Sparkassen und Volksbanken sollen in Sparverträgen unwirksame Zinsanpassungs-Klauseln verwendet haben, die dazu führten, dass die Inhaber teils deutlich weniger Geld erhielten. Überraschend deutlich schlug sich die Finanzaufsicht in den letzten Monaten auf die Seite der Kunden: per Allgemeinverfügung ordnete die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) am 21.06. an, dass die Institute ihre Sparer informieren sollen, dass die Klauseln unwirksam sind. Setzen die Banken die Vorgaben nicht um, kann das als Ordnungswidrigkeit gewertet werden.

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Doch die Banken wehren sich. Mehr als zwei Drittel der deutschen Geldhäuser hat Widerspruch gegen die BaFin-Allgemeinverfügung eingelegt, bisher gingen 1.100 entsprechende Schreiben ein. Das berichtet das „Handelsblatt“ am Samstag. Die Zahl könnte sich sogar noch erhöhen, da nicht alle Posteingänge erfasst seien. Am Freitag lief die Widerspruchsfrist aus. Wenn die BaFin diese Widersprüche nicht anerkennt, können die Banken vor Verwaltungsgerichten klagen: Es droht eine Flut langer Rechtsstreite.

Über eine Million Verträge betroffen

Konkret geht es um sogenannte Prämiumsparverträge, die in den Jahren von 1990 bis 2010 vor allem von Sparkassen und Volksbanken vertrieben wurden: in großer Zahl. 1,12 Millionen Kundinnen und Kunden sollen solche Verträge abgeschlossen haben, berichtet das „Handelsblatt“ und beruft sich auf eine Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine Anfrage des FDP-Finanzexperten Frank Schäffler.

Die Verträge sehen vor, dass das Institut dem Kunden zusätzlich zum Zins eine Prämie bzw. einen Bonus zahlt. Sie ist nach der Vertragslaufzeit gestaffelt und beträgt je nach konkreter Vertragsgestaltung bis zu 50 oder sogar 100 Prozent der auf den Vertrag eingezahlten jährlichen Sparleistung. Der Bonus steigt umso höher, je länger ein Sparer die Police hält.

Doch die Banken hatten eine Art Fallstrick in die AGB eingebaut, die es ihnen scheinbar erlaubten, die dauerhaft niedrigen Zinsen am Kapitalmarkt einseitig an Kundinnen und Kunden weiterzugeben. Zinsänderungen wurden oft nur per Aushang in den entsprechenden Instituten bekannt gegeben, für die Sparenden kaum nachvollziehbar. Zudem orientierten sich die Banken hierbei an einem falschen Referenzzins: auch kurzfristige Anleihen wurden in die Verträge eingerechnet, während bei lang laufenden Verträgen das sogenannte Äquivalenzprinzip gewahrt bleiben müsse. Das heißt, der anfängliche relative Abstand des Vertragszinses zum Referenzzins muss über die gesamte Vertragslaufzeit beibehalten werden, so bestätigte der Bundesgerichtshof in mehreren Urteilen. Und erklärte die entsprechenden Klauseln für unwirksam, weil sie die Kunden benachteiligen würden.

Die Banken sehen sich - trotz der Urteile - weiterhin in Recht. Zunächst hatte sich die BaFin um eine einvernehmliche Lösung bemüht: Aber die Banken zeigten kein Entgegenkommen. “Da eine einvernehmliche Lösung mit den Banken gescheitert ist, mussten wir auf diesen verbraucherschutzrelevanten Missstand mittels Allgemeinverfügung reagieren“, sagte BaFin-Exekutivdirektor Thorsten Pötzsch im Juni. Nun droht neuer Ärger - und nach Ansicht des Verbraucherschutzes ein juristisches Hickhack.

Spielen die Banken auf Zeit?

Die BGH-Urteile setzten Sparkassen und Volksbanken aus Sicht der BaFin lediglich in ihren Neuverträgen um: nicht jedoch im Bestand, wo die alten Klauseln einfach weiterhin angewendet wurden. Das Äquivalenzprinzip wurde aus Sicht des Verbraucherschutzes spätestens dann verletzt, als die Banken niedrige Zinsen am Kapitalmarkt zum Nachteil der Sparenden weitergaben: In manchen Fällen sank der variable Zins des jeweiligen Vertrages von mehr als drei Prozent auf 0,001 Prozent.

Doch warum zeigen sich die Banken so hart, wenn vieles gegen sie spricht? Die Verbraucherzentralen vermuten, dass sich auch auf Zeit spielen wollen. Denn die Sparkassen haben bereits unzählige dieser Verträge gekündigt, Ansprüche könnten verjähren. Und es geht um viel Geld. Laut „Handelsblatt“ müssen die Institute Nachzahlungen in Milliardenhöhe fürchten. Auch, um diese Verjährungen zu verhindern, habe die BaFin mit ihrer Allgemeinverfügung den Druck erhöht, schreibt das „Handelsblatt“.

Die Verbraucherzentralen von Bayern und Brandenburg haben anhand tausender Fälle ausgerechnet, dass die Geldhäuser im Schnitt rund 4600 Euro zu wenig zahlten. Einen wichtigen Punktsieg errang die Verbraucherzentrale Sachsen: In einer Musterfeststellungsklage gegen die Sparkasse Leipzig bestätigte das Oberlandesgericht Dresden, dass Sparerinnen und Sparern Nachzahlungen zustehen: auch wenn Details noch offen blieben. "Je nach Fall stehen Betroffenen Nachzahlungen von einigen Hundert bis im Einzelfall über 40.000 Euro zu", sagt Finanzexpertin Andrea Heyer von der Verbraucherzentrale Sachsen der „Tagesschau“.

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Doch in höchster Instanz wurde die Musterfeststellungsklage noch nicht entschieden: Mehrere Klagen der Verbraucherzentrale Sachsen sind vor dem Bundesgerichtshof anhängig. Darauf berufen sich nun auch die Banken und ihre Lobbyverbände: Demnach hätte die Finanzaufsicht diese Urteile abwarten müssen, da Details zu den Zinsberechnungen noch unklar seien. "Es ist erstaunlich, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht damit den Gerichten vorgreift", heißt es in einer Stellungnahme des Sparkassen-Dachverbandes zur Allgemeinverfügung.

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