Die Krux mit den Gesundheitsfragen

Wer Versicherungen wie eine Berufsunfähigkeitsversicherung oder eine private Krankenversicherung abschließen will, sollte nach bestem Kenntnisstand auf die Gesundheitsfragen des Antragsformulars antworten. Denn die sogenannte „vorvertragliche Anzeigepflicht“ fordert nach Paragraph 19 VVG vom Versicherungsnehmer, bei Abgabe einer Vertragserklärung jene „ihm bekannten Gefahrumstände“ anzuzeigen, „die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind.“ Bedingung ist: Der Versicherer muss in Textform nach den Gefahrenumständen gefragt haben.

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Antwortet ein Versicherungsnehmer aber nicht nach bestem Kenntnisstand auf die Gesundheitsfragen, drohen ernste Folgen. So darf der Versicherer in diesen Fällen den Vertrag abändern oder vom Vertrag zurücktreten – im schlimmsten Fall verliert der Versicherungsnehmer trotz langjähriger Zahlungen den Versicherungsschutz und damit den Anspruch auf Leistungen. Auch können durch Vertragsänderung im Nachhinein Tarife wesentlich teurer werden. Oder der Versicherer schließt wichtige Risiken vom Versicherungsschutz aus, sobald ihm bekannt wurde, ein Versicherungsnehmer hat nicht wahrheitsgemäß geantwortet.

Wie ernst die Gefahr einer „vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung“ zu nehmen ist, zeigt ein Tipp von Experten: Um sich mit dem Versicherungsschutz wirklich „sicher“ zu sein, sollte ein Versicherungsnehmer seine Krankenakte recherchieren, in der Regel für den Zeitraum der zurückliegenden fünf Jahre. Diese Recherche sollte so gründlich wie möglich erfolgen, denn jeder verschwiegene Arztbesuch könnte sich am Ende nachteilig für den Leistungsfall auswirken (der Versicherungsbote berichtete mit Bezug auf die Berufsunfähigkeitsversicherung).

Strenge Belehrungsspflicht für Versicherer

Aber Paragraph 19 VVG stellt auch an die Versicherer strenge Anforderungen: Sie müssen den Antragsteller über Rechtsfolgen einer Anzeigepflichtverletzung belehren. Und diese strengen Anforderungen könnten nun für die HUK-Coburg zum Problem werden. Klären nämlich Versicherer nicht durch gesonderte Mitteilung in Textform ordnungsgemäß über Folgen einer Anzeigepflichtverletzung auf, können sie auch nicht jene durch Paragraph 19 definierten Rechte geltend machen.

Anders ausgedrückt: Selbst für den Fall, dass ein Versicherungsnehmer unwahrheitsgemäß auf Gesundheitsfragen antwortete, stehen dem Unternehmen bei einer fehlerhaften Belehrung keine Rechte aufgrund einer Anzeigepflichtverletzung zu. Für diesen Fall trägt der Versicherer den Schaden, wenn ihm Gefahrenumstände nicht durch den Versicherungsnehmer angezeigt wurden.

HUK-Coburg: fehlerhafte Antragsformulare für den Abschluss einer privaten Krankenversicherung

Ein Urteil vor dem Landgericht Essen (LG Essen, 24.10.2018 - 18 O 190/18) lässt aber nun den Verdacht aufkommen, dass die HUK-Coburg fehlerhafte Antragsformulare für den Abschluss einer privaten Krankenversicherung ausgab. Darüber berichtet der Anwalt Björn Hülsenbeck auf seinem Internetportal, da er den betroffenen Versicherungsnehmer im Rechtsstreit erfolgreich vertrat.

Der Versicherungsnehmer klagte gegen den Versuch der HUK-Coburg, eine rückwirkende Anpassung des Versicherungsvertrags seiner privaten Krankenversicherung vorzunehmen; die Anpassung sollte aufgrund einer verschwiegenen Wirbelsäulenerkrankung erfolgen. Durch diesen Schritt wollte die HUK-Coburg rückwirkend unter anderem einen Betrag von 2.522,52 Euro geltend machen, auch sollten bestimmte Leistungen in Verbindung mit der Wirbelsäulenerkrankung vom Versicherungsschutz ausgeschlossen werden.

Jedoch hatte die HUK-Coburg dazu kein Recht. Da die Hinweise auf Rechtsfolgen im Antragsformular nicht den gesetzlichen Bestimmungen entsprachen, steht in diesem Fall der HUK auch keine rückwirkende Anpassung des Versicherungsvertrags zu, wie das Gericht urteilte.

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Das Urteil dürfte nicht nur für diesen Einzelfall relevant sein. Denn die Frage stellt sich nun, wie viele Versicherungsnehmer mit fehlerhaften Antragsformularen „belehrt“ wurden. Für derartige Fälle nämlich wird es der HUK-Coburg in Zukunft schwer fallen, eine „vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung“ geltend zu machen und zum Beispiel Leistungen zu verwehren.

Belehrung über Rechtsfolgen muss sich „deutlich vom übrigen Text abheben“

Was aber bemängelte das Landgericht Essen an dem Antragsformular der HUK-Coburg mit Stand vom 10.09.2015, das dem Versicherungsnehmer ausgehändigt wurde? Wichtig ist: die Antragsunterlagen verstoßen gegen das vom Gesetzgeber geforderte Deutlichkeitsgebot und kommen dadurch der Warnfunktion nicht nach. Denn werden die „Hinweise auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung“ nicht anhand eines gesonderten Papiers ausgehändigt, sondern sind in den Antragsunterlagen enthalten, müssen sie sich laut Gericht auch „hinreichend deutlich“ gegenüber den anderen Informationen absetzen (zum Beispiel durch Farbe und Schriftbild). Die Antragsunterlagen der HUK, die dem Versicherungsnehmer ausgehändigt wurden, erfüllen diese Anforderung des Gesetzgebers aber nicht.

Zudem muss die Belehrung zu den Rechtsfolgen so platziert sein, dass sie vom Antragsteller nicht übersehen werden kann und sich in örtlicher Nähe zu den relevanten Textpassagen (bzw. den Gesundheitsfragen) befindet. Auch das war in den beanstandeten Unterlagen nicht der Fall.

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Warnung ging im Fließtext unter

Stattdessen befand sich, in einem „Antragsteil A“, eine Rubrik „Hinweise und Erklärungen“. Die „Hinweise auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung“ befanden sich unter einer „Ziffer 1“ dieser Rubrik. Jedoch war die Rubrik unterteilt in mehrere Ziffern, die diverse weitere Informationen enthielten zum Beispiel zur Schweigepflichtsentbindungserklärung, zum Widerrufsrecht, zum Beginn des Versicherungsschutzes. Da sich die Belehrung zu Folgen einer Anzeigepflichtverletzung nicht deutlich genug von jenen anderen Informationen absetzte, ging sie aus Sicht des Gerichts im Fließtext unter. Erfolgte doch keine farbliche oder drucktechnische Hervorhebung der Belehrung. Das Gericht stellte auch klar: Es reiche nicht, wenn nur die Überschrift dick gedruckt ist. Zumal auch die anderen Informationen durch diese dickeren Überschriften eingeführt wurden.

Versicherungsnehmer muss im Antrag „kein Suchspiel bewältigen“

Erschwerend kommt hinzu: die Belehrung wies keine örtliche Nähe zu den Gesundheitsfragen auf. Diese nämlich haben sich laut Urteilsbegründung in einem anderen Antragsteil, dem Antragsteil B, befunden – 10 Seiten hinter der Belehrung! Zwar gab es in dem Antragsteil B einen Verweis, der auf die Belehrung des anderen Antragsteils zurückverweisen sollte. Jedoch genügte auch dieser Verweis nicht den Anforderungen. So war auch dieser Verweis nicht deutlich genug vom übrigen Schriftbild abgesetzt. Zudem nannte er nicht einmal die konkrete Seitenzahl, unter der die im Verweis erwähnten „Hinweise auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung“ zu finden waren.

Der Fehler einer solchen Platzierungs-Strategie des Versicherers wird anschaulich durch ein Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart (Urteil vom 13. März 2014 – 7 U 216/13 –, juris), das vom LG Essen zitiert wird: Habe doch der Versicherungsnehmer "in einem für ihn unbekannten und im Regelfall das erste Mal zu Gesicht bekommenden Krankenversicherungs- oder sonstigen Versicherungsantrag kein Suchspiel zu bewältigen, bevor er wichtige Hinweise auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung gefunden und als solche enttarnt hat.“

Die große Frage: Wie viele Versicherungsnehmer sind betroffen?

Das Urteil des Landgerichts Essen machte deutlich: Die HUK-Coburg hat den Versicherungsnehmer im verhandelten Fall nicht ordnungsgemäß nach § 19 Abs. 5 VVG durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung hingewiesen. Der Fehler lag in der Beschaffenheit des Antragsformulars für den Krankenversicherungsvertrag. Aus diesem Grund stehen dem Versicherer auch nicht die Rechte bei Anzeigepflichtverletzung zu.

Ob eine Anzeigepflichtverletzung tatsächlich stattfand, ist hierbei gar nicht relevant. Denn ohne ordnungsgemäße Belehrungen können die Rechte durch den Versicherer auch nicht geltend gemacht werden.

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Dieses Urteil führt nun zu der Frage: Wie viele Versicherungsnehmer sind betroffen? Wie viele Versicherungsnehmer bekamen das beanstandete Antragsformular ausgehändigt und wurden demzufolge ebenfalls nicht ordnungsgemäß aufgeklärt? Und hat die HUK-Coburg durch Änderung der Formalitäten auf das Urteil reagiert? Eine Stellungnahme des Versicherers steht noch aus.

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