Wer sich überzeugen will, was Digitalisierung bedeutet, der suche einfach mal an einem gewöhnlichen Wochentag eine Bankfiliale auf. Dort stand ich vor wenigen Tagen, an einem Schalter der Postbank, die zugleich DHL-Paketabholfiliale ist, wartete erneut mehr als 35 Minuten, bis ich mein Anliegen am Schalter vortragen durfte: bereits das vierte Mal binnen zwölf Monaten, dass sich die Wartezeit über eine halbe Stunde erstreckte.

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Die Filiale hatte erst vor kurzem ihre Öffnungszeiten um zwei Stunden reduziert, und als ich vortrug, dass es ja nicht sein könne, dass man hier immer länger warten müsse, und warum man den Service immer mehr zurückfahre, da erklärte mir eine Mitarbeiterin: In Zeiten der Digitalisierung würden Filialen ja kaum noch genutzt, da könne man nichts machen. Es ist eine Filiale, in der ich übrigens beinahe immer eine Warteschlange vorfinde, wenn ich ein Paket abschicken oder abholen will: das also versteht die Postbank unter „kaum noch genutzt“.

Landkreise fürchten das Filialsterben

Die Banken stampfen ihr Filialnetz ein. Sie tun dies radikal und teils endgültig. Sie kürzen ihre Öffnungszeiten, sie ziehen sich aus ländlichen Regionen zurück. Und in vielen Orten schauen die Menschen in die Röhre, weil es weder eine Bankfiliale gibt noch einen Automaten, an dem man Geld abheben könnte. Das Argument lautet: Digitalisierung. Die Menschen wollen ja gar nicht, dass wir vor Ort präsent sind. Die machen ja jetzt alles im Netz. Und teuer ist die Präsenz vor Ort auch noch: Nach Recherchen von „Welt Online“ kostet es die Banken rund 20.000 Euro, einen einfachen Bankautomaten für das Abheben von Bargeld anzuschaffen. Da sind die Kosten für den Unterhalt noch nicht eingerechnet.

Dass der radikale Filial- und Automatenabbau am Bedarf des Kunden vorbeigehen könnte, fürchten auch die Landkreise und Kommunen. So haben die Landkreise als Träger vieler Sparkassen die Geldhäuser am Montag gewarnt, dass es so nicht weitergehen kann. Sollte der Trend von immer dünner besiedelten Regionen anhalten, drohe die Verankerung der Institute im ländlichen Raum verloren zu gehen, kritisierte der Geschäftsführer des Deutschen Landkreistages, Hans-Günter Henneke. „Man sollte nicht generell den Rückzug aus der Fläche propagieren, nur weil es hier und da nicht wirtschaftlich ist“, sagte Henneke laut Deutscher Presse-Agentur (dpa).

Doch genau das tun die Banken mit dem Argument der Digitalisierung. Im vergangenen Oktober ergab eine Studie der staatlichen Förderbank KfW, dass das Filialsterben auf dem deutschen Markt sich in den letzten Jahren sogar beschleunigte. In den Jahren 2014 und 2015 wurden demnach mehr als 2.200 Standorte aufgegeben. Auch Zweigstellen würden immer häufiger geschlossen. Das Filialnetz schrumpft seit Jahren stetig: 1997 zählte die Bundesbank noch mehr als 63.000 Zweigstellen bundesweit, Ende 2016 waren es nach jüngsten veröffentlichten Zahlen noch etwa die Hälfte mit 32.026.

Die Konsequenzen des Filialabbaus sind drastisch. “Behalten die Banken das aktuelle Rückbautempo bei, würden im Jahr 2035 gut die Hälfte der zur Jahrtausendwende existierenden Filialen geschlossen sein“, warnt KfW-Chefvolkswirt Jörg Zeuner. Den öffentlichen Banken ist hier noch am ehesten ein Vorwurf zu machen: Sie unterhalten nach wie vor das größte Filialnetz. Knapp 13.800 Anlaufstellen unterhielten die Sparkassen zum Jahresanfang 2017 (inklusive Geldautomaten ohne Filialen), die Volks- und Genossenschaftsbanken noch einmal weitere 11.800. Dennoch: Auch sie bauen schnell Anlaufstellen ab. Die Sparkassen haben 2016 allein 900 solcher Adressen dichtgemacht.

Protest von Bürgern und Bürgermeistern

Gegen das Filialsterben regt sich zunehmend Protest. Bürgermeister und Bewohner gründen Initiativen, um zu verhindern, dass noch mehr Filialen eingestampft werden. Beispiel Nieder-Liebersbach im Odenwald: In dem 2.000-Seelen-Städtchen wurde am 1. März 2017 der letzte Geldautomat abgebaut. Die nächste Abhebemöglichkeit ist nun in einer anderen Gemeinde, die viele ältere Bürger nur mit dem Bus erreichen können. Eine Petition hat daraufhin Unterschriften von 400 Bürgern gesammelt, so berichtet „Welt Online“, und fordert nun, dass der Bankautomat wiedereröffnet wird.

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Ein weiteres Beispiel: In Emmerich am Rhein hat jüngst Bürgermeister Peter Hinze (SPD) einen offenen Brief an die Sparkasse gefordert, sie solle Filialen in seiner Stadt offen halten. Auch hier wollte sich die lokale Bank aus dem Ort zurückziehen. „Bei allem Verständnis für die wirtschaftlichen Herausforderungen vor der Banken heute stehen, sehe ich insbesondere bei den Sparkassen eine ganz besondere Verantwortung für die Versorgung der lokalen Bevölkerung mit geld- und kreditwirtschaftlichen Leistungen. Sie muss für alle Bevölkerungsgruppen – ob jung oder alt, arm oder reich – gut erreichbar und ansprechbar sein", so Hinze laut "Focus Online".

Kostendruck: Sparkassen sollen höhere Gebühren von Nicht-Kunden verlangen

Sind die ländlichen Regionen die Verlierer der Digitalisierung? Gerade für ältere Menschen kann es zum Problem werden, wenn die Anlaufstellen vor Ort wegfallen und sie weite Wege in Kauf nehmen müssen, um an Bargeld zu gelangen. Doch Filialen sind teuer – und so wird aus einem vermeintlichen Wettbewerbsvorteil, nämlich die Menschen vor Ort ansprechen zu können, schnell ein Nachteil, wenn die Kosten hoch sind.

Landkreis-Chef Hans-Günter Henneke fordert deshalb, dass die Banken ihre Filialen nicht schließen sollen, sondern über Fusionen das nötige Geld einsparen. Statt die eigenen Sparkassen-Kunden hierfür zur Kasse zu bitten, sollen die Kunden fremder Geldinstitute dafür zahlen: durch höhere Gebühren.

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„Es kann nicht sein, dass wir ein großes Geldautomaten-Netz zur Verfügung stellen, das dann auch Kunden anderer Banken günstig nutzen“, so Henneke. „Die Sparkassen sollten für Nicht-Kunden höhere Gebühren fürs Abheben verlangen“.

Geld an der Supermarktkasse

Darüber hinaus werden weitere Wege interessant, damit die Digitalisierung nicht dazu führt, dass Kunden kein Geld mehr bekommen, weite Wege fahren müssen oder in der Warteschlange versauern. Immer mehr Sparkassen und Banken kooperieren mit Supermärkten und Tankstellen, um die Menschen mit frischen Scheinen zu versorgen. Wenn die Leute dort einkaufen, können sie sich an der Kasse Bargeld auszahlen lassen: Die Summe wird dann mit dem Einkaufswert vom Konto abgebucht.

„Cash Back“ oder "Cash in Shop" heißt das Verfahren, das zuvor bereits von Direktbanken ohne eigenes Filialnetz wie DKB oder N26 erprobt wurde. Und in manchen Regionen kommt einmal pro Woche ein Sparkassen-Bus, bei dem die Menschen Geld abheben können.

Sparkassen-Sprecher: "Können nicht jeden Standort erhalten"

Ein Sprecher des Sparkassen-Dachverbandes DSGV entgegnete auf die Kritik der Landkreise, dass man zwar bemüht sei, ein flächendeckendes Netz aufrecht zu erhalten - aber nicht jeden Standort retten könne. Und er nennt Zahlen: Statistisch würde jeder Sparkassen-Kunde nur einmal im Jahr in seiner Bankfiliale vorstellig, aber hundertmal pro Jahr die Sparkassen-App nutzen. Dabei dürften die Besuche am Geldautomaten aber nicht mit eingerechnet sein.

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„Gerade kleine Filialen können nicht an jedem Standort erhalten werden“, sagte der Sparkassen-Sprecher der „Passauer Neuen Presse“ (Dienstag). Und der Filialabbau schreitet voran. Bei den 403 Sparkassen sank die Zahl der Standorte inklusive Selbstbedienungsstellen binnen Jahresfrist von 14.451 auf 13.779 Ende 2016. Brisant: Landkreise, Städte und Gemeinden sind in der Regel als Träger mit eingebunden, wenn eine Filiale dichtgemacht wird: Die lokalen Politiker sitzen auch mit am Tisch.

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