Wir müssen beim Klimaschutz endlich besser werden. Aber Klimaschutz und Kapitalismuskritik sind nicht dasselbe. Denn die soziale Marktwirtschaft ist ein Erfolgsprojekt und hat uns Wohlstand und Frieden gebracht. Vor 200 Jahren haben von 100 Menschen auf der Erde 94 in extremer Armut gelebt – heute sind es zehn. Das sind noch immer zehn Menschen zu viel, aber es ist ein großer Erfolg des modernen Lebens. Und das lässt sich fortführen: Vor 200 Jahren konnten weltweit von 100 Menschen 88 nicht lesen, heute sind es 15. Vor 200 Jahren sind von 100 Kindern 43 gestorben, bevor sie fünf Jahre alt waren – heute sind es noch vier. Bei einer langfristigen Betrachtung muss also klar werden, welche gesellschaftlichen Erfolge Fortschritt, Globalisierung und damit auch Wachstum uns allen bringt. Und genau diese Wirtschaftsordnung ist es auch, die uns die entstandenen Probleme lösen lässt. Denn es gibt keinen Widerspruch zwischen Wirtschaft und Klimaschutz, im Gegenteil. Wachstum heißt ja nicht zwingend rauchende Schlote. Wir können uns gerade durch die Kräfte von Marktwirtschaft und Innovation von der Abhängigkeit von CO2 befreien - und müssen das auch. Das setzt natürlich voraus, dass wir den ordnungspolitischen Rahmen richtig setzen, etwa durch einen wirksamen Preis für CO2, am effektivsten durch einen endlich umfassenden Zertifikatehandel.

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Die Digitalisierung bedroht Arbeitsplätze, gerade einfache Tätigkeiten könnten wegfallen. Zugleich böte sie die Chance, Arbeit neu zu organisieren: zum Beispiel duch kürzere Arbeitszeiten. Eine Prognose: Wie arbeiten wir in 30 Jahren?

Die Digitalisierung ist vor allem eine Chance. Ich bin der festen Überzeugung: Die Digitalisierung vernichtet unterm Strich keine Arbeitsplätze, sondern sie verändert sie. Dafür spricht auch alle Forschung und historische Erfahrung. Und genau für diesen umfassenden Wandel muss die Politik die richtigen Antworten finden. Arbeit hat zum Beispiel immer auch mit Arbeitszeit zu tun, aber unser Arbeitszeitgesetz stammt aus dem Jahre 1994. Damals gab es noch Telefone mit Wählscheibe und kaum jemand hat E-Mails geschrieben. Das passt nicht mehr in die heutige Zeit. Wer heute das Büro eher verlassen will, um Zeit mit den Kindern zu verbringen, und am Abend um 22:00 oder 23:00 Uhr noch dienstliche Mails auch nur lesen will, der darf am nächsten Morgen die Arbeit nicht vor 10 Uhr wieder aufnehmen. Wer macht denn das? Das Gesetz ist vollkommen veraltet. Wir müssen es so modernisieren, dass jede und jeder mehr Freiheiten erhält, sich die Arbeitszeit unter der Woche besser einteilen zu können.

Dazu gehört aber auch, dass wir dort, wo es sinnvoll und gewollt ist, mehr Homeoffice ermöglichen. Starre Arbeitszeiten und Arbeitsorte sind aus der Zeit gefallen. Geben wir den Menschen mehr Möglichkeiten, selbst zu entscheiden, wann sie wie und von wo arbeiten! Dazu müssen wir auch alle Menschen bei der Digitalisierung mitnehmen. Wir brauchen ein Versprechen an jede und jeden, durch Weiterbildung im digitalen Wandel gut teilhaben zu können. Wir wollen allen Menschen ermöglichen, zum Piloten des eigenen Lebens zu werden. Wir brauchen ein Konzept für ein echtes zweites Bildungssystem für das ganze Leben. Dazu gehören auch neue Instrumente: Denn Weiterbildung ist zwar notwendig, kostet aber Geld. Auch Bildungsauszeiten muss man sich schlicht leisten können. Deshalb brauchen wir neue Instrumente wie einen Rechtsanspruch zur steuerfreien Entgeltumwandlung für ein Bildungssparen. Mit den Langzeitkonten für Beschäftigte gibt es schon ein Instrument, das man nur umbauen und allen Erwerbstätigen zugänglich machen müsste.

Zudem müssen wir Menschen mit weniger Geld besonders fördern: Das BAföG für Studierende hat der breiten Masse der Bevölkerung die Tür zu den Universitäten geöffnet - warum sollte das mit einem Midlife-BAföG für Menschen mit geringerem Einkommen nicht auch für ein zweites Bildungssystem möglich sein? Das Instrument des Bildungssparens und das Midlife-Bafög könnten in einem Freiraumkonto zusammengeführt werden. Das sind nur ein paar unserer Vorschläge. Es gibt also viel zu tun. Aber von der Bundesregierung wartet man leider bisher auf einen großen konzeptionellen Wurf, der die Chancen für mehr Selbstbestimmung betont und gestaltet.

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Die Fragen stelle Mirko Wenig

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