Jörg Kasten: Wenn ich das Schlagwort „Visionär“ höre, muss ich unweigerlich an unseren ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt denken: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen". Aber Spaß beiseite. Elon Musk ist definitiv gewieft darin, US-amerikanische Start-ups auf Weltniveau zu heben. Diese One-Man-Show würde in Deutschland aber schlichtweg nicht ganz so erfolgreich funktionieren. Von den bereits erwähnten rechtlichen Mitbestimmungsrechten mal abgesehen, herrscht hier ein völlig konträres Verständnis von erfolgreicher Führung und gutem Management. US-Manager gehen gerne kalkulierte Risiken ein. Die Vorliebe für schnelle und pragmatische Entscheidungen hat aber auch ihre Tücken: So kommt es nicht selten vor, dass Entscheidungen, die montags getroffen wurden, freitags schon wieder obsolet sind. Die Amerikaner arbeiten also nach dem Trial-and-Error-Prinzip.

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Für US-amerikanische Manager in Deutschland kann diese Herangehensweise schnell zum Problem werden. Sie würde hierzulande als Schlingerkurs und wankelmütiger Führungsstil wahrgenommen. US-amerikanische Manager in Deutschland verzweifeln zudem leicht am Tempo und den oft langwierigen Prozessen. Frustration macht sich schnell breit, wenn sie die Dinge nicht in der amerikanischen Geschwindigkeit umsetzen können. Eine Erfahrung, die auch Elon Musk gerade in der märkischen Provinz Grünheide macht.

Stichwort Digitalisierung: Brauchen Führungskräfte heute vermehrt technisches Verständnis, um etwa den Strukturwandel in Konzernen zu begleiten? Um bei den beiden Beispielen zu bleiben: sowohl Bezos als auch Musk haben einen technischen Abschluss und keinen ökonomischen. Entsteht hier vielleicht sogar ein neuer Typus, eine Art "Technical Leader"?

Ich glaube nicht, dass erfolgreiche Führungskräfte die technischen Zusammenhänge en détail verstehen müssen. Im Gegenteil: Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, sie sollten es gar nicht. Vielmehr ist eine wichtige Führungskompetenz, denjenigen Vertrauen entgegenzubringen, die wissen, wie es geht – und auf Grundlage deren Rats und Empfehlungen entweder richtungsweisende Entscheidungen zu treffen oder den Experten die nötigen Freiheiten zu gewähren. Grundvoraussetzung für ein konstruktives und wertschöpfendes Miteinander ist allerdings, dass Führungskräfte digitalen Technologien gegenüber aufgeschlossen sind. Denn wer Verantwortung trägt und Technologie mit Argwohn sieht, gefährdet die Zukunftsfähigkeit des gesamten Konzerns.

Welche Bedeutung haben Quereinsteiger im Topmanagement, vielleicht aus fremden Branchen? Gibt es hier einen Wandel?

Das war und ist leider immer noch schwierig, auch wenn die Akzeptanz allmählich zunimmt. Wir kennen mittlerweile viele gute Beispiele von Führungskräften aus anderen Branchen. Das ist auch nicht verwunderlich, denn letztlich kommt es an der Spitze viel auf Situationsbewältigung an. Wenn also ein Top-Manager aus einer Bank über Jahre Erfahrung mit der Digitalisierung gesammelt und sein Unternehmen gegen innovative, junge Wettbewerber behauptet hat, ist er für eine Branche, die diese Phase noch nicht durchlebt hat, sicherlich sehr wertvoll. Immer nur auf die Branchen-eigenen Top-Kandidaten zu schauen ist auf Dauer nicht förderlich – ganz einfach, weil die Konkurrenz dies auch nicht tut, sondern ihre Kandidaten danach auswählt, welche Eigenschaften konkret benötigt sind. Ein Top-Manager, der verstanden hat, was Kunden in bestimmten Märkten heute von Produkten und Services erwarten, kann also gleichermaßen für einen Automobilhersteller als auch für ein Versicherungsunternehmen interessant sein. Meiner Ansicht nach gehört es daher zur Aufgabe eines guten Headhunters, immer mal wieder Wildcards ins Spiel zu bringen und über den Branchen-Tellerrand zu schauen. Auch Elon Musk baut nicht nur Elektroautos.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig

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