Es trifft immer dieselben! Das ist der erste Gedanke, als Frank Plasberg seine Sendung „Hart, aber fair“ mit einem Einspieler eröffnet. Zu Beginn wird ein enttäuschter Rentner gezeigt, der im Jahr 1995 eine Lebensversicherung abgeschlossen hatte. Und der deutlich weniger erhielt, als ihm bei Vertragsabschluss versprochen worden war. Genau gesagt 14.000 Euro weniger, eine stolze Einbuße. Der Mann hat einen Vertrag bei der Ergo und fühlt sich schlecht beraten und getäuscht. Ausgerechnet die Ergo, die zuletzt so oft für Schlagzeilen sorgte! Wieder einmal! Man möchte den Versicherer in den Arm nehmen und ihn trösten, denn er ist ja nun wirklich nicht der einzige, der seine Auszahlungen kappen muss.

Anzeige

Wer waren die Gäste?

Eingeladen waren Anja Kohl, ARD-Börsenexpertin, Sven Enger (Buchautor, ehemals Standard Life), Ralph Brinkhaus, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Finanzexperte der CDU, Ulrich Schneider, Chef des Sozialverbands "Die Paritätische" und Peter Schwark vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Kerstin Becker-Eiselen von der Verbraucherzentrale Hamburg wurde zusätzlich als Expertin befragt.

Es wurde im Verlauf der Talkshow schnell klar, dass die Mehrheit der Anwesenden die Lebensversicherer kritisch bewertet. Anja Kohl und Sven Enger gingen mit der Branche teils hart ins Gericht, Ulrich Schneider will, dass die private Altersvorsorge nicht mehr staatlich gefördert, sondern die gesetzliche Rente gestärkt wird. So blieb es an Peter Schwark, die Versicherer zu verteidigen: mit CDU-Mann Brinkhaus als vermittelnder Instanz.

Ausgangslage: “Es gibt in Deutschland mehr Lebensversicherungen als Lebende“

“Die Deutschen haben es gerne sicher. Es gibt in diesem Land mehr Lebensversicherungen als Lebende!“, so begann Frank Plasberg seine Talk Show, in der über die Zukunft der Lebensversicherung diskutiert werden sollte. Ziemlich genau 90 Millionen Verträge wurden hierzulande abgeschlossen, „in der Hoffnung, etwas vernünftiges zu machen, zum Beispiel im Alter nicht zu verarmen“. Privatvorsorge sei erste Bürgerpflicht, so habe es auch die Politik gepredigt. Deutschland ist nicht nur Fußballweltmeister, sondern sehr wahrscheinlich auch Lebensversicherungsweltmeister.

Aber nun kam der Nullzins – und damit bleiben die Auszahlungen weit hinter den Versprechungen zurück. Hierbei hatte die Sendung zumindest auch einen pädagogischen Effekt. Der Fehler des Rentners aus dem Einspieler: er hatte sich immer auch auf die „nicht garantierten Gewinnanteile für die künftigen Jahre“ verlassen. Also die optimalen Überschüsse laut Prognose, die abhängig vom Kapitalmarkt stark schwanken können. Diese aber sind in den letzten Jahren weggeschmolzen: von knapp 34.900 Euro im Jahr 2000 auf nur noch knapp über 20.000 Euro. „Aussagen zu einer möglichen finanziellen Entwicklung zu einer Lebensversicherung sind immer unverbindlich“, teilte die Ergo auf Anfrage der ARD mit.

“Wort Garantiezins bereits eine Nebelkerze!“

Am Ende kann der enttäuschte Sparer mit seiner Ergo-Lebensversicherung auf eine Rendite von etwas mehr als einem Prozent hoffen, rechnete Kerstin Becker-Eiselen vor, Rechtsanwältin der Verbraucherzentrale Hamburg. Das sei wenig nach so einer langen Anlagezeit.

Anzeige

Aber wie könne es denn sein, dass der Sparer nur einen Prozent erhält, wenn die Ergo doch einen Garantiezins von 3,5 Prozent zugesichert hatte?, fragte Frank Plasberg. Das Wort „Garantiezins“ sei bereits eine Nebelkerze, kritisierte die Verbraucherschützerin. Denn er werde nur auf den Sparanteil gezahlt. Also abzüglich aller Kosten für Vertrieb, Verwaltung und Todesfallschutz. Der Garantiezins sei eben kein garantierter Zins, klagte Becker-Eiselen. „Es ist ein Höchstrechnungszins. Das heißt, mehr dürfen die Versicherer garantiert nicht versprechen“. Branchenvertreter wissen das. Sparer wissen es oft nicht. Und es wird ihnen im Beratungsgespräch auch oft nicht erklärt, kritisierte Becker-Eiselen.

Oft hieß es: Alle gegen Peter

Das war die Ausgangssituation der Diskussionsrunde, und es war für die Befürworter der Lebensversicherung keine günstige. Auch im weiteren Verlauf mussten die Versicherer viel einstecken. Das lag auch ein bisschen an der Zusammensetzung der Runde. Auf der einen Seite saß Peter Schwark, Geschäftsführer des Versicherungsverbandes GDV. Seine Aufgabe war es, die Lebensversicherung zu verteidigen. Auf der anderen Seite saßen beinahe alle anderen. Sven Enger zum Beispiel, ein früherer Versicherungsvorstand, der ein Buch über die die Lebensversicherer geschrieben hat. Kernthese: Bald werden die Lebensversicherer einen Crash erleiden, dann ist viel Geld der Sparer futsch. „Raus aus der Lebensversicherung und retten, was zu retten ist!“, so Engers Rat.

Droht ein Crash der Lebensversicherung?

Sven Enger wiederholte in der Sendung weitgehend das, was auch als Kernthese in seinem Buch „Alt, arm und abgezockt – der Crash der privaten Altersvorsorge“ steht. Dank der Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) haben es die Lebensversicherer zunehmend schwer, ihr Geld gewinnbringend anzulegen. Zudem würden bald viele Babyboomer ins Rentenalter kommen, die mit einem LV-Vertrag vorgesorgt haben. Dann kommen mit einem Mal viele Policen zur Auszahlung. Die Lebensversicherer können das nicht stemmen, es droht ein Crash. Und kommt ein größerer Anbieter zu Fall, dann die ganze Branche.

Anzeige

GDV-Geschäftsführer Peter Schwark trat der These vom Crash der Lebensversicherer tapfer und mit Fakten entgegen. Er verwies auf die strenge Aufsicht durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) und das neue Solvency II-Regime. “Die Aufsicht verlangt nicht nur, dass wir genug Kapital haben, um alle Leistungsversprechungen zu erfüllen. Sie verlangt sogar, dass wir mehr Kapital haben: das sogenannte Solvenz-Kapital, das ist ein Risikopuffer. Im Durchschnitt der Branche erfüllen wir das zum dreieinhalbfachen. Mit 350 Prozent erfüllen wir diese Erfordernisse", so Schwark.

"Pappenheimer in Manndeckung"

Dem widersprach Börsen-Expertin Anja Kohl heftig. „31 von 83 Versicherungen können mit Eigenkapital ihre Verpflichtungen nicht erfüllen“, wendete sie ein und berief sich auf den Stresstest der BaFin. Das sei 2016 gewesen, nicht 2018, erwiderte Schwark: jetzt könnten es alle Versicherer. Fast eine Billion Euro hätte die Branche zusätzlich angespart. Das bestätigte später auch der ARD-Faktencheck. Allerdings müsse berücksichtigt werden, dass viele Versicherer auf Übergangsmaßnahmen angewiesen seien, um die Aufsichtsregeln zu erfüllen.

Dass es durchaus Versicherer gibt, die Probleme bekommen könnten, zeigte ein Einspieler der „Hart aber fair“-Redaktion. Darin wurde Frank Grund zitiert, Chef der BaFin-Versicherungsaufsicht. Er sprach von „Pappenheimern“, die man kenne und „in Manndeckung“ habe. Letztendlich konnte aber GDV-Mann Peter Schwark in dieser Frage einen kleinen Punktsieg einfahren: Am Ende überwogen die Stimmen, die einen Crash der Branche für unwahrscheinlich halten und vor Panikmache warnen.

"Selbst bei geringerer Verzinsung ist Tausch für Sie attraktiv"

Dennoch: Aus Sicht der Versicherungsbranche war die Talkshow ein zwiespältiges Ereignis. Und das lag auch daran, dass den Versicherern durchaus zweifelhafte Umdeckungspraktiken vor Augen geführt worden. Dabei traf es in der Sendung die Generali.

“Selbst bei geringerer Verzinsung ist dieser Tausch sehr attraktiv“

Im Dezember 2017 hatte eine Generali-Kundin einen zwiespältigen Brief von einer „Generali Filialdirektion“ erhalten, berichtete die Redaktion mit einem Einspieler. Der Betreff des Schreibens: „Angebot Generali – kostenloser Produktumtausch“. Darin wird der Kundin vorgeschlagen, ihre hochverzinste Kapitallebensversicherung mit Garantiezins gegen mehrere Fondsrenten ohne Garantien einzutauschen. Der Wechsel habe zahlreiche Vorteile, unter anderem sei eine flexible Geldentnahme schon nach einem Jahr möglich, wirbt der Brief. Auch könne die Laufzeit den individuellen Wünschen angepasst werden.

Abschließend heißt es in dem Schreiben der Generali: „Schauen Sie sich die Unterlagen ruhig an. Selbst bei einer geringeren Verzinsung ist dieser für Sie kostenfreie Tausch sehr attraktiv!“ Kerstin Becker-Eiselen von der Verbraucherzentrale Hamburg klärte auf, dass die Kundin ihren hochverzinsten Altvertrag mit Garantiezins gegen zwei fondsgebundene Rentenversicherungen hätte eintauschen sollen: der Rückkaufswert der Lebensversicherung wäre in einen Vertrag geflossen, die angesparten Überschüsse in einen weiteren Vertrag. Bei beiden Policen sei sogar ein Totalverlust möglich.

Dass dieses Angebot für die Kundin eher nicht attraktiv ist, schon gar nicht bei niedrigerer Verzinsung, darauf konnten sich die Talkshowgäste schnell einigen. Zweifel wurden auch daran laut, ob der Produkttausch tatsächlich kostenlos sei – Frank Plasberg spekulierte, dass für beide Neuverträge auch doppelt Provisionen fließen könnten. „Wir wissen nicht, ob der Umtausch die Marschrichtung des Versicherers ist oder ob hier der Vermittler tatsächlich eine Provision erhalten hätte“, sagte Becker-Eiselen. Die Kundin hatte sich bei der Verbraucherzentrale über den Produktkauf beschwert.

Die Versicherer würden versuchen, die Kunden aus den guten Altverträgen mit hoher Garantieverzinsung rauszulotsen, sagte Becker-Eiselen. „Weil sie offensichtlich zu teuer werden“. Die Generali antwortete der ARD auf Nachfrage: „Auf keine Weise werden unsere Kunden in neue Verträge gedrängt, die nicht dem aktuellen Kundenbedarf entsprechen. Sie beraten lediglich Kunden, die wegen der Niedrigzinsen neue Anlagemöglichkeiten suchen“. Hierauf erklärte Becker-Eiselen wiederum, dass die Kundin nicht aktiv um Rat gesucht hätte, sondern vom Versicherer bzw. der Filialdirektion aktiv angeschrieben worden sei.

"Verscherbeln von Millionen Altverträgen"

Die Versicherer wollen sich von nicht mehr lukrativen Altverträgen trennen: In diese Richtung lief auch die anschließende Debatte über Run-offs, bei der es teils wild durcheinander ging: also, wenn Versicherer ihr Neugeschäft einstellen oder ihre Leben-Bestände gar an externe Investoren verkaufen. Das "Verscherbeln von Millionen Altverträgen an Investoren" werde auch von der Politik kritisch gesehen, sagte CDU-Mann Brinkhaus. Die Politik wolle sich diesem Thema widmen und eine "Komplettbewertung der Branche" vornehmen. Im Klartext: Schlimmstenfalls drohen der Versicherungswirtschaft strengere Aufsichtsregeln.

Auch hier versuchte Schwark, die mitunter schrill vorgetragene Kritik zu relativieren. "Ihr Vertrag ist immer noch bei der Lebensversicherung, bei der Sie abgeschlossen haben", erwiderte er den Vorwurf von Kohl, die Branche liefere ihre Kunden externen Investoren aus China aus. Und hatte Probleme, das zu erklären. Von einer Änderung der Eigentümerstruktur hänge die Sicherheit der Verträge nicht ab, darüber wache die BaFin, erklärte er schließlich. Auch, dass der Investor genug Kapital habe.

Anzeige

Es war letztendlich CDU-Politiker Ralph Brinkhaus, der zwischen Befürwortern und Gegnern oft vermitteln konnte. Und sowohl an die Versicherungsbranche als auch die Verbraucher appelierte: So hätten sich viele Käufer beim Kauf darauf verlassen, dass ihnen bei den Zukunftsprognosen der Lebensversicherer der Höchstwert zugesichert sei – inklusive der nicht garantierten Anteile. „Ich rate ihnen, die Jahreserklärungen der Versicherer genau anzuschauen“, sagte Brinkhaus ans Publikum gewendet. Noch besser wäre es seiner Meinung nach, wenn die Versicherer ihre Policen im Stile der „Sendung mit der Maus“ erklären könnten. Frank Plasberg erwiderte: „Ich weiß von den Kollegen, die die Sendung mit der Maus machen, wie schwierig so etwas ist.“

Seite 1/2/3/

Anzeige