Bundesarbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) hat angekündigt, dass die Bundesregierung bis Ende des Jahres einen Gesetzentwurf für eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige vorlegen will. Laut den Plänen sollen auch Freiberufler in die Gesetzliche Rentenversicherung verpflichtend einzahlen. Wollen sie das nicht und stattdessen mit einer anderen Lösung vorsorgen, müssen sie aktiv per "Opt-out" widersprechen. Aber auch dann müssen sie eine Altersvorsorge nachzuweisen, die bestimmte Mindestkriterien erfüllen soll, zum Beispiel Pfändungsfreiheit. Die Altersvorsorgepflicht ist eine Antwort darauf, dass viele Unternehmer gar nicht in die Rentenkasse einzahlen, aber dennoch Anspruch auf Grundsicherung im Alter haben. Die Hintergründe:

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Selbstständige haben "überdurchschnittlich häufig nicht... für ihr Alter vorgesorgt"

Als es an die Neuauflage der Großen Koalition ging, konnte die Bundesregierung ein Problem nicht länger ignorieren, das ihr zwar nicht ins Stammbuch, aber in den „Alterssicherungsbericht“ zur vorigen Legislaturperiode geschrieben wurde: Fast die Hälfte der ehemals Selbstständigen verfüge im Alter über ein Nettoeinkommen von unter 1.000 Euro, während es bei Arbeitern oder Angestellten nur gut ein Drittel sei. Auch wäre der Anteil der Grundsicherungsempfänger im Alter unter ehemals Selbstständigen deutlich höher als unter ehemals abhängig Beschäftigten (3,7 Prozent gegenüber 2,1 Prozent). Als Fazit konstatiert der Bericht: Selbstständige hätten „anders als die meisten anderen Erwerbstätigen … offenbar überdurchschnittlich häufig nicht hinreichend für ihr Alter vorgesorgt.“

Das allgemeine Problem einer Vorsorgelücke als besonders relevant für die Selbstständigkeit? Diese Feststellung verlangte nach einer Erklärung. Gibt es doch eine weitere Zahl des Berichts mit Aussagekraft: Das Durchschnittseinkommen im Alter für Selbstständige würde laut Bericht mit 1.435 Euro höher liegen als das Durchschnittseinkommen für Arbeiter und Angestellte mit durchschnittlich 1.316 Euro. Demnach erweisen sich die Selbstständigen als äußerst heterogene Gruppe – Einige haben besonders gut, viele jedoch äußerst schlecht vorgesorgt.

Solo-Selbstständige: Oft bleibt nichts zum Vorsorgen übrig

Wie aber kann das sein? Vernachlässigen Selbstständige ihre Altersvorsorge? Keineswegs, denn andere Zahlen der Regierung bieten Aufklärung: Altersarmut droht einer immer größeren Zahl an Selbstständigen, die immer weniger verdienen. Innerhalb dieser Gruppe machen sogenannte "Solo-Selbstständige" – also Unternehmer, die keine Angestellten haben – einen besonders großen Anteil aus. Laut Bundesregierung (Drucksache 18/10762) verfügen fast 30 Prozent dieser Solo-Selbstständigen über ein persönliches Einkommen von weniger als 1.100 Euro im Monat.

Wer zu dieser Gruppe der Selbstständigen gehört, dem bleibt schlicht nichts übrig, um vorzusorgen. Was aber tun, wenn jene, die durch ihre Selbstständigkeit besondere Eigeninitiative zeigen müssen, gar keine zeigen können? Zukünftig lösen soll das Problem laut aktuellem Koalitionsvertrag der Bundesregierung eine „gründerfreundlich ausgestaltete Altersvorsorgepflicht für alle Selbstständigen“, die verpflichtend Freiberufler in das System der Alterssicherung eingliedern will.

Geplant: Pflicht für alle und "Opt-out"-Möglichkeit

Im Sinne dieser Pläne soll den Selbstständigen in Zukunft nicht mehr freigestellt sein, ob und wie sie sich fürs Alter absichern. Freigestellt ist nur noch, ob Selbstständige über die gesetzliche Rentenversicherung vorsorgen, oder ob sie eine Opt-out-Lösung wählen. Dann aber müssen sie eine alternative Altersvorsorge nachweisen. Bedingung der Opt-out-Lösung laut Koalitionsvertrag: Sie muss Insolvenz- und pfändungssicher sein und zu einer Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus führen.

Wie weit aber sind die Pläne der Bundesregierung gediehen? Zurückliegende Meldungen erweckten den Eindruck: Die Regierung hält zwar an den Plänen zur Vorsorgepflicht für Selbstständige fest, lässt sich aber zugleich mit der Umsetzung ihres Vorhabens doch einige Zeit. So unterbrach nur der Oktober des zurückliegenden Jahres eine hier herrschende Ruhe aufgrund einer öffentlichen Experten-Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales (der Versicherungsbote berichtete). Diese Anhörung fand jedoch in Reaktion auf einen Antrag der Linksfraktion (Drucksache 19/1034) statt. Dann tauchte das Thema wieder aus der öffentlichen Wahrnehmung ab, um kontroverseren Themen des Koalitionsvertrags wie der geplanten "Grundrente" Raum zu geben (der Versicherungsbote berichtete). Nun jedoch ist die Vorsorgepflicht für Selbstständige erneut öffentliches Thema durch ein Interview von Samstag letzter Woche: Gegenüber der Rheinischen Post kündigte der Bundesarbeitsminister nun erstmals konkret einen Gesetzentwurf zur Vorsorgepflicht für Selbstständige an.

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Dennoch entsteht erneut, nun aufgrund des Zeitplans, der Eindruck: Die Regierung will nichts überstürzen und hat es auch nicht eilig mit einer Umsetzung ihres Plans. So bezeichnet Heil in dem Interview die Einbeziehung der Selbstständigen „in das System der Alterssicherung“ zwar als „große sozialpolitische Reform“. Auch wirbt er dafür, dass „neue Beitragszahler in das System der Alterssicherung“ kommen würden. Der Entwurf des Gesetzes wird allerdings erst für „Ende des Jahres“ angekündigt. Vage geht Heil zudem auf die „Opt-out“-Lösung ein: Selbstständige müssten „in die gesetzliche Rentenversicherung eintreten“, wenn sie nicht „beispielsweise Mitglied eines Versorgungswerks“ seien oder „durch die Rürup-Rente abgesichert seien“. Wichtig ist für den Minister die Vorsorgepflicht deswegen, weil auch für Selbstständige „gelten“ muss, „dass man nach einem Leben harter Arbeit abgesichert ist“. Doch diese Absicherung scheint an eine weitere Bedingung gebunden.

„Wichtig, dass wir vorher die Grundrente einführen“

Die derzeitigen Prioritäten für den Bundesarbeitsminister nämlich werden durch eine Äußerung offenkundig: Auch für Selbstständige sei es zur sozialen Absicherung zunächst „wichtig, dass wir vorher die Grundrente einführen“. Die Einführung einer Rentenleistung für jene Menschen, die bei geringem Verdienst mindestens 35 Jahre in die Rentenkasse der gesetzlichen Rentenversicherung (DRV) eingezahlt haben, geht für den Bundesarbeitsminister somit vor – erst als zweiter Schritt scheint hingegen eine Vorsorgepflicht für Selbstständige anzustehen.

Aber wird wirklich jene Grundrente kommen, die Heil derzeit unter dem Konzept einer so genannten "Respekt-Rente" bewirbt? Das Thema birgt für die Große Koalition einige Sprengkraft aufgrund von Heils Vorstoß, die neue Rentenleistung ganz ohne Bedürftigkeitsprüfung zu zahlen. Alle sollen sie erhalten, die die Mindest-Beitragszeit erfüllen: auch, wenn sie ausreichend Einkommen im Alter haben. Eine solche „Grundrente ganz ohne Vermögensprüfung“ ist jedoch für die Unionsparteien „nicht vorstellbar“, wie Peter Weiß als Sprecher der CDU/CSU-Fraktion verlautbaren ließ. Statt das Geld mit der Gießkanne zu verteilen, sollen ausschließlich jene von der Grundrente profitieren, die tatsächlich von Altersarmut bedroht sind, fordern die Unionsparteien.

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Die CSU suchte folglich jüngst die Konfrontation durch Vorstellung eines „Rentenschutzschirms“, der sich gezielt von Heils Plänen abgrenzte und auch der CDU eine Steilvorlage zum Angriff auf die Pläne Heils bot. Auf diesen Konflikt sprach die Rheinische Post den Bundesarbeitsminister direkt an: Würde Heil überhaupt eine Einigung mit den Unionsparteien bei der Grundrente und der Bedürftigkeitsprüfung "hinkriegen"?

Gesetzentwurf zur Grundrente kommt im Mai

Heil verteidigte zunächst erneut seinen Plan, die neue Rentenleistung ganz ohne Bedürftigkeitsprüfung zu zahlen. Denn die Rente sei ja nicht „bedingungslos“, sondern „das Ergebnis von Lebensleistung“. Auf einen konkreten Passus des Koalitionsvertrags angesprochen, dass "Voraussetzung für den Bezug der Grundrente eine Bedürftigkeitsprüfung entsprechend der Grundsicherung" sei, übte sich Heil in der Auslegungs-Kunst: Der Koalitionsvertrag sei an dieser Stelle „widersprüchlich“, da ja die Rentenversicherung „grundsätzlich keine Bedürftigkeitsprüfung kenne“. Dennoch glaubt Heil, die Koalition werde „eine Einigung bei der Grundrente zustande bringen“ – auf der Basis seines Gesetzentwurfes, der im Mai vorgelegt und zu dem daraufhin verhandelt werde.

Heil zu Banken und Versicherungen: Menschliche Arbeit rasch durch künstliche Intelligenz ersetzt

Auch zur Zukunft der Versicherungswirtschaft äußerte sich der Bundesarbeitsminister. Mit Blick auf die Digitalisierung wagte Heil eine Prognose, die der Branche nicht gefallen dürfte: Im Bereich Handel, Banken und Versicherungen würde „menschliche Arbeit sehr rasch auch durch künstliche Intelligenz ersetzt werden“. Ein Ausweg für Betroffene, die durch intelligente Computersoftware nicht mehr an ihrem Arbeitsplatz gebraucht werden, sieht der Minister in Umschulungen. Gebe es doch Bereiche, in denen grundsätzlich auch ein viel größerer Bedarf nach menschlicher Arbeit entstehen werde – bei sozialen Dienstleistungen sowie Pflege-, Bildungs- und Erziehungsberufen.

Für den Gesetzgeber entstehen durch die Digitalisierung ebenfalls neue Herausforderungen, wie Heil am Beispiel eines Kölner Unternehmens darlegte, das Fahrradkuriere entlassen hatte. Die Fahrradkuriere wollten einen Betriebsrat gründen. Gesetzliche Voraussetzung aber sei noch immer eine physische Betriebsstätte, die bei diesem Unternehmen nicht existierte. Insbesondere im Logistik-Bereich und dem Onlinehandel sind Reaktionen des Gesetzgebers auf derartige Probleme notwendig, denn manche Unternehmen würden „Digitalisierung mit Ausbeutung verwechseln“.

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Ein Problem, das wiederum zurückführt zur Vorsorgepflicht für Selbständige. Heil beklagte die Ausbeutung durch Scheinselbständigkeit oder durch die „Konstruktion von Sub-Sub-Sub-Unternehmen“ (so der Wortlaut des Ministers). In diesem Kontext spricht sich Heil jedoch gegen Lösungen wie die Einführung von Mindesthonoraren aus. Stattdessen soll eine Generalunternehmerhaftung durchgesetzt werden, die auch Paketdienste und die gesamte Logistikbranche gegen bestimmte Regelwidrigkeiten in Haftung nimmt.

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