Und die Branche kann aufatmen. Denn wie die Finanzkommissarin Mairead McGuinness vom der EU-Kommission in einer Rede auf dem 'Eurofi High Level Seminar' in Stockholm mitteilte, ist das EU-weite Provisionsverbot vorerst vom Tisch (Versicherungsbote berichtete).

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Versicherungsbote: Rekord-Inflation, Energieknappheit, lähmende Bürokratie – In Deutschland herrscht Krisenstimmung. Wie ist Ihr Eindruck? Hat sich die Krise auch auf das Versicherungs- und Vorsorge-Geschäft ausgewirkt? Und wo stehen die Vermittler in diesen Zeiten?

Michael H. Heinz: Bisher liegen uns noch keine Zahlen oder Berichte vor, dass die Vermittler stark von der Krise betroffen sind. Derzeit führt der BVK die Strukturanalyse 2022/2023 durch, an der alle Vermittler gerne teilnehmen können. Nach der Auswertung der Zahlen können wir dann ein valide Aussage dazu machen, ob sich die Krise auch schon auf die Einnahmen der Vermittler ausgewirkt hat. Große Kündigungswellen der Versicherungskunden wurden uns bisher nicht berichtet. Generell nehmen die Vermittler ihre sozialpolitische Aufgabe wahr, ihre Kunden bei möglichen Liquiditätsengpässen über Alternativen zu einer Kündigung zu beraten (z.B. durch höhere Selbstbeteiligungen) und auf die Erfordernis privater Vorsorge hinzuweisen.

„Deutschland hat tendenziell zu viele Finanzvermittler und Bankberater. Es ist nicht Aufgabe von Kleinsparern, dieses Überangebot zu subventionieren“, sagte Dorothea Mohn vom Verbraucherzentrale Bundesverband im Januar der ZEIT. Dies war eine Antwort auf die Warnung von Vermittlerverbänden, ein Provisionsverbot in Deutschland würde ein Vermittlersterben bewirken. Was entgegnen Sie Ihr?

Michael H. Heinz ist Präsident des Bundesverbands Deutscher Versicherungskaufleute.BVK

Diese Vorhaltungen der sogenannten Verbraucherschützer kennen wir schon lange. Den Kleinsparern steht es schon längst frei, Honorarberatung in Anspruch zu nehmen. Der Markt zeigt jedoch, dass die Verbraucher mit dem vorherrschenden Provisionssystem zufrieden sind. Viele Vermittler würden aus dem Markt ausscheiden, sofern ihr Einkommen durch ein Provisionsverbot nicht mehr auskömmlich ist. Damit würde man jedoch gerade den Kleinsparern einen Bärendienst erweisen. Erfahrungen aus den Niederlanden und Großbritannien haben gezeigt, dass insbesondere Kleinsparer im Niedriglohnsektor aus Kostengründen auf eine Beratung verzichten.

Aber hätte Frau Mohn nicht auch recht? Wäre eine Marktbereinigung vielleicht sogar im Interesse vieler Versicherungs- und Finanzanlagenvermittler?

Eine Marktbereinigung der Provisionsausreißer wäre im Interesse der Vermittler. Denn diese bringen die ganze Branche in Verruf.

Wo sehen Sie aktuell noch Fehlanreize in der Branche, die dazu beitragen könnten, dass der Ruf der Vermittler leidet?

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Incentives, Bonifikationen und Vertriebssteuerungen, die gegen § 48a VAG verstoßen, sind kontraproduktiv und nicht (mehr) zulässig. Diese Position vertritt der BVK schon seit der Einführung der IDD. Die Versicherer und Vertriebe sollten dies endlich auch beachten.

„Was uns beschäftigt, ist die Unabhängigkeit der Versicherungsmakler"

Wir reden oft über Bürokratie und Überregulierung für die Vermittlerbranche. Um das Argument mal umzukehren: Wo sehen Sie aktuell positive Signale oder sogar politische Reformabsichten, die Vermittlern Hoffnung für die Zukunft machen können?

Obwohl das Thema Nachhaltigkeit regulatorisch sehr komplex ist und sicher hier noch deutlicher Verbesserungsbedarf besteht, bietet das Thema Vermittlern große Chancen. Vermittler sind daher gut beraten, sich dem Thema nicht nur aus regulatorischem Erfordernis heraus zu öffnen. Der BVK bietet hierzu diverse Unterstützungsangebote wie z.B. die erneut überarbeitete Checkliste an. Zudem bin ich verhalten optimistisch, dass eine Reform der privaten Altersvorsorge nun endlich angepackt wird. Die qualifizierte Vorsorge- und Absicherungsberatung ist und bleibt wichtiger denn je. Vermittler erfüllen als Lotsen einen wichtigen sozialpolitischen Auftrag und sind ein wichtiger Bestandteil der mittelständischen Wirtschaft. Dieses Bewusstsein sollten alle Vermittler selbstbewusst gegenüber der Politik und Gesellschaft vertreten.

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In jüngster Vergangenheit lässt sich beobachten, dass ausländische Investoren vermehrt in Maklerpools einsteigen – mitunter auch solche, die gar nicht aus EU-Staaten kommen. Wie bewerten Sie das vermehrte Investoren-Engagement bei Maklerpools – und wo sehen Sie Ursachen für diesen Trend?

Diese Entwicklung beobachten wir sehr genau. Nachdem sich offenbar die Erwartungen der Investoren bei ihren hohen InsurTech-Investitionen bisher wenig gelohnt haben dürften, sollen nun über Maklerpool-Beteiligungen endlich Renditen erwirtschaftet werden. Die Pools sind wahrscheinlich auch attraktiver, da sie bereits über funktionierende Geschäftsmodelle verfügen.

Die Investoren haben eine klare Absicht: Sie wollen den Wert des Maklerpools steigern und damit Gewinne erzielen. Sehen Sie hier einen Interessenkonflikt mit Blick auf die Unabhängigkeit der Pools?

Die Unabhängigkeit der Maklerpools ist abhängig von der Beteiligungsquote der profitorientierten Investoren. Was uns viel mehr beschäftigt, ist aber die Unabhängigkeit der Versicherungsmakler bei der Zusammenarbeit mit Pools und Dienstleistern. Dazu hatten wir auch eine Studie vorgelegt, die bei den Pools teilweise für Verstimmung gesorgt hat. Der BVK wollte mit dieser Studie ein Bewusstsein über die fließenden Übergänge zur wirtschaftlichen Abhängigkeit von Maklern schaffen. Der neue Maklerbeirat des BVK wird dieses Thema weiter positiv kritisch begleiten. Unser erklärtes Ziel dabei ist es, der führende Maklerverband zu sein.

Müssen Makler vielleicht sogar umdenken und autarker von Anbindungen werden? Bitte begründen Sie Ihre Antwort!

Unsere Studie hat gezeigt, dass einerseits die Pools die Unabhängigkeit der Makler fördern, da sie wertvolle Leistungen wie Produktvergleichs- und Verwaltungssoftware erbringen. Andererseits können sie aber Makler auch durch Technologien und Verträge abhängig machen und somit die von der Rechtsprechung auferlegten Sachwalterpflichten der Makler beeinträchtigen. Die unabhängige Sachwalterstellung des Maklers ist jedoch ein hohes Gut und sollte erhalten bleiben. Der BVK bietet Hilfestellungen bei der Prüfung von Courtagevereinbarungen und Poolverträgen.

Welche Entwicklungen und Trends sollten Versicherungs- und Finanzanlagenvermittler aus Ihrer Sicht aktuell im Auge behalten, weil diese mitentscheiden könnten, wer sich auf dem Markt behauptet?

Zum einen wird das Thema Nachhaltigkeit weiter großen Einfluss auf die Arbeit der Vermittler haben. Zudem sollten Vermittler die demographische Entwicklung im Blick behalten. Die Förderung und die Ausbildung von Nachwuchs ist dabei auch in ihrem eigenen Interesse hinsichtlich der Themen Personalgewinnung und späterer Altersnachfolge. Der BVK begegnet dem Thema mit den BVK-Junioren. Zudem ist die Förderung unternehmerische Entwicklung der Vermittlerbetriebe eine entscheidende Stellschraube für deren Zukunftsfähigkeit. Last but not least bleibt das Thema Digitalisierung ein Dauerbrenner, um künftig am Markt erfolgreich zu sein.

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Das Interview erschien zuerst im kostenlosen Fachmagazin des Versicherungsboten.

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