Nun ist es raus: Jenes Vertriebsrundschreiben, welches den Vertrieb von Versicherungen künftig regeln soll. Eine Neufassung der Vertriebsvorschriften war durch das IDD-Umsetzungsgesetz notwendig geworden. Gestern nun hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die neuen Regeln online gestellt. Konkret hat das Dokument den etwas sperrigen Titel: „Rundschreiben 11/2018 zur Zusammenarbeit mit Versicherungsvermittlern sowie zum Risikomanagement im Vertrieb“.

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Zuerst hat das Versicherungsjournal am Dienstag auf die neuen Regeln aufmerksam gemacht. Eine detaillierte Rundumsicht ist dabei schon aufgrund des Umfangs in einem Text kaum möglich. Die BaFin weist zunächst darauf hin, dass die geplante Versicherungs-Vermittlungs-Verordnung (VersVermV) noch nicht verabschiedet wurde. Das heißt, auch das Rundschreiben muss unter Umständen abgeändert werden, wenn sich dort Neuerungen ergeben.

Wichtige Reformen betreffen aber unter anderem die Vergütung der Vermittler, auf die hier zunächst abgestellt werden soll. Der Versicherungsbote wird sich in den nächsten Tagen um weitere Einschätzungen und Stimmen zum Rundschreiben bemühen. Eine Zwischenbilanz zum Stand der IDD-Umsetzung aus juristischer Perspektive hat am Montag Norman Wirth vorgelegt, Fachanwalt und Vorstand im Bundesverband Finanzdienstleistung e.V. (AFW).

"Nebeneinander von provisionsbasiertem Vertrieb und Honorarberatung"

Was also schreiben die neuen Regeln in Sachen Vergütung vor? „Auch unter der IDD bleibt der provisionsbasierte Vertrieb zulässig“, stellt die BaFin klar. Der nationale Gesetzgeber habe sich im IDD-Umsetzungsgesetz für ein „Nebeneinander von provisionsbasiertem Vertrieb, erfolgsunabhängiger Vergütung (insbesondere des angestellten Außendienstes) und Honorarberatung entschieden“, heißt es im Text.

Allerdings regle das Versicherungsaufsichtsgesetz, „dass die Vertriebsvergütung von Versicherungsunternehmen und deren Angestellten nicht mit ihrer Pflicht kollidieren darf, im bestmöglichen Interesse der Kunden zu handeln“. Hierbei verweist die Aufsichtsbehörde auf § 48a Abs. 1 S. 1 VAG sowie § 48a Abs. 1 S. 2 VAG.

Die BaFin betont explizit die Pflicht der Versicherer, mögliche Fehlanreize bei ihren Vertriebspartnern selbst auszuschließen. „Sie haben daher zur Wahrung der Belange der Versicherten im Rahmen ihrer Vertriebscompliance unter anderem sicherzustellen, dass als Erfüllungsgehilfen gegenüber dem Kunden beauftragte Vertriebspartner ihrerseits die vergütungsrechtlichen Anforderungen, denen das Versicherungsunternehmen unterliegt, beachten.“ Inwiefern das auch gegenüber Versicherungsmaklern und -beratern gilt, die ja im Auftrag der Kunden handeln und nicht der Versicherer, bleibt schwammig.

Das Rundschreiben sieht eine Pflicht der Versicherer zur Produktüberwachung vor. Das bedeutet vereinfacht, sie müssen mit ihren Vertriebspartnern Informationspflichten zu ihren angebotenen Tarifen vereinbaren. Hiervon sind Versicherungsmakler als Sachverwalter des Kunden sowie Honorarberater ausgenommen.

Fehlanreize…ja, aber…

Grundsätzlich fällt auf, dass das aktuelle Rundschreiben so manche Frage offen lässt. So definiert die Finanzaufsicht zunächst konkret mögliche Fehlanreize im Vertrieb. Um dann doch wieder den Versicherern eine Mitverantwortung zuzuweisen, wie sie Fehlanreize definieren und Verstöße ahnden. Hier könnten Regulierungslücken drohen, die es den Gesellschaften erlauben, fragwürdige Vertriebspraktiken aufrecht zu erhalten:

Ein solcher Fehlanreiz könne es laut BaFin beispielsweise sein, wenn die Höhe der Provision an das Erreichen von Absatzzielen innerhalb eines bestimmten Zeitfensters gekoppelt ist. Hier fließen auch die negativen Erfahrungen mit Strukturvertrieben wie MEG ein. Die Versicherer haben Vermittler mit hohen Vergütungen belohnt, wenn sie möglichst schnell viele Verträge vermitteln konnten, unabhängig vom Bedarf der Kunden. Mit bitteren Konsequenzen: Oft schlossen die Kunden unpassende Policen ab und trennten sich in kurzer Zeit wieder von ihnen, was zu hohen Stornoquoten führte.

Und dennoch spielt die BaFin den Ball wieder ein Stück weit den Versicherern zu. Diese haben nämlich selbst zu überprüfen und zu bewerten, was mögliche Fehlanreize sein könnten, wie das „Versicherungsjournal“ beobachtet. Die Vergütung müssen sie entsprechend anpassen - und das Ergebnis gegenüber der BaFin dokumentieren.

Das klingt zunächst streng - doch letztendlich erlangen damit die Versicherer Definitionsmacht, was Fehlanreize sind und wie sie diese behandeln. Hier sei an die Erfahrungen mit den Compliance-Regeln des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) erinnert. Zwar ist deren Einhaltung im Gegensatz zu den IDD-Vorgaben freiwillig und die BaFin wacht nicht drüber. Aber gerade die Tatsache, dass die Versicherer sich intern selbst Regeln auferlegen können, führte dazu, dass der Kodex ein Papiertiger wurde und Verstöße kaum geahndet werden (der Versicherungsbote berichtete).

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So beobachtet auch das Versicherungsjournal, dass das jetzige BaFin-Rundschreiben offenbar nicht bedeute, dass es keine „Verkaufswettbewerbe mehr geben darf“. Erfolgsanhängige Zusatzvergütungen seien aber an das „Erreichen qualitativer Ziele, zum Beispiel Storno- und Schadenquote“, gekoppelt. Formulierungen, die Interpretationsraum lassen.

mögliche Interessenkonflikte beim Vertrieb von Nettopolicen

Auch das Nebeneinander der Vergütungsformen kann zu Fehlanreizen führen, wie die BaFin erkennen muss und nun in ihrem Rundschreiben betont. Zum Beispiel da, wo provisions- und honorarbasierter Vertrieb aufeinander treffen.

Ein Beispiel: So sei es ein „nicht hinnehmbarer Konflikt zu den Kundeninteressen“, wenn ein Vermittler zunächst ein Bruttoprodukt vertreibe, um die maximale Provision einzustreichen - und anschließend den Vertrag mittels Honorarberatung in einen günstigeren Nettotarif umzudecken, etwa nach Ablauf der Stornozeit. Liege diese Vergütung „nicht nur unerheblich über der üblichen Provisionszahlung für ein vergleichbares Bruttoprodukt“, wertet das die BaFin als unzulässig.

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Ein weiterer möglicher Interessenkonflikt aus Sicht der BaFin: „soweit ein Vertriebspartner eine Ratenzahlung durch den Kunden vereinbart, deren Bestand unabhängig von dem Bestand des vermittelten Vertrages ist, insbesondere auch dann, wenn die Vereinbarung der Ratenzahlung zu einer nicht nur unerheblich erhöhten Vergütung führt“.

Mit anderen Worten: Es ist die Situation denkbar, dass ein Kunde auch dann weiter Honorar an einen Berater zahlen muss, wenn er schlecht beraten wurde und sich zeitig wieder von seinem Vertrag getrennt hat. Gerade bei Lebensversicherungen und Altersvorsorge-Verträgen drohen hohe Honorare, die manche Kunden nur in Raten abstottern können. Hierbei gilt es auch zu bedenken, dass Honorarberater keiner Stornohaftung unterliegen - im Gegensatz etwa zu Versicherungsmaklern.

Provisionsabgabe mit doppelter Geringfügigkeitsgrenze

Ebenfalls aufrecht erhalten bleibt das Provisionsabgabeverbot. Es soll verhindern, dass die Weitergabe von Provisionen an Kunden zu vorschnellen und unpassenden Vertragsabschlüssen führt. Hier sind zwei sogenannte Ausnahmetatbestände vorgesehen, die regeln, wann Provisionen doch an den Kunden ausgekehrt werden dürfen.

Ausnahme Nummer eins: Provisionen dürfen weitergegeben werden, wenn sie unter die Geringwertigkeitsklausel fallen. 15 Euro dürfen pro Kalenderjahr und Versichertenverhältnis an den Kunden weitergegeben werden. Und das doppelt, so berichtet das "Versicherungsjournal": zulässig sei, dass zwei mal 15 Euro pro Kalenderjahr und Versicherung ausgekehrt werden. So sei es für einen Versicherer oft nicht feststellbar, ob durch Vermittler ebenfalls Provision nach der Geringfügigkeitsklausel ausgekehrt werde, etwa wenn sie mit Maklern kooperieren.

Der zweite Ausnahmetatbestand ist in § 48b Abs. 4 S. 1 VAG festgeschrieben, der für den Fall einer dauerhaften Leistungserhöhung oder Prämienreduzierung gilt. Hier stellt die BaFin explizit klar, dass die Weitergabe der Provision noch nicht bedeute, dass die Prämie im Sinne des Kunden reduziert werde. Die Begründung: "Nach Auffassung der BaFin kann eine dauerhafte Reduzierung der Prämie oder Erhöhung der Leistung nur vom Versicherer gewährt werden, da Prämie und Leistung auf einer schuldrechtlichen Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien (Versicherer und Versicherungsnehmer) beruhen".

Hier hatten Versicherungsmakler kritisiert, dass ausschließlich Versicherungsvertreter von der zweiten Ausnahme auf das Provisionsabgabeverbot profitieren könnten, was einen Wettbewerbsnachteil bedeuten könnte. Dass die Leistung erhöht wird oder die Prämie reduziert, wird von der Finanzaufsicht schlicht in die alleinige Zuständigkeit des Versicherers übergeben. Folglich auch in die Zuständigkeit der Vertreter, die ja als "Auge und Ohr" des Versicherers agieren. "Die durch ein Versicherungsunternehmen gewährte dauerhafte Leistungserhöhung oder Prämienreduzierung ist durch eine entsprechende zivilrechtliche Vereinbarung zum Versicherungsvertrag umzusetzen", ergänzt nun die BaFin zum zweiten Ausnahmetatbestand.

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Zulässig sind hingegen Ermäßigungen auf andere Versicherungsverträge, zum Beispiel: Bei Abschluss eines Versicherungsvertrags erhält der Kunde nicht für den gerade abgeschlossenen Vertrag, sondern für einen anderen, bereits bei der Versicherungsgesellschaft bestehenden Versicherungsvertrag eine Leistungserhöhung oder Prämienreduzierung (z. B. Bündel- oder Bestandskundenrabatte). Auch hier gilt, dass die dauerhafte Leistungserhöhung oder Prämienreduzierung durch eine entsprechende zivilrechtliche Vereinbarung zum Versicherungsvertrag umzusetzen ist.

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