Assistance als Bestandteil einer Product Oversight Governance

Prof. Dr. Matthias Müller-Reichart leitet den Studiengang ‚Insurance and Banking‘ an der Wiesbaden Business School und erstellt seit 14 Jahren regelmäßig das 'Assistance-Barometer'.Die europäische Versicherungsvermittlerverordnung IDD (Insurance Distribution Directive) verlangt neben einer klaren Vermittlerdefinition und permanenter Weiterbildung der Vermittlerorgane insbesondere eine auch in Versicherungsprodukten ablesbare Service- und Verbraucherorientierung. Gemäß dieser POG-Vorgaben (Product Oversight Governance) müssen Versicherungs-, Altersvorsorge- und Kapitalanlageprodukte (PRIIPs – Packaged Retail Insurance and Investment Products) Service- und Nachhaltigkeitsaspekten gerecht werden. Serviceelemente – im Versicherungswesen unter dem Begriff „Assistance“ gebündelt – tragen zur Nachhaltigkeit der Kernprodukte der Finanzdienstleistungswirtschaft sowie zur Entwicklung sozial relevanter Ökosysteme bei, ja ermächtigen diese erst zu einer vornehmlich sozialen Nachhaltigkeit. Der „Kümmerer“-Aspekt der Assistance ist im Versicherungswesen beispielgebend für die Erfüllung des Serviceversprechens und den Aufbau sozialer Ökosysteme, womit die Versicherungswirtschaft mit ihrem Assistance-Konzept Vorreiter und zugleich Benchmark einer ESG-konformen Finanzdienstleistungswirtschaft ist.

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Zur Ermittlung der Serviceerwartungen der Versicherungsnehmer sowie des Serviceanspruchs der Versicherungswirtschaft führt die Europ Assistance SA, Niederlassung für Deutschland, seit mittlerweile 14 Jahren eine repräsentative, bundesweite und vom GDV anerkannte Assistance-Studie durch. Neben privaten Haushalten und Versicherungsunternehmen bittet das Assistance-Barometer zur Abrundung seiner Aussagekraft seit dem Jahre 2014 auch Versicherungsvermittler um deren Meinung zu Service- und Dienstleistungen im Versicherungsumfeld. So werden die verschiedenen Vermittlerkanäle um eine Bewertung der Assistancephilosophie der Versicherungswirtschaft und ihrer Produkte gebeten. Indem die seit dem Jahre 2015 laufende, freiwillige Brancheninitiative „gut beraten“ sowie die seit Februar 2018 umzusetzende „Insurance Distribution Directive“ eine auf den Versicherungsnehmer und seine Bedürfnisse zugeschnittene Beratungs- und Problemlösungsqualität von den Versicherungsvermittlern verlangt, müssen schon aus regulatorischen Gründen Assistance- und Serviceprodukte einen hohen Stellenwert in der Beratungsleistung der Vermittler erhalten. Ergo wird der Erfolg der Versicherungsvermittlung explizit durch Assistance-Leistungen unterstützt, womit Versicherungs-vermittler eine Schlüsselfunktion in der Kommunikation von Assistance-Leistungen einnehmen.

Bedeutung der Versicherungsassistance aus Vermittlersicht

In der mittlerweile vierzehnjährigen Historie des Assistance-Barometers werden Versicherungs- und Assistance-Produkte trotz ihrer hohen Problemlösungsfähigkeit von Teilen der Bevölkerung immer noch als low interest und low involvement Produkte angesehen. Insofern muss das Assistance- und Serviceangebot vom aktiven Vermittler als Mehrwertleistung offensiv in den Markt transportiert werden. In Verbindung mit digitalen Serviceangeboten entspricht die Assistance-Leistung Kundenbedürfnissen und erfüllt somit die Erwartungen der POG-Vorgaben als Basisanforderung der IDD.

In Konstanz zu den letzten Erhebungsjahren nahmen an der aktuellen Befragung 2021 erneut 302 Versicherungsvermittler teil. Geschlechtsspezifisch unterteilten sich diese analog zu allen bisherigen Betrachtungsjahren sehr ungleich in 84% männliche sowie 16% weibliche Vermittler. Versicherungsvertrieb bleibt somit trotz aller genderorientierten Bemühungen der Branche männlich dominiert. Dabei wäre wahrscheinlich der Mehrwert von Assistance- und Serviceleistungen dem Versicherungsnehmer insbesondere über die weibliche Empathie besser darstellbar. Analog zu den Versicherungsunternehmen wurden natürlich auch die Vermittler zur Einschätzung des Stellenwerts der Assistance für das Geschäftsmodell der Versicherungswirtschaft befragt. Mit im Vergleich zu den Versicherungsunternehmen schwächerer Betonung weisen 76% der Vermittler der Assistance eine hohe oder sehr hohe Bedeutung zu (Versicherungsunternehmen 83%) – dennoch liegt dieser Wert auch in diesem Jahr 7%-Punkte über seinem bisherigen Durchschnittswert. Jedoch sehen 23% der Vermittler in der Assistance nur eine geringe Bedeutung für das Geschäftsmodell der Versicherungswirtschaft. Diese negative Bewertung liegt aber immerhin knapp 6%-Punkte unter dem Mittelwert der Vorjahre. Vernachlässigbare 1% der Vermittler weist der Assistance keine Bedeutung zu.

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Somit hat die Assistance ihren Bedeutungswert für das Geschäftsmodell der Vermittler im achten Erhebungsjahr auf hohem Niveau stabilisiert. Bedenkt man das Votum im ersten Erhebungsjahr, als lediglich 48% der Vermittler Assistance als bedeutend oder sehr bedeutend für die Versicherungswirtschaft einschätzten, zeigt sich innerhalb der letzten 7 Jahre ein Bedeutungszuwachs der Assistance von 60%. Versicherungsvermittler haben offenbar den Mehrwert der Assistance erkannt. Da sie jedoch ihre Bedeutung für den Verkaufserfolg als relativ hoch einschätzen, bewerten sie den Pull-Effekt der Assistance weiterhin geringer als es die Versicherungsunternehmen tun.

Assistance als Geschäftsmodell der Versicherungswirtschaft?

Vor dem Hintergrund eines anerkannt hohen Stellenwerts der Assistance (76% der Vermittler konzedieren der Assistance eine sehr hohe oder hohe Bedeutung), zeigt sich auch die Wahrnehmung der einzelnen Assistance-Mehrwertkomponenten auf einem konstant hohen, im Vergleich zu den Vorjahren sogar zunehmenden Niveau. Vermittler erkennen in den Mehrwertkomponenten der Assistance einen wichtigen Treiber ihres Geschäftsmodells. Im Einzelnen bewerteten die Vermittler den Mehrwert der Assistance wie folgt:

  • Assistance dient der Imageverbesserung eines Versicherungsunternehmens: 76% der Vermittler (1 Prozentpunkt über Vorjahr und 9%-Punkte über bisherigem Durchschnittswert) stimmen dieser Aussage zu; drei Viertel aller Vermittler sehen in Assistance eine imagefördernde Wirkung;
  • Assistance ist ein Instrument zur Kundenbindung und zur Verringerung der Stornoquote: 63% der Vermittler (1%-Punkt unter Vorjahr, aber 4%-Punkte über bisherigem Durchschnittswert) stimmen dieser Aussage zu; knapp zwei Drittel der Vermittler erkennen in Assistance-Leistungen ein wichtiges Element für ihren Geschäftserfolg;
  • Assistance dient als Instrument der Produkt- und Sortimentserweiterung: 69% der Vermittler (6%-Punkte über Vorjahr und gut 7%-Punkte über bisherigem Durchschnittswert) stimmen dieser Aussage zu; knapp 70% der Vermittler erkennen in Assistance-Leistungen einen wichtigen Baustein für ihr Geschäftsmodell;
  • Assistance dient als Werbeinstrument: 64% der Vermittler (2%-Punkte unter Vorjahr und 4%-Punkte über bisherigem Durchschnittswert) stimmen dieser Aussage zu; erneut erkennen zwei Drittel der Vermittler die Werbewirksamkeit der Assistance;
  • Assistance dient als Instrument einer effizienten Schadenbearbeitung: 71% der Vermittler (1%-Punkt über Vorjahr und 8%-Punkte über bisherigem Durchschnittswert) stimmen dieser Aussage zu;
  • Assistance dient als Instrument zur Steigerung der Kundenzufriedenheit: 81% der Vermittler (1%-Punkt über Vorjahr und 7%-Punkte über bisherigem Durchschnittswert) stimmen dieser Aussage zu; vier Fünftel der Vermittler erkennen den hohen Mehrwertfaktor der Assistance;
  • Assistanceangebot als Instrument der Neukundengewinnung: Nur 53% der Vermittler (3%-Punkte unter Vorjahr aber 5%-Punkte über bisherigem Durchschnittswert) stimmen dieser Aussage zu; eine leichte Mehrheit der Vermittler spricht Neukunden über Assistance-Elemente an;
  • Assistance als Instrument zur Serviceoptimierung eines Versicherungsunternehmens: 83% der Vermittler (analog Vorjahr aber 7%-Punkte über bisherigem Durchschnittswert) stimmen dieser Aussage zu; mehr als vier Fünftel aller Vermittler erkennt die hohe Servicekomponente der Assistance;
  • Assistance als Veredelungsprodukt zur Arrondierung der Versicherungsleistung: 64% der Vermittler (5%-Punkte unter Vorjahr aber 10%-Punkte über bisherigem Durchschnittswert) stimmen dieser Aussage zu; zwei Drittel der Vermittler erkennen den Qualität steigernden Effekt der Assistance;
  • Assistance als Instrument zur Profilbildung eines Versicherers: 55% der Vermittler (1%-Punkt unter Vorjahr, jedoch 4%-Punkte über bisherigem Durchschnittswert) stimmen dieser Aussage zu; eine leichte Mehrheit der Vermittler sieht in Assistance einen USP (Unique Selling Proposition);
  • Assistance als Mittel zur Kosteneinsparung: 44% der Vermittler (2%-Punkte über Vorjahr, 3%-Punkte über bisherigem Durchschnittswert) stimmen dieser Aussage zu; eine steigende Vermittlerzahl sieht in Assistance eine Möglichkeit zur Schadenkostenreduktion;
  • Assistance zur Erfüllung von Marktstandards: 66% der Vermittler (8%-Punkte unter Vorjahr und 7%-Punkte unter bisherigem Durchschnittswert) stimmen dieser Assistance-Funktion zu; Assistance gilt zwar für zwei Drittel der Vermittler als Marktstandard, eine zunehmende Zahl sieht aber in Assistance mittlerweile mehr als nur ein Standardangebot;
  • Immerhin 76% der Versicherungsvermittler stuften die Bedeutung der Assistance für ihr heutiges Geschäftsmodell als sehr hoch bis hoch ein.

Assistance als Geschäftsmodell der Versicherungswirtschaft?

Neben der aufgezeigten Ist-Bewertung sollten die Vermittler auch eine Aussage zum Stellenwert der Assistance in der Zukunft abgeben. Mit einem im Vergleich zum Mittelwert der Vorjahre um 4%-Punkte höheren Zustimmungswert von 70% (analog zum Vorjahr) erwarten die Vermittler eine zunehmende Bedeutung versicherungsbetriebswirtschaftlicher Assistance-Leistungen in der Zukunft. Diese konstant hohe Zustimmung dokumentiert die Erwartungshaltung der Vermittler an die Verkaufspotenziale von Assistance- und Serviceleistungen. Insbesondere Makler/Mehrfachagenten sowie der gebundene Außendienst (Ausschließlichkeit) erweisen sich in der Bewertung der Assistancebedeutung für die Zukunft als besonders optimistisch. 27% der Vermittler erwarten eine gleichbleibende Bedeutung der Assistance in der Zukunft (bisheriger Mittelwert lag bei knapp 31%). Somit gehen fast alle Vermittler (97%) von der zukünftigen Bedeutung der Assistance für ihr Geschäftsmodell aus. Eine vernachlässigbare und über den Erhebungszeitraum abnehmende Gruppe von 3% der Vermittler erwarten für die Assistance in der Zukunft eine abnehmende Bedeutung, weitere 3 Vermittler (im Vorjahr 4) können mangels inhaltlicher Kenntnisse zum Assistance-Markt keine Angabe zu dieser Frage machen.

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Zurückhaltung im Assistance-Angebot

p> Eine im Laufe der Jahre nur moderat ansteigende, wenig stabile Affinität der Versicherungsvermittler zu Assistance-Leistungen zeigt sich auch in deren Einschätzung zur betriebswirtschaftlichen Effizienz. Aktuell würden 33% der Vermittler unterstellen, dass Assistance-Angebote ihre Produktion gesteigert haben. Mit diesem Votum wird zwar der bisherige Mittelwert leicht übertroffen, der Vorjahreswert aber um 3%-Punkte verfehlt. Somit sind weiterhin zwei Drittel der Vermittler der Meinung, durch Assistance keine Produktionssteigerung erzielt zu haben. Auch in der Frage, ob Assistance-Leistungen zu einer erhöhten Kundenbindung führen, zeigt sich eine bedenkliche Entwicklung. Nur 33% der Vermittler (7%-Punkte weniger als Im Vorjahr) unterstellen der Assistance eine deutliche Kundenbindung, 45% eine geringfügige. 22% der Vermittler verneinen den Effekt einer Kundenbindung. Personifizierte Serviceleistungen fokussieren in erster Linie eine Erhöhung der Kundenbindung – diesen zweifelsohne durch Assistance erzeugten Mehrwert wollen Vermittler, vielleicht zum Schutz ihrer eigenen, unterstellten Kundenbindungswirkung, relativieren.

Zurückhaltung im Assistance-Angebot

Vor dem Hintergrund einer gewissen Skepsis gegenüber Service- und Assistanceelementen wurden die Vermittler zu potenziellen Hindernissen für Verkauf oder Angebot von Assistance-Leistungen als Kuppelprodukt der Versicherungsleistung befragt. Dabei wurden die Hindernisse für den Assistance-Verkauf im Vergleich zu den Vorjahren erneut heterogen bewertet:


Abschließend wurden die Versicherungsvermittler auch im Assistance-Barometer 2021 zur Rolle sowie zur Bedeutung der Assistancephilosophie in ihrer Verkaufsargumentation befragt. Spielte in den Jahren 2014 und 2015 Assistance in der Verkaufsargumentation für über 40% der Vermittler keine Rolle, so hat sich diese ablehnende Haltung in den letzten Jahren auf aktuell nur noch 6% aller Vermittler reduziert. Angesichts dieser Veränderung von über 35%-Punkten muss die immer noch verhaltene Nutzung dieses Verkaufspotenzials irritieren, ist doch für 94% aller Vermittler Assistance ein Verkaufsargument.

  • So zeigt das aktuelle Assistance-Barometer, dass für erneut 69% der Vermittler Assistance eine Premiumleistung für anspruchsvolle Kunden darstellt (Zustimmungsmittelwert aller Vorjahre lag bei 52%).
  • Ebenso nutzen ansteigende 83% der Vermittler Assistance zur Darstellung eines Zusatznutzens – auch dieser Wert hat sich gegenüber dem bisherigen Mittelwert von 65% deutlich gesteigert.
  • Dagegen glaubt nur eine Minderheit von 19% der Vermittler (entspricht Mittelwert der Vorjahre), dass ihr Versicherungsprodukt primär durch Assistance-Leistungen verkauft wird.
  • Aber für nochmals leicht ansteigende 66% der Vermittler (Mittelwert der Vorjahre 48%) stellen Assistance-Produkte einen unverzichtbaren Bestandteil guter Versicherungsberatung dar.
  • Zu den Vorjahren gleichbleibende 67% der Vermittler (Mittelwert der Vorjahre 54%) nutzen Assistance-Leistungen als Unterscheidungsmerkmal zum Wettbewerb sowie zum Aufbau einer Unique Selling Proposition.
  • Während in den ersten Jahren von 302 Befragten kein Vermittler zugab, seine Provisionseinnahmen mittels Assistance erhöhen zu wollten, gaben dies in den letzten 6 Jahren durchschnittlich 23% aller Befragten zu Protokoll. Offenbar erkennen die Vermittler in der Assistance tendenziell ein Umsatzpotenzial.

Fazit

Im vierzehnten Jahr der deutschlandweiten Servicestudie «Assistance-Barometer» 
werden Assistance-Leistungen, vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, als Sozialisationselemente verstärkt von privaten Haushalten nachgefragt und entwickeln sich somit zu einem integralen Bestandteil einer Erwartungshaltung sozialer Nachhaltigkeit.
Der «Problemlöser-Ansatz» einer individualisierten, auf den Versicherungsnehmer zugeschnittenen Serviceleistung, bietet selbst einer auf digitale Prozesse beschränkten Versicherungswirtschaft die Möglichkeit, ihren Versicherungsnehmern personalisierte Problemlösungen im Sinne einer „Lifetime Partnership“ anbieten zu können und somit einer sozialen Nachhaltigkeit gerecht zu werden.
Via Assistance können Versicherungsunternehmen ihren, in digitalen Welten nach Service suchenden Kunden eigene Ökosysteme anbieten und Assistance als differenzierendes Geschäftsmodell ihrer austauschbaren Produkte gestalten.

Autoren:
Prof. Dr. rer. pol. Matthias Müller-Reichart (Hochschule RheinMain, Lehrstuhl für Risikomanagement an der Wiesbaden Business School, Studiengangleitung Insurance and Banking), Daniel Haisch (Director Marketing & Customer Experience Management der Europ Assistance SA, Ndl. f. Deutschland), 


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