Beinahe täglich werden deutschlandweit Urteile im sogenannten ‚BSV-Komplex‘ gefällt. Am 15.01. auch in mündlicher Verhandlung vor dem Landgericht Hannover. Inzwischen liegt ein schriftliches Urteil vor (Az: 19 O 163/20). Darin wird der Versicherer, die Württembergische, zur Zahlung von Schadenersatz gemäß der Versicherungsbedingungen verurteilt. Im Zentrum stand auch hier die Frage, ob der Hinweis auf die im Infektionsschutzgesetz genannten Krankheiten und -erreger abschließend und der Versicherungsschutz damit wirksam eingeschränkt sei. Die Richter am LG Hannover verneinten diese Frage: „Denn dass es sich lediglich um eine beschränkte Auswahl aus dem gesetzlichen Regelungswerk handelt, wird an keiner Stelle deutlich“, heißt es in dem Urteil, das Versicherungsbote vorliegt. Demnach erhält der Kläger, Betreiber eines Currywurst-Imbiss, 8.241,75 Euro von der Versicherung. Zudem schreiben die Richter: „Zu fordern ist, dass der Versicherer, der das Risiko einer Betriebsschließung aufgrund des Infektionsschutzgesetz abweichend von seiner anfänglichen Beschreibung nur teilweise absichern will, dies hinreichend deutlich macht und den Versicherungsnehmer darüber auch verständlich und vollständig aufgeklärt.“

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Württembergische passt BSV-Bedingungen an

Zumindest dieser Forderung kommt die Württembergische nach und teilte mit, dass man sich bei der Neugestaltung der künftigen BSV-Bedingungen an den Empfehlungen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zum Ausschluss von Pandemien und Epidemien orientiert. Damit soll Versicherten „noch verständlicher“ aufgezeigt werden, in welchen Fällen Versicherungsschutz greift. Die neuen Bedingungen gelten ab März 2021.

In der Angelegenheit mit dem Imbiss-Betreiber aus Hameln geht der Versicherer allerdings in die zweite Instanz. Auf die Frage, warum bei dem vergleichsweise geringen Streitwert eine Berufungsverhandlung wichtig sei, antwortet die Württembergische: „Es geht bei Verfahren rund um die Betriebsschließungsversicherung darum, eine bestehende Rechtsfrage einwandfrei zu klären. Die rechtliche Einschätzung des Landgerichts Hannover in dem von Ihnen angesprochenen Verfahren teilt die Württembergische Versicherung nicht – diese deckt sich auch nicht mit den Entscheiden anderer Gerichte, die uns gegenüber zum Thema Betriebsschließungsversicherung ausgesprochen wurden. Daher haben wir am 11. Februar 2021 Berufung gegen die Entscheidung des Landgerichts Hannover eingereicht.“

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Dass Gerichte zu unterschiedlichen Auslegungen beinahe wortgleicher Klauseln kommen, scheint beim BSV-Komplex besonders häufig der Fall. Dass dies mitunter am gleichen Gericht geschieht, berichtet die Süddeutsche Zeitung. In einem Verfahren wurde dem klagenden Gastronom von der 23. Zivilkammer des LG München I Versicherungsschutz abgesprochen (Az: 23 O 8381/20; nicht rechtskräftig). In der Urteilsbegründung fegt die Kammer Argumente der 12. Zivilkammer des LG München aus vorherigen Entscheidungen vom Tisch. Die 12. Zivilkammer sah mehrfach Verstöße gegen das Transparenzgebotes und entschied deshalb für die Versicherungsnehmer.

BSV-Hotspot München und der Bayerische Kompromiss

Ohnehin haben sich die Landgerichte München I und II zu einer Art „BSV-Hotspot“ entwickelt. 166 Verfahren sind beim LG München I eingegangen, berichtet der Münchener Merkur. Bei den 26 anhängigen Verfahren vor dem LG München II sind insgesamt 3,45 Millionen Euro eingeklagt. Die höchste Forderung beläuft sich dort auf 775.000 Euro.

Neben der Axa und anderen Versicherern zählt auch die Allianz zu den beklagten Gesellschaften. Der Versicherungsriese konnte bisher Urteile gegen sich abwenden. Die Allianz saß auch mit am Tisch, als im April 2020 der sogenannte ‚Bayerische Kompromiss‘ vereinbart wurde.

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Diesen Vergleich sieht Allianz als Erfolgsmodell: „Wir haben den betroffenen Hotel- und Gastronomiebetrieben ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht schnell und unkompliziert Liquidität verschafft – ohne bürokratische Hemmnisse“, zitiert der Münchener Merkur Allianz-Sprecher Christian Weishuber. „Über 77 Prozent der Allianz-Kunden haben diese Hilfen bisher angenommen.“

Einige Anwaltskanzleien hielten den ausgehandelten Vergleich jedoch für unwirksam. Im Norden der Republik erhielt diese Rechtsauffassung einen Dämpfer. So erstritt die häufig für die Versicherungswirtschaft tätige Anwaltskanzlei ‚Bach Langheid Dallmayr‘ (BLD) ein Urteil vor dem Landgericht Flensburg (Az.: 4 O 143 /20). Dessen Tenor fasst die Kanzlei auf ihrer Webseite so zusammen: „Lehnt der Versicherer im April 2020 Leistungen wegen einer coronabedingten Betriebsschließung ab und bietet er dem Versicherungsnehmer gleichzeitig im Wege des Abfindungsvergleichs 15 % der Leistungen an, die er im Falle von Deckungsschutz gezahlt hätte, ist der vom Versicherungsnehmer angenommene Vergleich wirksam und von diesem nicht mehr anfechtbar. Es besteht auch kein Anspruch auf Schadensersatz für den Versicherungsnehmer gegen den Versicherer.“ Allerdings ist das Urteil noch nicht rechtskräftig.

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