Zuletzt musste sich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) wiederholt den Vorwurf gefallen lassen, bei scheinbaren Verstößen nicht konsequent genug durchzugreifen: im Wirecard-Skandal kostet das vermeintliche Versagen Aufsichtschef Felix Hufeld sogar den Posten. Umso mehr lässt aufhorchen, dass die Behörde im Streit um Zinsanpassungsklauseln nun die Sparkassen ins Visier nimmt. Und sich überraschend deutlich positioniert: auf der Seite der Kunden.

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"Wir wollen, dass alle betroffenen Sparer informiert werden"

Konkret geht es um langjährige Sparverträge des Modells "S-Prämiensparen flexibel“ und ähnliche Modelle. Hier hatten sich die Sparkassen und einige Volksbanken das Recht einräumen lassen, die Zinsen einseitig zu ihren Gunsten anzupassen und weniger zu zahlen: oft unbemerkt von den Kunden, da diese Korrekturen des Zinses mitunter nur in den Filialen ausgehängt wurden. Derartige Vertragsklauseln hat der Bundesgerichtshof (BGH) 2004 für unwirksam erklärt: und die Anforderungen in weiteren Urteilen konkretisiert.

Am Freitag fand nun eine Anhörung der BaFin zu diesem Thema statt, wie die Finanzaufsicht informiert. Ziel ist es, eine Allgemeinverfügung auf den Weg zu bringen, die den Sparkassen Pflichten auferlegt: die betroffenen Kreditinstitute sollen ihre Kundinnen und Kunden über mögliche Nachzahlungen aufklären und entsprechende Zahlungen auch zusagen. „Betroffene Bankkunden sollen nicht nur erfahren, welche Zinsanpassungsklausel in ihrem Fall verwendet wurde. Die Institute müssen ihnen auch erklären, ob sie dadurch zu geringe Zinsen erhalten haben“, schreibt die BaFin auf ihrer Webseite.

„Wir wollen erreichen, dass alle betroffenen Sparer informiert werden und ein Lösungsangebot erhalten“, verdeutlicht BaFin-Vizepräsidentin Elisabeth Roegele, die ebenfalls ihr Amt aufgeben wird. Die Betroffenen sollen entweder eine „unwiderrufliche“ Nachzahlung erhalten - oder alternativ ein Angebot, wonach der Vertrag abgeändert werde und der Zins entsprechend den BGH-Urteilen berechnet.

Sparkassen verloren bereits bei Musterfeststellungsklage

Konkret passten die Banken die Sparverträge anhand einer Klausel an, die es erlaubt, fallende Zinsen schneller an den Kunden weiterzugeben: zu dessen Nachteil. Der Bundesgerichtshof (BGH) erklärte sie in mehreren Urteilen für unwirksam (u.a. BGH-Urteil vom 17.02.2004, AZ: XI ZR 140/03 sowie BGH-Urteil vom 14.03.2017, XI ZR 508/15). Sie sei nicht nur intransparent, sondern orientiere sich zudem am falschen Referenzzins: statt langjährigen Anleihen, wie es der Gesetzgeber vorschreibt, rechneten die Geldhäuser auch kurzfristige Papiere ein.

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Dabei handelt es sich nicht um Einzelfälle. Die Verbraucherzentralen listen auf ihrer Webseite allein 140 Institute auf, die derartige Sparverträge angeboten und Zinsen nach unten korrigiert haben: neben Sparkassen auch einzelne Volksbanken. Ein Gerichtsurteil lässt die Verbraucher hoffen. In einer Musterfeststellungsklage der Verbraucherzentrale Sachsen entschied das Oberlandesgericht Dresden gegen die Sparkasse Leipzig, dass sie Zinsen nachzahlen muss. Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht. Weitere Musterfeststellungsklagen von Verbraucherverbänden sind anhängig. Hunderttausende Kunden können auf Nachzahlungen hoffen: im Schnitt 4.600 Euro, so hat die Verbraucherzentrale Bayern errechnet.

Sparkassen zeigen kein Entgegenkommen

Trotz des BaFin-Vorstoßes und der drohenden Allgemeinverfügung zeigen die Sparkassen kein Entgegenkommen. Im Gegenteil: In einem Statement zur Anhörung hält der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) weiterhin daran fest, dass die Zinsanpassungen rechtens waren. "Verträge mit variablen Zinsen müssen für den Fall der Veränderung der Marktzinsen einen Anpassungsmechanismus enthalten, der die Risiken fair und gleichmäßig zwischen den Parteien verteilt. Nach unserer Auffassung wurde die Rechtsprechung des BGH von 2004 seitdem angemessen in den betroffenen und späteren Prämiensparverträgen umgesetzt", argumentiert der DSGV.

Wie ist der variable Zins zu errechnen?

Streitpunkt ist vor allem, wie die Zinsen bei Prämiensparverträgen (laut BGH-Urteil von 2004) konkret anzupassen sind. Die BaFin beruht sich auf das bereits angesprochene Urteil des Oberlandesgerichtes Dresden von April 2020. Es stelle etwa klar, "dass die Verzinsung sich an einem angemessenen, langfristigen, öffentlich zugänglichen Referenzzinssatz orientieren muss und monatlich anzupassen ist. Als angemessen sieht das OLG Dresden beispielsweise die 9- bis 10-jährige Zeitreihe der Deutschen Bundesbank WX 4260 (damalige Bezeichnung) an", schreibt die Behörde.

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Hierbei geht es auch darum, in welcher Art der variable Zins eines langfristigen Sparvertrages auf den Referenzzins Bezug nehmen muss. Die BaFin fordert mit Verweis auf den Bundesgerichtshof, dass der anfängliche relative Abstand zwischen Vertragszins und Referenzzins über die gesamte Vertragslaufzeit beizubehalten ist. Dies entspreche den Interessen beider Parteien und der Struktur eines langfristigen Sparvertrags.

Liegt zum Beispiel der Vertragszins zu Beginn der Laufzeit bei vier Prozent und der Referenzzinssatz bei fünf Prozent, muss die Bank über die gesamte Laufzeit 4/5 bzw. 80 Prozent des Referenzzinses an den Kunden weitergeben. Weil sich die Sparkassen dabei an zehnjährigen Referenzsätzen der Bundesbank orientieren müssen, dürften sie Zinssenkungen nicht so schnell an die Verbraucher weiterleiten. Die Sparkassen lehnen das ab: Relative Zinssätze seien "intransparent und für die Kunden praktisch nicht zu berechnen". Die Forderung sei praxisfern.

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"Vorgehen der BaFin rechtlich unangemessen"

Eine Einigung ist nicht in Sicht: Im November scheiterte bereits ein runder Tisch, bei dem sich Vertreter der Finanzaufsicht, Sparkassen und Verbraucherschützer um eine Lösung des Konfliktes bemüht haben. Nun attackieren die Sparkassen die BaFin sogar. "Ein Rechtsstaat zeichnet sich durch Gewaltenteilung aus. Die Exekutivdirektion Wertpapieraufsicht der BaFin sollte sich deshalb nicht an die Stelle von Gerichten setzen und zivilrechtliche Streitfragen selbst entscheiden wollen. Wir halten dieses Vorgehen deshalb für rechtlich unangemessen und für überflüssig", positioniert sich der DSGV. Der Lobbyverband verweist darauf, dass eine höchstrichterliche Entscheidung hinsichtlich der Musterfeststellungsklage noch aussteht.

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