Traditionell haben die Sparkassen als öffentliche Körperschaft den Auftrag, die Deutschen beim Sparen zu unterstützen. Man sei keine „08/15-Bank“, so wirbt die Finanzgruppe für sich selbst: sondern sauberer, schneller, näher am Kunden. Doch nicht erst seit der Finanzkrise 2008 bekommt das Image Kratzer: damals hatten auch die Sparkassen den Kunden hochriskante, toxische Papiere als vermeintlich sichere Altersvorsorge aufgebrummt. Auch im abgelaufenen Geschäftsjahr 2019 produzierten die Geldhäuser viele Negativschlagzeilen.

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200.000 Prämiensparverträge gekündigt

Bereits bekannt war, dass die Sparkassen viele Sparer aus hochverzinsten Prämienspar-Verträgen werfen, wenn sich diese für die Institute nicht mehr lohnen. Recherchen des Online-Portals biallo.de zeigen nun das Ausmaß dieser Kündigungen. So seien allein im Geschäftsjahr 2019 rund 200.000 Sparer einseitig aus ihren Verträgen gedrängt worden, wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) mit Bezug auf das Finanzportal berichtet.

Mit Blick auf die einzelnen Bundesländer sei Bayern Spitzenreiter bei Kündigungen. Hier hätten 34 regionale Sparkassen ihre Prämiensparverträge gekündigt. Es folgten Niedersachsen mit 13 und Nordrhein-Westfalen mit sieben Instituten. Dies bedeutet aber nicht, dass sich alle Sparkassen von diesen Verträgen trennen: seit Beginn der Kündigungswelle 2015 hätten 90 der aktuell 385 Institute die Sparer vor die Tür gesetzt.

In der Regel handelt es sich bei diesen Verträgen um das Modell „Prämiensparen flexibel“ oder ähnlich funktionierende Policen. Diese Verträge sehen neben einem niedrigen Basiszins, der aktuell nahe Null liegt, eine gestaffelte Extraprämie vor. Diese orientiert sich an der Vertragslaufzeit mit dem Grundgedanken, dass der Kunde für seine Treue belohnt werden soll. Zunächst sehr niedrig verzinst, kann die höchste Sparstufe erst nach 15 Jahren Vertragslaufzeit erreicht werden.

Erst nach langer Laufzeit rentieren sich Verträge

Wie die Extraprämie funktioniert, soll ein einfaches Beispiel zeigen: Legt der Kunde monatlich 100 Euro an, summiert sich dies auf 1.200 Euro im Jahr. Nach drei Jahren gibt es drei Prozent Zinsen auf das im dritten Jahr eingezahlte Geld als Extra obendrauf: 36 Euro für mittlerweile 3.600 Euro Sparguthaben. Das ist erstmal nicht viel, weil effektiv nur ein Prozent Zins als Extrabonbon berechnet wird. Dann aber steigt dieser Bonus in mehreren Stufen weiter an, je länger der Kunde den Vertrag hält. Nach 15 Jahren erreicht er schließlich die höchste Sparstufe: 50 Prozent der Sparsumme, die im laufenden Jahr an Beitrag eingezahlt wurde. 600 Euro werden nun als Prämie gutgeschrieben, während 20.000 Euro auf dem Konto liegen.

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Die Sparkassen bewarben diese Verträge mit einer flexiblen Laufzeit. „Sie allein bestimmen, wie lange Sie sparen wollen“, hieß es in den Prospekten für die Sparpläne. Modellrechnungen der Bankberater bezogen sich auf eine Laufzeit von 25 Jahren. Dennoch begannen die Institute ab 2015 einseitig, den Sparern zu kündigen: in Zeiten niedriger Zinsen entwickelte sich das Modell zum Zuschussgeschäft, je länger der Kunde die Verträge hält. Ein umstrittenes Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) bestätigte, dass die Geldhäuser nach 15 Jahren ihre Kunden aus dem Vertrag werfen dürfen: trotz anders lautender Aussagen in Werbeprospekten und Beratungsgesprächen (der Versicherungsbote berichtete).

Falsch berechnete Zinsen sorgen weiter für Ärger

Weiterhin für Ärger sorgen auch vermeintlich falsch berechnete Zinsen bei diesen Sparverträgen, viele frustrierte Kunden ziehen vor Gericht. So berichtet der Bayerische Rundfunk, dass die Stadtsparkasse München aktuell wegen falsch berechneter Prämiensparverträge verklagt worden sei. Konkret geht es auch hier um den Vertrag „Prämiensparen flexibel“. Dem Betroffenen, der den Vertrag 2003 abgeschlossen habe, seien nach Berechnungen eines Kreditsachverständigen 8.200 Euro zu wenig gutgeschrieben worden.

“Zum Nachteil des Kunden gerechnet“

Ein Einzelfall ist auch das nicht, wie der Versicherungsbote bereits berichtete: zehntausende Sparer dürften zu wenig Zins erhalten haben. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) listet aktuell knapp 140 Institute auf, die den Kunden mutmaßlich einen zu geringen Zinssatz berechnet haben.

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Darüber hinaus führt die Verbraucherzentrale Sachsen aktuell Musterfeststellungsklagen gegen die Erzgebirgs-Sparkasse und die Sparkasse Leipzig. Bei einer Stichprobe von 350 untersuchten Verträgen stellten die Verbraucherschützer einen durchschnittlichen Fehlbetrag von 6.000 Euro fest. Insgesamt 3.700 Prämiensparverträge haben die Leipziger nach eigenen Angaben im Jahr 2019 überprüft.

Das Problem: Die Sparkassen beriefen sich bei den Sparverträgen auf eine Klausel, die es erlaubt, fallende Zinsen schneller an den Kunden weiterzugeben: zu dessem Nachteil. Der Bundesgerichtshof (BGH) erklärte die Klausel in mehreren Urteilen für unwirksam (u.a. BGH-Urteil vom 17.02.2004, AZ: XI ZR 140/03 sowie BGH-Urteil vom 14.03.2017, XI ZR 508/15). Sie sei nicht nur intransparent, sondern orientiere sich zudem am falschen Referenzzins: statt langjährigen Anleihen wie vom Gesetzgeber vorgegeben rechneten die Geldhäuser auch kurzfristige Papiere ein. Nun sehen sich die regionalen Institute mit einer Klagewelle konfrontiert - und müssen unter Umständen ihren Kunden immense Summen nachzahlen (der Versicherungsbote berichtete).

Sascha Straub von der Verbraucherzentrale Bayern bestätigt nun dem „Bayrischen Rundfunk“, dass auch im Freistaat viele Sparer betroffen seien. “Über 600 Fälle haben wir bereits berechnen lassen und können dazu sagen: In all diesen Fällen ist zu Ungunsten der Sparer gerechnet worden“, so Straub. Dem entgegen argumentiert die Stadtsparkasse München: “Die von uns verwendete Methode zur Zinsberechnung erfüllt alle rechtlichen Anforderungen. Somit werden auch die höchstrichterlichen Vorgaben erfüllt."

"Ich empfand das als Vertrauensbruch"

Für die Sparkassen bedeuten die aktuellen Schlagzeilen mehr als nur schlechte Presse: der Imageschaden dürfte groß sein. So berichten die Verbraucherzentralen von wütenden und enttäuschten Kunden. Der Mitteldeutsche Rundfunk zitiert einen Sparer, dem laut Berechnungen der Verbraucherzentrale Sachsen 9.000 Euro zu wenig ausgezahlt wurden.

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"Wo ich dann die Zahl gesehen habe, war ich natürlich schon erstmal schockiert", sagte der Sparer dem MDR. Ich empfand das auch als Vertrauensbruch. Wenn ich aus meinem Privateigentum jemandem etwas gebe, dann erwarte ich, dass damit auch ordentlich und sachlich umgegangen wird".

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