Das Beste kommt zum Schluss. Auf der abschließenden Podiumsdiskussion beim 4. Hamburg Insurance Innovation Tag in der altehrwürdigen Handelskammer zu Hamburg. Es war Dirk Weske, Mitglied des Vorstandes der PPI AG, der den Tag zusammenfasste. Er könne sich nicht vorstellen, dass eine Agentur oder ein Maklerbüro in 10 Jahren noch so aussehen würde wie heute. Wer heute 500 Kunden betreue, der werde dann das fünffache zu betreuen haben. Das wird ohne Digitalisierung gar nicht gehen.

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Das war nur ein Aspekt, der einen Tag voller Innovationen und Blicke in die Zukunft, auf den Punkt brachte.
Auch heute darf zur Begrüßung des Auditoriums der Hinweis auf die Historie des Raumes nicht fehlen. Denn in der Handelskammer Hamburg wurden die ersten Risiken in Deutschland eingedeckt. Die Veranstaltung ist ausverkauft. Auf dem Marktplatz sind keine Stände von Versicherern mit Give-Aways, sondern ausschließlich Start-Ups und technische Dienstleister. Der Tag steht ganz im Zeichen der Digitalisierung.

Prof. Dr. Florian Elert erinnert daran, dass im letzten Jahr das Thema „Metaverse“ den Tag bestimmte. Doch das verschwand dann auch so schnell wieder, wie es gekommen war. Das wird mit AI nicht passieren. Seit ChatGPT für alle zugänglich ist, ist ein Trend losgetreten worden, der bleiben wird. Und so bestimmt AI auch an diesem Tag die zahllosen und Kurzvorträge. Wer sich nicht jeden Tag mit technischen Lösungen beschäftigt oder ein wenig aus der Zeit der Papieranträge mit drei Durchschlägen kommt, dem kann zugerufen werden: Das Versicherungsgeschäft wird schon bald nicht mehr wieder zu erkennen sein.

So beschreibt Martin Thormälen von Munich Re zum Beispiel, wie ein datengeführter Antragsprozess mit Gesundheitsfragen früher von einem Underwriter in 45 Minuten bearbeitet wurde. Heute nur noch in 5 Minuten. Dank KI. Das ist besser für den Kunden und das Unternehmen. Und endet nicht bei der Auswertung der Kundenfragen. Die KI generiert automatisch Zusatzfragebögen oder kann digitale Arztanfragen stellen.

Underwriter haben sich früher mit jedem Risiko gleich lang beschäftigt. Egal, ob es lohnend war oder nicht. KI-gestützte Systeme treffen eine Vorauswahl. Die Mitarbeitenden haben mehr Zeit für die wichtigen Fälle.

Einfachheit gewinnt

Dr. Alex Schell von der Allianz rief dem Auditorium zu, dass nur Einfachheit gewinnt. Er zitierte Elon Musk mit dem Satz: Alles, was eine Bedienungsanleitung braucht, hat keine Chance. Aus dem Alltag zeigte er die Historie von Fernbedienungen und Autolenkrädern um nahtlos zum Versicherungsgeschäft der Allianz überzuleiten. Einfach ist super schwierig. Aber er kenne niemanden, der Komplexität zu schätzen wisse.

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Am Beispiel des Allianz Privatschutzes zeigte er überzeugend, wie Versicherungsbedingungen verschlankt und vereinfacht wurden und so zu einfacheren Prozessen geführt hätten, inklusive zufriedeneren Kunden und Umsatzsteigerung.
Man müsse bei den Produkten und Prozessen frei nach Marie Kondo agieren. Jedes Teil anschauen, und sich fragen: Macht es Spaß? So arbeite die Allianz gerade daran, ihre weltweit über 3000 Applikationen auf unter 300 zu reduzieren.
Seine Prognose: Wer Symplicity schneller und besser kann, wird den Kunden gewinnen. Es braucht standardisierte Schnittstellen, die wie bei Lego, zusammenpassen. Und global skalierte Cloudplattformen nebst agiler Entwicklung seien die Kernelemente für eine erfolgreiche Zukunft. Unternehmen, die nicht leicht Entscheidungen treffen, tun sich schwer mit dem Abbau von Komplexität.

In der Versicherungsbranche bleibt kein Stein auf dem anderen

Prof. Dr. Florian Elert von der Hamburg School of Business Administration sagte voraus, dass sprachgenerierte Suche, die Customer Journey grundlegend verändern wird. Es werde spannend sein, zu beobachten, was sich in dieser Sache tun werde. Die Frage sei: Was kann der Mensch mit der Technik besser? Die beste Programmiersprache werde in Zukunft Englisch sein.

Eine Anwendung der generative AI könnte sein, dass die KI ganze Kundengespräche mithört und in das CRM-System einpflegt. Das können unschätzbare Dienste leisten, wenn es um Beratungsdokumentation und die Vorbereitung auf den nächsten Kundentermin ginge.

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Tanju Bulut von Google sprach über die Möglichkeiten, die sein Haus schon bietet. Sie würden in den USA bereits aufgrund der Datenlage Unfälle vorhersagen und empfehlen, dass Einsatzfahrzeuge sich schon mal auf den Weg machten. Entweder können sie den Fall noch verhindern oder sind unmittelbar am Ort des Geschehens.

Im Versicherungswesen könne eine Bildbearbeitungs-Software Fotos von einem Autounfall analysieren und schon mal eine Schadenakte mit den bekannten Inhalten anlegen und ausfüllen. Und zwar genau in der Sprache, die der Versicherer braucht. Ein weiteres Beispiel: Je nach Schadeneingang und Personalsitutaion könne eine KI jeden Tag entscheiden, ab wieviel Euro Schadenhöhe, Sachbearbeitende den Vorgang bearbeiten (müssen).

In zwei langen Zeitfenstern stellen innovative Unternehmen ihre Lösungen für verschiedene Probleme im Alltag von Versicherern, Vermittelnden und Kunden dar.
Zum Beispiel die Hamburger Versicherungsbörse e.V. die ihren digitalen Handelsplatz vorstellt. Wo früher noch lange telefoniert werden musste, bringen heute ein paar Klicks Kunden und Anbieter zusammen.

Es sind Beispiele zu sehen, wie ChatGPT auf spezielle Bedürfnisse eines Versicherer-Kundendialogs trainiert werden kann. Zum Beispiel Versicherungsbedingungen zu lesen und Kunden-Fragen nach „Ist das auch versichert“ schnell und exakt zu beantworten. Wichtig sind saubere Daten und ein gutes Training der Technik.

Beeindruckend war die Live-Vorführung im Bereich des Mega-Trends „embadded insurance“. In wenigen Minuten wurde live eine komplette Strecke gebaut, die verschiedene Produktvarianten, den Kundendialog und den Abschluss beinhaltet.

Die Firma Sight Call zeigte, wie sie als Partner der Allianz hilft im Schadenfall mehrere Tonnen CO2 zu sparen. Sie hat sich auf die Digitalisierung der Schadenbearbeitung spezialisiert. Wo keiner mehr rausfahren muss, wird ein Fahrzeug bewegt. Das ist gut für´s Klima. Videogestützte Self-Service-Prozesse sind hier die Lösung. Außerdem leistet die Technologie wertvolle Dienste beim Management von Massenschäden. Zum Beispiel nach einem Sturm oder Starkregen wie zuletzt im Ahrtal.

In jedem Unternehmen schlummert Wissen. Verteilt auf dem Server, den Laptops oder Bücherregalen. Powerpoints, Handbücher, Bedienungsanleitungen, Studien und dergleichen mehr. Die KI sichtet das und bietet ein Wissensmanagement. Macht Inhalte sichtbar, auffindbar und leicht zugänglich. Also Antwort auf die historische Frage des ehemaligen Siemens-Chefs von Pierer aus dem Jahr 1995. „Wenn Siemens wüsste, was Siemens weiß.“

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Digitale Lösungen, so weit das Auge reicht. Es scheint nichts zu geben, was nicht von einem Start-Up als Geschäftsmodell erkannt worden ist und man muss kein Prophet sein, vorherzusagen, dass in der Versicherungsbranche in den nächsten fünf Jahren kein Stein auf dem Anderen bleibt. Sofern die Kunden das alles mitmachen. Denn homogen ist die Kundschaft nicht. Ob die besten Rentner aller Zeiten, die dabei sind in den Ruhestand zu gehen und ein hochattraktives Klientel darstellen, jede technische Innovation so einfach mitmachen, bleibt abzuwarten. Auf der abschließenden Podiumsdiskussion ist es Dr. Angelo Rohlfs, Mitglied des Vorstandes der VHV-Versicherungen, der den Blick auf den Kunden richtet. Der nutze die Techniken nämlich nur ausschnittsweise und bleibe der autonome Entscheider. Man sei gut beraten, die Bedürfnisse des Kunden zufriedenzustellen. Die Vermittler sind so alt wie die Kundschaft und das ist nicht die Generation Z. Gleichwohl werde die Technik gebraucht und es wird Menschen geben, die sie benutzen.

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