Die Finanzaufsicht BaFin droht kapitalschwachen Lebensversicherern damit, dass ihnen die Lizenz für das Neugeschäft entzogen wird. Sollte sich abzeichnen, dass ein Versicherer bis 2032 die Kapital-Anforderungen der EU-Richtlinie „Solvency II“ nicht erfüllen könne, so könne die Behörde die Anwendung der bis dahin geltenden Übergangsregeln verbieten. „Dies könnte dazu führen, dass der Versicherer in letzter Konsequenz kein Neugeschäft mehr schreiben darf. Das wäre schon ein schwerwiegender Eingriff“, sagte Bafin-Exekutivdirektor Frank Grund der »Börsen-Zeitung«. Zumindest perspektivisch schließe er das nicht aus.

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Der Hintergrund: Die Lebensversicherer müssen der Aufsichtsbehörde einmal pro Jahr sogenannte Berichte zur Solvabilität und Finanzlage (SFCR) vorlegen - und damit ihre Finanzstärke nachweisen. Sie müssen zeigen, dass sie einen ausreichend großen Kapitalpuffer besitzen, um alle Zusagen an die Kunden auch dann bedienen zu können, wenn sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschlechtern. Bis zum Jahr 2032 dürfen sie aber mit erleichterten Regeln rechnen, nachdem die EU die Anforderungen deutlich verschärft hat. Das soll ihnen den Übergang ins strengere Regime erleichtern.

Rund ein Viertel der Anbieter nur mit Übergangshilfen solvent

Die BaFin macht keinen Hehl daraus, dass sie die Lage einiger Lebensversicherer als schwierig einschätzt. Rund ein Viertel der 81 deutschen Anbieter kann die geforderte Solvenz-Kapitalquote von 100 Prozent nur mit den Übergangshilfen erfüllen: das war die Situation 2019 vor der Coronakrise.

Unter anderem fällt den Anbietern auf die Füße, dass sie ihren Kundinnen und Kunden früher hohe Garantien zusagten. Diese müssen mit lang laufenden Papieren abgesichert werden, die in Zeiten niedriger Zinsen kaum noch etwas einbringen: vor allem Staatsanleihen. Entsprechend haben die Versicherer Probleme, die Garantiezusagen zu erwirtschaften.

Doch welche Eigenmittel ein Anbieter bereithalten muss, errechnet sich auch anhand der eingegangenen Risiken. Die Versicherer müssen verschiedene Risiko-Szenarien durchrechnen und Prognosen abgeben, wie sie bei Eintritt eines solchen Szenarios finanziell aufgestellt wären. Erst, wenn diese Extreme tatsächlich eintreten, können manche Versicherer Probleme bekommen. Entsprechend mangelt es den Anbietern an der Risikotragfähigkeit für ein Extremszenario - während sie ihre Pflichten wohl bedienen können, wenn nichts Derartiges passiert.

Zinszusatzreserve sichert Garantien

Insgesamt stehe die Branche aber robust da, wie Frank Grund in dem Interview einschätzt. Rechnet man die Übergangshilfen heraus, erzielten die Lebensversicherer im Vorkrisenjahr 2019 eine Netto-Solvenzquote von 270,2 Prozent: mehr als das anderthalbfache des geforderten Wertes. Entsprechend sieht der BaFin-Chefaufseher in den Bestands-Garantien auch nicht das schwerwiegendste Problem. Die vor zehn Jahren eingeführte Zinszusatzreserve -ein Kapitalpuffer, den Versicherer verpflichtend für zukünftige Garantiepflichten ansparen müssen- sichere die jährlichen Zinszusagen weitestgehend ab.

Auch zur Zinszusatzreserve nennt Grund Zahlen: 2020 mussten die Versicherer etwa elf Milliarden Euro ihrem Finanzpuffer zuführen, für das laufende Jahr erwartet Grund 10,4 Milliarden. 2022 sollen es dann um die neun Milliarden Euro sein, "und von 2023 an wird die jährliche Summe dann voraussichtlich weiter sinken". Auch deshalb, weil die Versicherer im Neugeschäft mittlerweile fast ausschließlich Policen anbieten, die keine oder nur sehr eingeschränkte Garantien vorsehen.

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Wie sich die Lebensversicherer entwickeln und ob sich der Markt von der Coronakrise erholt, hänge aber auch davon ab, wie sich die Realwirtschaft entwickle. "Im Moment machen wir uns keine zu großen Sorgen, aber betrachten schon sorgfältig die Risiken", sagt Grund.

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