5-Punkte-Pläne scheinen aktuell in Mode. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hat einen 5-Punkte-Plan zur Beschleunigung des Mobilfunkausbaus vorgelegt. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) einen zur Reduzierung von Plastik. Die Partei Die Linke einen Fünf-Punkte-Plan für bezahlbaren Wohnraum. Und nun zieht auch die Finanzbranche nach. Ein „Fünf-Punkte-Plan zur Stär­kung der pri­va­ten Alters­vor­sorge“ präsentieren die Verbände der Versicherer, Fondsgesellschaften und Bausparkassen am Dienstag in Berlin.

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Reform soll staatlichen Kapitalstock verhindern

Sehr konkret richtet sich der Vorstoß gegen Pläne, einen staatlichen Kapitalstock als Alternative zu Riester einzuführen. Ein solcher wird auch als Ergänzung zum bisherigen Status Quo nicht akzeptiert: selbst wenn er die Bereitschaft der Sparer erhöhen würde, zusätzlich vorzusorgen. Im gemeinsamen Pressetext heißt es hierzu folglich, die Verbände "sehen in einer durchgreifenden Weiterentwicklung des aktuellen Systems einen deutlich überzeugenderen Reformansatz als bei einem risikobehafteten Systemwechsel".

Hingegen würden Vorschläge etwa für eine quasi-obligatorische „Deutschland-Rente“ aus Hessen oder die „Extrarente“ des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv) die Arbeitgeber belasten, argumentiert die Finanzlobby: ohne dies näher zu begründen. "Sie ignorieren zudem, dass 70 Prozent der Arbeitnehmer bereits mit Riester-Verträgen (Versicherungen, Investmentfonds, Wohn-Riester, Banksparpläne) oder betrieblicher Altersver­sorgung vorsorgen und auf die Nachhaltigkeit dieser Altersvorsorgesysteme vertrauen", wird weiter ausgeführt.

Einfaches Standardprodukt, Erweiterung des Förderkreises...

Die Ideen der Finanzverbände sind diskussionswürdig - und ein Reformbedarf wird durchaus eingestanden. „Die extremen Niedrigzinsen und die Stagnation der Verbreitung machen eine tiefgreifende Reform der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge dringend erforderlich“, heißt es in dem Positionspapier. Folgende Eingriffe schlagen die Verbände vor, um Riester wieder attraktiver zu machen:

  1. Standardisierte Riester-Produkte sollen eingeführt werden, einfach und digital vermittelbar. Beratungsintensive und komplizierte Wahlentscheidungen der Kunden sollen so entfal­len. Das Versprechen: die Produkte seien billiger und besser zu verstehen.
  2. Die Förderung soll transparenter gestaltet und auf jeden eingezahlten Euro automatisch 50 Cent an Zulagen gezahlt werden. Entsprechend würde das jetzige Fördersystem entfallen. Grund- und Kinderzulagen sollen fortan weiterhin Familien und Geringverdiener erhalten.
  3. Der Kreis der potentiellen Riester-Sparer soll erweitert werden, etwa auf Selbstständige. Jeder Steuerpflichtige soll demnach Anrecht auf Förderung haben.
  4. Die heutige Zusage der 100 Prozent-Garantie der Brutto-Beiträge soll gelockert werden, damit das Geld der Beitragszahler chancenreicher angelegt werden kann. Tatsächlich ist die Beitragsgarantie im Niedrigzins für die Sparer sehr teuer, weil die Versicherer gesetzlich verpflichtet sind, diese mit festverzinslichen Anlagen zu unterfüttern. Aktuell werfen diese kaum was ab. Die Abkehr der Bruttogarantie würde aber auch bedeuten, dass die Rentenansprüche künftig deutlich geringer ausfallen können als die gezahlten Beiträge plus Zulagen aus dem Steuertopf — das hinge stärker vom Anlagegeschick des jeweiligen Versicherers und der Entwicklung an den Kapitalmärkten ab.
  5. Das Zulageverfahren soll automatisiert werden und alle Werte für die Förderung automatisch an die Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA) gemeldet — innerhalb von drei Monaten nach Ablauf des Beitragsjahres.

Verbände ohne Selbstkritik

Es soll an dieser Stelle nicht angezweifelt werden, dass einige der genannten Punkte geeignet sind, die Riester-Rente im Sinne der Sparer zu verbessern. Auffallend ist aber die fehlende Selbstkritik der Lobby-Verbände. Der Fünf-Punkte-Plan ist ein Forderungskatalog, von dem vor allem auch die Anbieter profitieren würden. Und der Staat würde wohl noch mehr Steuermittel in Riester pumpen.

Welchen Beitrag die Branche hingegen selbst leisten will, um Riester-Produkte wieder attraktiver zu machen, dazu findet sich kaum etwas, ausgenommen vielleicht das Angebot eines Standardproduktes. Ein auffallender blinder Fleck des gemeinsamen Positionspapiers. Und in diesem Falle verräterisch:

Teils intransparente Produkte, hohe Kosten sowie Prospekt-Modellrechnungen mit aberwitzigen Annahmen tragen auch dazu bei, dass das Vertrauen in die private Altersvorsorge sinkt. Das betrifft nicht alle Anbieter, aber zu viele. Ein Beispiel: Manch fondsgebundener Altersvorsorge-Vertrag weist nach Kosten höhere Erträge aus als vor Kosten. Das ist keine Zauberei, denn die Versicherer rechnen bei ihren Modellrechnungen Kickbacks in die zu erwartende Rendite mit ein. Rückvergütungen aus teils versteckten Provisionen, auf die der Kunde aber keinerlei garantierten Anspruch hat (der Versicherungsbote berichtete).

Dass die Branche wiederholt für Negativschlagzeilen sorgt, steht erwartungsgemäß ebenfalls nicht im Papier. Etwa untergrub es das Vertrauen der Sparer, dass ein Drittel der Riester-Anbieter doppelte Vertriebs- und Abschlusskosten kassierte, falls der Kunde den Eigenbetrag infolge der Kinderförderung ändern musste. Die Versicherer taten einfach so, als schließe der Kunde einen neuen Vertrag ab: und hielten erneut die Hand auf. Erst ein Eingreifen des Gesetzgebers hat diese Praxis vor wenigen Wochen beendet. Die betroffenen Riester-Anbieter standen als Abzocker da, gerügt von Bundesregierung und BaFin. Und mit ihnen die gesamte Branche (der Versicherungsbote berichtete).

Auch wenn es nicht um Riester geht, geben die Anbieter nicht immer ein gutes Bild ab, wie ein anderes Beispiel zeigt. Die privaten Bausparkassen haben in den letzten Jahren hunderttausende Altkunden vor die Tür gesetzt und Bausparverträge einseitig aufgekündigt, weil sich diese Policen für die Institute nicht mehr lohnten. Ursprünglich beworben wurden die Verträge in Prospekten aber ebenfalls als langfristige Geldanlage. Eine Klagewelle der Betroffenen war die Folge - darüber hinaus vielerorts Wut und Enttäuschung, wie Medienberichte nahelegen.

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Von all dem steht nichts in dem Forderungskatalog der Verbände. Er kommt ohne jede Selbstreflexion aus. Dabei agiert die Finanzbranche aus der Defensive heraus. Denn tatsächlich könnte ein Staatsfonds eine attraktive Alternative für Sparer sein: und der Privatwirtschaft viele potentielle Kundinnen und Kunden abluchsen.

Verschiedenste Stimmen für einen Kapitalstock

Längst fordern nicht nur der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und Teile der Regierungsparteien CDU/CSU und SPD einen staatlich organisierten Kapitalstock als Alternative zu Riester. Sondern auch wirtschaftsnahe Stimmen wie etwa das ifo-Institut in München oder das Ratinghaus Scope. Ob die Modelle nun „Vorsorgekonto“, „Deutschlandrente“, „Bürgerfonds“ oder anders heißen — gemeinsam ist ihnen das Misstrauen, dass die privaten Versicherer und Banken fähig und gewillt sind, eine Antwort auf die drohende Altersarmut großer Teile der Bevölkerung zu finden.

Als Vorbild für die Riester-Alternativen werden in der Regel die Staatsfonds in Schweden oder Norwegen genannt. Die glänzen mit extrem niedrigen Kosten: auch, weil sie wenig für Vertrieb, Werbekampagnen und Verwaltung zahlen müssen.

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Ganze 0,07 Prozent des verwalteten Kapitals muss die schwedische Rentenagentur in die Verwaltung ihres Kapitalstocks stecken, für die Verwaltung der Fonds geben die Bürger 0,23 Prozent des Kapitals aus: ein Bruchteil der hiesigen Riesterkosten. Auch deshalb, weil das Geld einfach per Opt-out über den Arbeitgeber eingesammelt wird und jeder mitmacht, wenn er nicht explizit widerspricht: Die Rentenkasse behält einfach einen Teil vom Lohn automatisch ein. Dennoch haben die Bürger Wahloptionen. Ihnen stellt der Staatsfonds in Schweden mehr als 800 Anlageprodukte an der Börse zur Verfügung, gewichtet nach verschiedenen Risiken.

Nachhaltigkeit als Faktor der Geldanlage

Ein weiterer Grund spricht für solch einen Staatsfonds: Thema Nachhaltigkeit. Zwar hat auch die private Versicherungswirtschaft den Trend erkannt. Die Allianz als Marktführer richtet etwa ihr Investment nach und nach stärker auf ökologische und soziale Kriterien aus.

Das Umdenken der Versicherer ist aber ein sehr zäher und langwieriger Prozess: So will die Allianz zum Beispiel bis 2050 „klimaneutral“ werden und die Gelder entsprechend anlegen. Ein Grund ist auch, dass die Versicherer viele Papiere mit langer Laufzeit halten, von denen man sich nicht trennen kann, ohne Nachteile zu erleiden. Dennoch investieren weiter viele Anbieter in zweifelhafte Anlagen, die etwa Streumunition, Spekulation mit Lebensmitteln oder Kinderarbeit beinhalten. Zudem treten deutsche Versicherer auch als Rückversicherer für fragwürdige Projekte in Erscheinung - etwa Staudammbauten im Amazonas, für die Indigene enteignet, vertrieben oder gar ermordet werden.

Einem neu gegründeten Staatsfonds könnte es weit schneller gelingen, die Geldanlage nach ethischen, ökologischen und sozialen Kriterien auszurichten. Vorausgesetzt natürlich, die Politik ist gewillt dazu. Das zeigt etwa der Government Pension Fund in Norwegen. Wie Manager Yngve Slyngstad der "Zeit" berichtet, hat das norwegische Parlament vorgegeben, dass der Fonds nicht in Waffen, Tabak und Kohle sein Geld investieren darf. Ein Ethikrat wacht zusätzlich über die Investments. Erst kürzlich trennte sich der Staatsfonds von 200 Firmen — unter anderem Palmöl-Verarbeiter, die den Regenwald abholzen.

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Ob dieser Erfahrungen aus anderen Ländern muss der privaten Finanzbranche vor einem solchen Staatsfonds bange sein. Möglichen Nachteilen stehen auch viele Vorteile entgegen, die das Altersvorsorge-Geschäft der Gesellschaften deutlich schwächen könnten. Nicht nur mit Blick auf Riester-Policen, sondern nahezu auf die gesamte Palette an privaten Altersvorsorge-Angeboten. Man kann Lobbyverbänden wohl kaum vorwerfen, dass sie die Interessen ihrer Unternehmen vertreten. Fehlende Selbstkritik aber dort, wo sie notwendig wäre, schon.

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