Ein „ewiges Streitthema“ vor Landes- und Oberlandesgerichten ist der Handelsvertreterausgleich nach Kündigung eines Handelsvertretervertrags. Bei jenem Urteil, über das nun der Bundesgerichtshof (BGH) mit Datum vom 19.01.2023 urteilen musste, schienen die Bedingungen aber anders: Ein Handelsvertreter hatte mit einem Möbelvertrieb eine vertragliche Vereinbarung geschlossen, die erhebliche Provisionsvorauszahlungen vorsah. Die Zahlungen summierten sich in kurzer Zeit zu einer enormen Summe, denn die vertraglich vereinbarte Mindestzahlung überschritt den monatlichen Provisionsanspruch des Handelsvertreters wesentlich.

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Darlehensvertrag trieb Handelsvertreter in Abhängigkeit

Die vertragliche Vereinbarung wirkt aus der Außenperspektive zunächst unvernünftig, da Summen das Provisionsvolumen des Handelsvertreters derart fundamental überstiegen. Die Differenz zwischen tatsächlich erworbenem Provisionsanspruch und der vertraglich vereinbarten Mindestzahlung sollte durch das Unternehmen als Darlehen gewährt werden mit 3,5 Prozent jährlichem Zins. Vertraglich wurde außerdem vereinbart: Bei Beendigung des Handelsvertretervertrages seien Restschuld des Darlehens sowie die Zinsen in einer Summe sofort fällig, und zwar unabhängig vom Kündigungsgrund.

Es kam schnell zu hohen Schulden

Die Vorauszahlungen waren enorm – zwischen Juni 2014 und Dezember 2016 sammelte sich eine Schuld zulasten des Handelsvertreters in Höhe von 54.937,47 Euro an. Der Möbelvertrieb musste es mit Blick auf diese Summe mit der Angst zu tun bekommen haben, denn plötzlich wurde die Summe mit einem Schlag zurück gefordert. Statt des ganzen Betrags aber zahlte der Handelsvertreter nur die Zinsen. Aus diesem Grund kündigte der Möbelvertrieb dem Handelsvertreter den Vertrag und berief sich hierbei auf das beidseitig fristlose Kündigungsrecht.

Nun verlangte der Möbelvertrieb die Darlehenssumme sofort zurück, wie es in dem Handelsvertretervertrag vereinbart war. Als der Handelsvertreter die Summe nicht zahlte, klagte der Möbelvertrieb. Zunächst ohne Erfolg: Das Landgericht wies die Klage ab. Der Möbelvertrieb ging in Berufung und erlangte einen Teilerfolg vor dem Oberlandesgericht – dieses beschied, der Handelsvertreter müsse die Summe zurück zahlen, allerdings nicht sofort, sondern nach und nach.

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Jetzt aber ging der Handelsvertreter in die nächste Instanz – in Revision vor den Bundesgerichtshof. Und hier erlangte er einen neuen Erfolg: Der Vertrag des Möbelvertriebs mit dem Handelsvertreter wurde als Umgehungsgeschäft gewertet, das die Bestimmungen von Paragraf 89a Handelsgesetzbuch (HGB) umgeht. Damit ist – anders als von der Vorinstanz angenommen – nicht nur die sofortige Rückzahlungsverpflichtung aus dem Handelsvertretervertrag unwirksam, sondern der gesamte Vertrag. Weil aber der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist, muss das Revisionsgericht den Rechtsstreit zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurück geben.

Die Urteilsgründe

Das Urteil begründet sich durch gesetzliche Vorschriften zum Kündigungsrecht bei Handelsvertreterverträgen. Zunächst gilt: Im Vertrag zwischen Unternehmen und Vertreter können eigene Fristen vereinbart worden sein, diese müssen aber den gesetzlichen Vorschriften entsprechen. So darf zum Beispiel die Kündigungsfrist für den Unternehmer nicht kürzer sein als für den Vertreter – ist dies dennoch der Fall, verliert die Frist des Unternehmers seine Gültigkeit und die längere Frist für den Vertreter wird ebenfalls für den Unternehmer verbindlich.

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Gibt es aber keine vertraglichen Regelungen, gilt laut Gesetz Folgendes: Im ersten Jahr der Vertragsdauer kann mit einmonatiger Frist, im zweiten Jahr mit zweimonatiger Frist und vom dritten bis zum fünften Jahr der Vertragsdauer mit dreimonatiger Frist gekündigt werden. Nach einer Vertragsdauer von fünf Jahren gilt hingegen eine Kündigungsfrist von sechs Monaten. Zulässig ist die Kündigung nur für den Schluss eines Kalendermonats. Bei fristgerechter Kündigung müssen keine Gründe angegeben werden.

Kündigungserschwernisse zulasten des Handelsvertreters sind verboten

Zugleich verbietet das Handelsgesetzbuch Kündigungserschwernisse zulasten des Handelsvertreters. So heißt es in Paragraf 89a Abs. 1 HGB: „Das Vertragsverhältnis kann von jedem Teil aus wichtigem Grunde ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Dieses Recht kann nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden.“ Der Bundesgerichtshof führt hierzu aus: Diese zwingende gesetzliche Regelung stellt eine Schutzvorschrift zu Gunsten des im Allgemeinen wirtschaftlich schwächeren Handelsvertreters dar, die verhindern soll, dass der schwächere Vertragsteil einseitig in seiner Entscheidungsfreiheit zur Vertragsbeendigung beschnitten wird. Eine Beschränkung der Kündigungsfreiheit kann dabei nicht nur unmittelbar erfolgen, sondern auch bei mittelbaren Erschwernissen in Form von finanziellen oder sonstigen Nachteilen vorliegen.

Als Beispiele für solche Nachteile nennt das Gericht zum Beispiel die Zahlung einer Vertragsstrafe bei Kündigung. Solche Klauseln sind per Gesetz strikt verboten. Jedoch: nicht nur unmittelbare Kündigungserschwernisse sind laut Bundesgerichtshof verboten, sondern auch mittelbare. Solche liegen vor, wenn die Vertragsbeendigung für den Handelsvertreter mit erheblichen Nachteilen verknüpft ist, die seine Entscheidungsfreiheit einschränken. Als Beispiel nennt das Gericht Klauseln, die eine sofortige Rückzahlung von langfristiger Vorschusszahlungen fordern. Liegen solche Klauseln vor, sind die vertraglichen Vereinbarungen im Ganzen unwirksam und nichtig.

Vertrag wurde als Gesetzesumgehung gewertet

Die Vertragsfreiheit erlaubt den Parteien grundsätzlich, ihre Vertragsbeziehungen so zu gestalten, dass sie ihre wirtschaftlichen Ziele erreichen können, es sei denn, die getroffene Vereinbarung verstößt gegen ein gesetzliches Verbot. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bildet die Gesetzesumgehung dann einen Nichtigkeitsgrund nach Paragraf 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), wenn durch die gewählte rechtliche Gestaltung der Zweck einer Rechtsnorm vereitelt wird. Dieser Rechtsprechung liegt die Erwägung zugrunde, dass ein vom Gesetz missbilligter Erfolg nicht durch die Umgehung des Gesetzes erreicht werden darf. Und eine solche Gesetzumgehung liegt aus Sicht des Bundesgerichtshofs im hier verhandelten Fall vor.

Denn durch die monatliche Darlehensaufstockung in bestimmter Höhe, die mit Provisionsforderungen des Handelsvertreters verrechnet und zum Ende des Vertragsverhältnisses sofort zur Zahlung fällig wird, wird der Handelsvertreter in seiner Entscheidungsfreiheit, das Vertragsverhältnis zum Unternehmer aufzulösen, beschränkt. Die vertragliche Vereinbarung ist hier zu bewerten wie eine Abrede über eine langfristige Vorschusszahlung, die sofort bei Vertragsende fällig werden würde. Weil das Gericht die Schutzwirkung des Paragrafen 89a Abs. 1 HGB zugunsten des Handelsvertreters besonders hoch gewichtet, ist demnach der Vertrag zwischen Vertreter und Möbelvertrieb im Ganzen nichtig. Das Urteil mit dem Aktenzeichen VII ZR 787/21 ist auf der Plattform openjur.de verfügbar.

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