Klage wegen BU-Leistungen: Etwa jeder dritte klagende Versicherungsnehmer erhält Recht

Laut Zahlen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) werden rund 78 Prozent aller Leistungsanträge in der Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) bewilligt, wobei diese Zahlen Leistungen aus Haupt- und Zusatzversicherungen zusammenfassen. Die Botschaft hinter solchen Zahlen ist klar: Der Vorwurf, die Versicherer würden Berufsunfähigen eine Leistung im Ernstfall verweigern, kann pauschal nicht aufrecht erhalten werden. Und doch gibt es ebenfalls immer wieder Rechtsstreitigkeiten, weil Versicherungsnehmer aufgrund verweigerter Zahlungen gegen ihre Versicherer klagen.

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Kein leichtes Los: Mit den oft harten persönlichen Schicksalen, die zur Berufsunfähigkeit führen, müssen zudem aufwendige Rechtswege in Kauf genommen werden. Etwa jeder dritte Klagende (31,4 Prozent) erhält in der Folge Recht, wie eine Untersuchung des Analysehauses PremiumCircle anhand von 169 Urteilen aus erster Instanz ergab, auch wenn die Studie nicht repräsentativ ist. Der Knackpunkt für die Klagen häufig: Der Versicherer unterstellte, es läge keine Berufsunfähigkeit von mindestens 50 Prozent vor — oder sie läge nicht mehr vor (der Versicherungsbote berichtete).

Klagender Forstwirt stürzte schwer

Ein solches Problem hatte nun auch ein Forstwirt, der nach einem Sturz „aus beträchtlicher Höhe“ berufsunfähig wurde, wie es auf den Seiten der Kanzlei Hennemann heißt. Da die Kanzlei den Mann im Rechtsstreit vertrat, kann sie auch die Auswirkungen des Sturzes benennen: Berstungsfrakturen mehrerer Wirbelkörper sowie eine offene Mehretagenfraktur des linken Unterschenkels waren die schlimme Folge des Unglücks. Der Mann erlitt also schwere Verletzungen an dem Knie und besonders der Wirbelsäule. Bei derartigen Verletzungen verwundert kaum, dass auch die Invalidität des Mannes festgestellt und von dessen Unfallversicherer rechtmäßig anerkannt wurde.

Der Mann hatte aber auch einen zusätzlichen Berufsunfähigkeitsschutz aufgrund einer Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Abgeschlossen wurde diese Lebensversicherung bei der HUK-Coburg. Zunächst schien auch der Versicherer recht problemlos die Berufsunfähigkeit des Versicherungsnehmers anzuerkennen, sogar uneingeschränkt – zeitlich unbefristet wurden dem Verunglückten Zahlungen anhand eines Schreibens zugesprochen. Dann aber meinte der Versicherer, sich nach nur neun Monaten eines besseren zu besinnen.

Der fränkische Versicherer widerrief die eigene Anerkenntnis und vermeinte zugleich, Heilungsfortschritte beim Geschädigten auszumachen. Also teilte die HUK-Coburg durch ein weiteres Schreiben mit, dass Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit nicht mehr vorlägen und deshalb keine Versicherungsleistungen mehr erbracht würden.

Urteil in erster Instanz: Begründung der HUK rechtswidrig

Der Mann freilich wollte die Einstellung der Zahlungen nicht hinnehmen. Aus seiner Sicht hatte sich sein Gesundheitszustand keineswegs verbessert, sondern sogar drastisch verschlechtert. Also klagte der Mann gegen den Versicherer vor dem Landgericht (LG) Lüneburg – und erhielt in erster Instanz Recht. Das Landgericht urteilte unter anderem, bereits im Hinblick auf eine mangelhafte Begründung wäre die Leistungseinstellung rechtswidrig erfolgt.

Das wollte nun wieder die beklagte HUK-Coburg nicht auf sich sitzen lassen, und ging gegen das Urteil vor dem Oberlandesgericht (OLG) Celle in Berufung. Erneut aber unterlag der Versicherer aufgrund des Urteils vom 19. November 2018 (Az: 8 U 139/18) gegen den Forstwirt vor Gericht. Das hat laut Pressemitteilung mehrere Gründe.

Urteil in zweiter Instanz: Vergleichsbetrachtung ist durch HUK nicht erfolgt

So habe der Versicherer aufgrund der uneingeschränkten Anerkenntnis die Möglichkeit verloren, „sich später auf das Fehlen der beruflichen oder gesundheitlichen Voraussetzungen des Versicherungsfalls zu berufen“, wie das Gericht in einer Pressemitteilung ausführt. Stattdessen könne das Unternehmen nur „unter den in den Versicherungsbedingungen vereinbarten besonderen Voraussetzungen wieder frei werden“, die erst vorliegen, sobald der Versicherungsnehmer tatsächlich nicht mehr zu mindestens 50 Prozent berufsunfähig ist. An die Beurteilung der Voraussetzungen wie auch an die Einstellungsmitteilung werden jedoch besondere Anforderungen durch den Gesetzgeber geknüpft.

Keineswegs nämlich reiche es zum Beispiel aus, dass der Versicherer lediglich die von ärztlichen Gutachtern geschätzten Grade der Berufsunfähigkeit zu einem damaligen und jetzigen Zeitpunkt gegenüberstelle. Bestehe doch aufgrund eines Beurteilungsspielraums die Möglichkeit, dass verschiedene Ärzte demselben Gesundheitszustand verschiedene Grade der Berufsunfähigkeit zuordnen. Dieser Spielraum ist den Ärzten laut Gericht auch zuzubilligen. Jedoch gebe eine unterschiedliche Bewertung des unveränderten Gesundheitszustandes dem Versicherer noch lange kein Recht zur Leistungseinstellung.

Stattdessen muss ein Vergleich erfolgen zwischen dem jetzigen Zustand und dem Zustand, der für die Leistungsbewilligung zugrunde lag. Erst diese Vergleichsbetrachtung mache eine Beurteilung des Gesundheitszustands gegenüber dem Zustand der Leistungsbewilligung möglich und rechtfertige bei gegebener Besserung die Einstellung der Leistungen.

Hinzu kommt: Dem Versicherungsnehmer sind etwaige eingeholte Gutachten oder ärztliche Bescheinigungen zugänglich zu machen – und zwar auf eine Art, die eine nachvollziehbare Begründung für die Leistungseinstellung enthält. Nur so nämlich kann der Versicherungsnehmer mit seiner Lage auch die Prozessrisiken einschätzen, falls er die Mitteilung nicht akzeptiert. Derartige Anforderungen aber erfüllte die HUK-Coburg bei ihrer Leistungseinstellung nicht. Auch die zweite Gerichtsinstanz also urteilte: Die HUK-Coburg handelte rechtswidrig.

60.000,00 Euro sind nachzuzahlen

Die Folgen des Rechtsstreits für den fränkischen Versicherer werden übrigens von der Anwaltskanzlei benannt: Die HUK-Coburg habe dem Mandanten nun einschließlich Zinsen annähernd 60.000,00 Euro nachzuzahlen sowie die von ihr versprochene Versicherungsleistung längstens bis 2044 zu erbringen. Auch habe der Versicherer Gerichts- und Rechtsanwaltsgebühren aus zwei Instanzen vollständig zu erstatten.

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Neben der Darstellung der Anwaltskanzlei kann ebenfalls die Presseerklärung des OLG Celle online nachgelesen werden.

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