Die Einführung einer Altersvorsorge-Pflicht für Selbstständige steht seit mittlerweile mehr als zehn Jahren auf der politischen Agenda. Die damalige Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) legte 2012 entsprechende Pläne vor (Versicherungsbote berichtete).

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Passiert ist seither in der Sache wenig. Außer, dass in regelmäßigen Abständen Absichtserklärungen vorgelegt werden, in denen die Bedeutung des Vorhabens betont wird. Rekordhalter in dieser Hinsicht ist Hubertus Heil (SPD). Seit 2018 ist er Bundesarbeitsminister - damals fand die Altersvorsorgepflicht für Selbstständige erstmals Aufnahme in den Koalitionsvertrag. Ende 2019 sollte ein entsprechender Gesetzentwurf vorliegen, Ende 2020 wollte Heil die Pflicht „vorantreiben“. Doch dann bremste Corona das Vorhaben aus.

Im Sommer 2021 bekräftigte Heil, dass die Pflicht zur Altersvorsorge von Selbstständigen die Rentenkasse stärken und das BMAS an dem Vorhaben festhalten werde. Allerdings verging auch das Jahr 2022 ohne entsprechenden Gesetzentwurf. Immerhin: Rentenchefin Gundula Roßbach bekräftigte im März diesen Jahres ihren Glauben daran, dass die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode eine Altersvorsorgepflicht einführt.

„Gibt es Licht am Ende des Vorsorgetunnels für Solo-Selbstständige?“ war vor diesem Hintergrund kein schlecht gewählter Veranstaltungstitel für eine Diskussionsveranstaltung im 'Haus der Selbstständigen' in Berlin. Die u.a. vom Bundesarbeitsministerium (BMAS) geförderte Einrichtung lud Ende Juni Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung, Prof. Rainer Schlegel, Präsident des Bundessozialgerichts sowie Dr. Rolf Schmachtenberg, beamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein. Dass Vertreter von Selbstständigen auf dem Podium fehlten, wurde vom Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD) kritisiert.

Auf der Veranstaltung wurde auch ein Rechtsgutachten von Prof. Dr. Daniel Ulber vorgestellt. Der Jurist hält seit 2017 einen Jura-Lehrstuhl an Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg inne. In seinem Gutachten geht der Jurist sowohl auf historische Entwicklungen als auch auf verfassungsrechtliche Aspekte der Versicherungspflicht für Selbstständige ein.

Opt-Out-Modelle ermöglichen „Risikoauslese zu Lasten des Solidarsystems“

Doch das Gutachten wendet sich auch gegen eigentlich im Koalitionsvertrag vorgesehene Opt-Out-Varianten. So heißt es im Koalitionsvertrag: „Wir werden für alle neuen Selbstständigen, die keinem obligatorischen Alterssicherungssystem unterliegen, eine Pflicht zur Altersvorsorge mit Wahlfreiheit einführen. Selbstständige sind in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert, sofern sie nicht im Rahmen eines einfachen und unbürokratischen Opt-Outs ein privates Vorsorgeprodukt wählen.“

Im Gutachten wird behauptet, die geplante Einführung solcher Opt-Outs habe vor allem einen politischen Hintergrund: Der Widerstand von gutverdienenden Freiberuflern, die bereits in Versorgungswerke einzahlen, solle so überwunden werden. „Mit diesem Zugeständnis, wird für diese Personengruppe die Möglichkeit einer egoistischen Risikoauslese und damit verbundenen Finanzierungsvorteile aufrechterhalten. So sehr es nachvollziehbar ist, dass die leichtere politische Durchsetzbarkeit einer allgemeinen Rentenversicherungspflicht für sämtliche Selbstständigen, diesen Weg attraktiv macht, ist er doch nachteilig. Er ermöglicht weiterhin eine Risikoauslese zu Lasten des Solidarsystems. Zudem besteht auch abgesehen von der langen historischen Tradition und eher strategischen Erwägungen kein wirkliches Sachargument für eine solche Vorgehensweise.“

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Prof. Dr. Daniel Ulber kommt in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass „eine allgemeine Rentenversicherungspflicht für Selbstständige nicht nur zur Finanzierbarkeit der Rentenversicherung, der Vermeidung von unangemessenen Belastungen der Allgemeinheit aufgrund unzureichender Altersvorsorge von Selbstständigen, sondern auch zur Verbesserung der sozialen Lage von Selbstständigen“ beitragen würde.

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