Schlechte Nachrichten für Altersvorsorge-Sparer! Wobei ich mich an dieser Stelle korrigieren möchte: „Altersvorsorge“ ist vielleicht der falsche Begriff. Ich schlage stattdessen die Formulierung „vorübergehende Vorsorge für eine mittelfristige Lebensspanne“ vor. Oder: „Vorsorge, so lange es der Bank gefällt“. Denn bis zum Alter schaffen es die Sparer im vorliegenden Fall gar nicht. Zumindest nicht, wenn sie einen hochverzinsten Sparvertrag bei einer Sparkasse abgeschlossen haben. Dieser darf unter bestimmten Umständen gekündigt werden: schon nach 15 Jahren, so hat der Bundesgerichtshof (BGH) am Dienstag entschieden (XI ZR 345/18).

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Staffelweise steigt die Prämie: abhängig von Vertragslaufzeit

Konkret geht es um den Sparvertrag „Prämiensparen flexibel“, den die Sparkassen in den Jahren 1996 bis 2004 vertrieben haben. Der Vertrag sah neben einem variablen Basiszins, der zur Zeit, dem Zinsniveau entsprechend, nahe Null liegt, eine gestaffelte Prämie vor. Und diese Extra-Gutschrift belohnte die Kunden für ihre Treue: Sie orientierte sich an der Vertragslaufzeit.

Wie diese Prämie funktioniert, sei hier stark vereinfacht dargestellt. Legt der Kunde monatlich 100 Euro an, summiert sich dies auf 1.200 Euro im Jahr. Nach drei Jahren gibt es drei Prozent Zinsen auf das im dritten Jahr eingezahlte Geld als Extra obendrauf: 36 Euro für mittlerweile 3.600 Euro Sparguthaben. Das ist erstmal nicht viel, weil effektiv nur ein Prozent Zins als Extrabonbon berechnet wird.

Dann aber steigt dieser Bonus in mehreren Stufen weiter an, je länger der Kunde den Vertrag hält. Nach 15 Jahren erreicht er schließlich die höchste Sparstufe: 50 Prozent der Sparsumme, die im laufenden Jahr an Beitrag eingezahlt wurde, wird als Prämie gutgeschrieben. Also 600 Euro, während nun 20.000 Euro auf dem Konto liegen würden. Das sind nach dieser langen Spanne schon drei Prozent Prämie auf das angesparte Guthaben. Für jedes weitere Jahr wird ebenfalls der Höchstbetrag als Bonus berechnet: scheinbar, so dachten die Kunden, unbefristet.

Kündigungswelle im Niedrigzins

Zehntausende Sparer hatten sich „Prämiensparen flexibel“ ins Haus geholt, nachdem die Sparkassen das Produkt über Jahre in ihren Filialen angepriesen hatten. Prämiensparverträge wurden ein Bestseller, speziell auch in Ostdeutschland. Doch im Niedrigzins rechneten sich die Angebote für die öffentlichen Banken nicht mehr. Die vertraglich garantierten Prämien wurden zum Ärgernis, weil die Geldhäuser selbst Probleme hatten, die Prämien zu erwirtschaften. Altverträge mit hohen Garantien: ein Zuschussgeschäft.

So folgte ab 2016 eine Kündigungswelle. Viele Sparkassen begannen, ihre Kunden mit einer dreimonatigen Frist aus ihren Altverträgen zu werfen, in der Regel, wenn sie 15 Jahre Sparzeit bereits erreicht hatten. Die Institute beriefen sich darauf, dass keine feste Vertragslaufzeit vereinbart worden sei. Die Quittung kam umgehend: Hunderte Sparer sahen sich getäuscht und klagten gegen die Geldinstitute.

Am Dienstag nun hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass zu Recht den Sparern gekündigt werden darf. Die Begründung lässt aufhorchen. Denn das oberste Zivilgericht Deutschlands sah sich mit der Tatsache konfrontiert, dass die Sparpläne mit einer Laufzeit von 25 Jahren und länger beworben wurden, und zwar: aggressiv beworben, als Finanzpuffer für die Altersvorsorge. Für das Urteil spielte das dann keine Rolle.

Sparkassen warben mit 25 Jahren Laufzeit — "Sie allein bestimmen, wie lange!"

Im verhandelten Rechtsstreit ging es unter anderem um einen Vertrag, bei dem der Bankberater einen Flyer beim Beratungsgespräch vorgelegt hatte. In dem Dokument wurde mit einer Laufzeit von 25 Jahren gerechnet. Der Berater hatte sogar die Zahl „25“ rot eingerahmt und handschriftlich einen Zinssatz von drei Prozent vermerkt. Zugleich lautete das Werbeversprechen des Flyers: „Sie allein bestimmen, wie lange Sie sparen wollen!“ Das vermeintliche Ende der Vertragslaufzeit hatte der Bankberater dem Kunden auf den Tag genau genannt.

Ist das keine schutzwürdige Zusicherung der Sparkasse, dass die Verträge ohne Limit bespart werden dürfen, und zwar für mindestens 25 Jahre? Hätte der Bankberater andernfalls gar warnen müssen, dass die Sparkasse ein einseitiges Kündigungsrecht hat? So hatte den Vorgang „Finanztest“ interpretiert und enttäuschten Kunden zum Widerspruch geraten.

Die Begründung der Verbrauchertester: Dank der Modellrechnungen in den Prospekten und dem Werbeslogan: „Sie allein bestimmen!…“ sei die unbefristete Laufzeit des Sparplans zum Vertragsbestandteil geworden. Ähnlich argumentierte die Leipziger Kanzlei Stolpe Rechtsanwälte, die selbst rund 300 Sparer vertrat, gegenüber dem Versicherungsboten. Es gelte der Grundsatz, dass einmal geschlossene Verträge einzuhalten seien. Die Kündigungen wären folglich rechtswidrig.

AGB-Klausel: Bundesgerichtshof nennt Niedrigzins als "sachgerechten" Kündigungsgrund

Der Bundesgerichtshof unter dem Senatsvorsitz von Jürgen Ellenberger wertete das anders — und erlaubt den Sparkassen eine vorzeitige Kündigung schon nach 15 Jahren. Denn eine für Laien schwammige Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) wird nun auf den aktuellen Niedrigzins angewendet, um das vorzeitige Vertragsende zu rechtfertigen.

Konkret heißt es in den AGB: „Soweit weder eine Laufzeit noch eine abweichende Kündigungsregelung vereinbart sind, können der Kunde und bei Vorliegen eines sachgerechten Grundes auch die Sparkasse die gesamte Geschäftsbeziehung oder einzelne Geschäftszweige jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen“.

BGH-Sprecherin Dietlind Weinand erklärt nun zu der Klausel: "Der Bundesgerichtshof sieht die langdauernde Niedrigzinsphase als einen sachgerechten Grund für eine Kündigung an“. Doch was bedeutet sachgerechter Grund? Die Hürden hierfür sind niedrig. "Der sachgerechte Grund verbietet allein eine willkürliche Entscheidung, das heißt, die Kündigung muss aus kaufmännischer Sicht nachvollziehbar sein", schreibt das Finanz Colloquium Heidelberg (FCH) mit Blick auf ein Urteil der Vorinstanz.

Broschüre enthalte lediglich "werbende Anpreisungen"

Der rechtmäßigen Kündigung widerspreche laut BGH auch nicht der Werbeflyer für die Sparverträge, in der die Entwicklung des Sparguthabens über 25 Jahre dargestellt werde. Die Aussagen in der Broschüre seien "lediglich werbende Anpreisungen" und eben kein Vertragsbestandteil. Zur Erinnerung: Diese Prospekte wurden in den Beratungsgesprächen genutzt, um den Kunden das Produkt zu erklären und sie zum Vertragsabschluss zu bewegen. Das Versprechen laut Broschüre: "finanzielle Sicherheit im Alter"!

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Dass die Sparkassen den Vertrag dennoch wenigstens 15 Jahre durchhalten müssen, ist dem „besonderen Bonusanreiz“ zu verdanken, den diese Policen setzen. Dem Kunden muss es nämlich möglich sein, wenigstens einmal die vereinbarte Bonusstaffel von 50 Prozent Sparbeitrag auszuschöpfen, argumentiert der BGH. In manchen Medien wird das als Stärkung der Verbraucherrechte gewertet. Das kann man auch anders sehen. Rein theoretisch ist es den Banken dann möglich, jederzeit zu kündigen, wenn keine solche Staffelung im Sparvertrag vereinbart ist bzw. kein "besonderer Bonusanreiz" gesetzt wurde.

Banken und Sparkassen als Sieger?

Die Sparkassen können sich nun als Sieger sehen: zumindest auf den ersten Blick. Es ist rechtens, sich vorzeitig von den Kunden zu trennen, wenn sich im Niedrigzins ein Vertrag nicht mehr rechnet. Doch die dahinterstehende Botschaft ist fatal. Banken können Kunden vorzeitig aus dem Sparvertrag werfen, wenn er sich für die Institute nicht lohnt und sie entsprechende Klauseln in den AGB versteckt haben. Und sie sind auch gewillt, dies zu tun. Vertrauen schafft das nicht gerade.

"Verträge sind nicht auf Ewigkeit geschlossen!", sagt der Sparkassen-Chef

Fast selbstverräterisch wirkt hier das Statement eines Sprechers des Banken- und Giroverbandes. „Bei sehr lang laufenden Verträgen“ müsse es möglich sein, „auf veränderte wirtschaftliche Bedingungen angemessen reagieren zu können“, gab er zu Protokoll. Also einseitig die Verträge zu Ungunsten des Sparers abändern oder ihn gar rauswerfen? „Zu einer Zeit, als diese Verträge abgeschlossen wurden, konnte sich keiner vorstellen, dass wir mal eine Welt mit Negativzinsen bekommen", sagt Sparkassen-Präsident Helmut Schleweis dem "Handelsblatt" und bittet um Verständnis. Nach seiner Einschätzung "sind Verträge grundsätzlich nicht auf Ewigkeit geschlossen“.

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Solche Aussagen lassen aufhorchen: Empfehlen doch auch Experten, mit der Altersvorsorge zeitig zu beginnen und die Verträge lang durchzuhalten. Egal, wie sich die Situation an den Finanzmärkten gestaltet: Wer für das Alter vorsorgt, will und braucht Sicherheiten, auch um vom Zinseszins-Effekt zu profitieren:

Geld, das verzinst wird, führt zu einer steigenden Anlagesumme. Und auf die Zinsen werden dann wiederum Zinsen gezahlt, gemeinsam mit dem angesparten Kapital, das ja auch verzinst wird. Je länger der Sparer den Zins „arbeiten lässt“, desto mehr ist im Topf: denn Zinsen steigen exponentiell. Das heißt, der Zinseszinseffekt wirkt sich zunächst eher langsam aus, wirkt dann aber immer schneller und stärker. Ein zeitiger Beginn und Treue werden belohnt.

Hier wirkt das BGH-Urteil nun regelrecht kontraproduktiv, ebenso die Statements der Bankenfunktionäre. Ein Kündigungsrecht nach 15 Jahren als "nicht für die Ewigkeit" zu bezeichnen, führt langfristige Vorsorgeplanung geradezu ad absurdum: Selbst für den geplanten Provisionsdeckel in der Lebensversicherung wird eine deutlich längere Vertragslaufzeit von 35 Jahren vermutet. Der Bundesgerichtshof erlaubt nun den Anbietern, einen Sparvertrag schon nach wenigen Jahren zu kündigen: Für die Befürworter der privaten Altersvorsorge ein Bärendienst.

Lebensversicherung: Laufzeiten gelten

Der Imageschaden für die private Altersvorsorge könnte enorm sein. Schon jetzt verzichten speziell junge Menschen komplett darauf, etwas für die finanzielle Absicherung im Alter zu tun, wie eine repräsentative Umfrage von Kantar Public im Auftrag des Versorgungswerkes Metallrente zeigt. Stimmten 2010 noch 39 Prozent der 17-27jährigen zu, dass sie fürs Alter vorsorgen, so waren es 2019 nur noch 32 Prozent. Und doch könnten gerade die Lebensversicherer von diesem Urteil profitieren. Die Versicherer müssen bei kapitalbildenden Leben-Verträgen Laufzeiten unbestritten einhalten und die Garantien erfüllen: ein Fakt, mit dem klevere Vermittler nun werben könnten (der Versicherungsbote berichtete).

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Dennoch: Aus Sicht der Verbraucher ist das Urteil des Bundesgerichtshofes kein gutes. Für die Richter spielte es keine Rolle, dass die Bankberater im Gespräch mit ihren Kunden explizit auf die Musterrechnungen in den Werbeflyern Bezug genommen hatten. Die dort enthaltene Vertragslaufzeit von 25 Jahren stelle „lediglich ein Rechenbeispiel dar, mit dem keine verbindliche Aussage zur tatsächlichen Laufzeit des Vertrags verbunden sei“, zitiert das Handelsblatt. Der Kunde hätte folglich selbst in den AGB herausfinden müssen, dass die Formulierung „Kündigung nach sachgerechten Grund“ im Niedrigzins dazu berechtigen kann, dass die Bank den Vertrag einseitig aufkündigen darf. Da darf man sich schon fragen, warum überhaupt ein Beratungsgespräch stattfindet, wenn auf solche Details nicht hingewiesen werden muss.

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