wir mit den Radfahrern eine neue Verkehrsteilnehmer-Gruppe haben. Radfahrer gab es zwar schon immer. Aber nicht in dieser Art wie heute – als sehr schnelle Verkehrsteilnehmer und auch als schnell wachsende Gruppe. Hier lässt sich zum Beispiel beobachten, dass Unfälle mit E-Bikes aufgrund des hohen Tempos oft mit schweren Verletzungen oder gar tödlich enden — auch vor dem Hintergrund, dass sie überproportional von Senioren genutzt werden. Von den 445 getöteten Radfahrern im letzten Jahr starben viele in den Städten.

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Für die Stadt werden mögliche Verbesserungen der Infrastruktur diskutiert, um Unfälle zu reduzieren. Hier haben wir eine verkniffene Situation: Es fehlt schlicht Raum, die Städte wurden nicht für eine solche Masse an Verkehr geplant. Für mehr Radwege müssten zum Beispiel die Autofahrer zurückstecken. Gibt es da Möglichkeiten, den Verkehr zu entzerren und so sicherer zu machen?

Ehrlich gesagt, ich bin da pessimistisch. Es gibt Experten, die viel Hoffnung daran setzen, den Verkehr mit digitaler Technik besser zu steuern und dadurch mehr Sicherheit zu erzielen: zum Beispiel durch grüne Wellen auf den Hauptstraßen. Doch selbst wenn wenn wir es im Zuge der Digitalisierung hinbekommen würden, solche Prozesse zu optimieren – ich kann den Verkehrsfluss besser gestalten, ich kann freie Parkplätze anzeigen, zu denen man sofort geleitet wird, ohne dreimal um den Block zu müssen —, könnten positive Effekte schnell verpuffen. Das beobachten wir zum Beispiel bei vermeintlich intelligenten Navigationssystemen. Wenn wegen eines Staus Umleitungen empfohlen werden, dann sind die Nebenstraßen auch schnell verstopft, weil alle Fahrer der Empfehlung ihres Navis folgen. Insofern glaube ich nicht, dass wir durch digitale Infrastruktur große Profite bei der Verkehrssicherheit erreichen.

Das Kernproblem bleibt: Verkehrsraum ist nicht beliebig vermehrbar. Zumal die Ansprüche von vielen Seiten steigen. Wir führen in Berlin in mehreren Bezirken die Debatte, dass Bereiche, wo sich viele Fußgänger bewegen, auch fußgängerfreundlich gestaltet werden sollen … also der Autoverkehr ganz herausgenommen wird oder so eingeschränkt, dass man da nur noch mit Schrittgeschwindigkeit fahren darf. Die Probleme zeigen sich schnell: Der Fußverkehr verlangt viel mehr Fläche für sich, der Radverkehr auch. Und alle schauen drauf, wie viel Fläche dem Auto bleibt.

Man muss kein Experte sein, um zu sagen, dass die Masse der öffentlichen Fläche vom Autoverkehr besetzt wird – und zwar nicht nur im fließenden Verkehr, sondern auch im ruhenden. Wir haben kaum eine Straße, die nicht zugeparkt ist. Wenn wir für Fußgänger und Radfahrer in den Städten tatsächlich mehr Sicherheit schaffen wollen, indem sie mehr Raum erhalten — was im Moment in fast allen Kommunen politischer Wille ist —, dann hat das unweigerlich Folgen für den Autoverkehr.

Nun gibt es radikale Konzepte, wo gesagt wird: Autos möglichst raus aus der Innenstadt oder der Autoverkehr soll stark einschränkt werden, so dass man nur mit gewissen Befugnissen reinfahren darf. Glauben Sie, dass das die Unfallzahlen senken könnte?

Man muss bedenken: Konzepte für freie Innenstädte hängen erstens davon ab, ob ich überhaupt einen identifizierbaren Innenstadtkern habe. Es gibt viele Städte, die polyzentrisch sind. Das heißt: Sie haben mehrere Unterzentren, in und zwischen denen sich die Menschen bewegen. Dann muss ich mir was für die Anwohner überlegen, die dort leben. Ihnen werde ich nicht zumuten wollen, dass sie mehrere Kilometer zu ihrer Haustür laufen, vielleicht mit einem Kasten Wasser in der Hand. Und drittens muss ich mir für den Lieferverkehr Konzepte überlegen. Aber das sind Themen, die der Unfallforscher nicht prioritär bearbeitet. Die möchte ich gern anderen überlassen.

In Deutschland gibt es den Trend zu großen Autos, vor allem SUV. Mittlerweile ist jedes vierte zugelassene Auto so eine große „Kiste“. Trägt das zu schwereren Unfällen bei? Paradox: Wenn ich mich so im Bekanntenkreis umhöre, wird das oft mit Sicherheitsaspekten begründet. Meine Freunde sagen dann, sie fühlen sich in dem Auto sicher. Aber das Problem scheint mir: Sobald ich aussteige, sind SUV ein größeres Risiko.

Sobald Sie ein kleineres Fahrzeug haben, ist der SUV für Sie ein größeres Risiko – durch die größere Masse und durch den höheren Aufschlagpunkt, wie Crashtests beweisen. Das heißt: Der SUV ist für alle sicherer, die drinnen sind. Der Sicherheitsaspekt, natürlich, wird aber immer kleiner, je mehr wir diese Fahrzeuge haben — für Fußgänger und Zweiradfahrer bedeuten sie ohnehin schwerere Unfallschäden, das ist leider so.

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Allerdings muss man hier relativieren: Vom SUV geht nach unserer Forschungslage nicht a priori ein höheres Risiko aus. Das heißt: Da sind nicht besondere Rambos am Steuer, sondern es sind sehr oft Mütter oder auch Senioren, die aus anderen Gründen diese Autos fahren: etwa, weil Sie eine bessere Übersicht haben und weil man leichter ein- und aussteigen kann.

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