Wie kann vermieden werden, dass ältere Menschen, die auf fremde Hilfe angewiesen sind, im Pflegeheim landen? Eine Lösung hierfür sind Senioren-Wohngemeinschaften. Die Idee ist einerseits, dass die Menschen nicht allein leben, falls zum Beispiel der Lebenspartner schon verstorben ist. Und andererseits, sich gegenseitig zu unterstützen: aber so, dass eine gewisse Autonomie gewahrt wird. Neben eigenen Wohnungen oder Zimmern gibt es Gemeinschaftsräume, in denen zusammen gekocht, gespielt oder sich ausgetauscht werden kann. Und betreuende Personen, die das gemeinsame Miteinander organisieren.

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AOK Bayern strich ambulante Leistungen

Doch die AOK Bayern versuchte dieses Modell zu nutzen, um Geld zu sparen. Sie verweigerte im Jahr 2019 derartigen Senioren-WGs Leistungen zur sogenannten einfachsten medizinischen Behandlungspflege, obwohl die Bewohnerinnen und Bewohner eine ärztliche Verordnung hierfür hatten. Die entsprechenden Regeln hierfür sind unter anderem im 5. Buch Sozialgesetzbuch (SGB 5) festgeschrieben. Stark vereinfacht geht es hierbei um Aufgaben, die auch von nicht medizinisch ausgebildeten Personen erbracht werden können: Die Gabe von Medikamenten, Anziehen von Kompressionsstrümpfen oder das Messen des Blutzuckers.

Die Krankenkasse argumentierte zum einen, dass diese Aufgaben auch die Bewohnerinnen und Bewohner untereinander erbringen könnten, schließlich sei hier keine spezielle medizinische Fachkenntnis nötig. Zum anderen, dass dies mit den -damals noch- 214 Euro je versicherter Person abgegolten sei, die die Pflegekasse für Präsenzkräfte in den Wohngruppen überweise. Auch bei der Pflege zuhause würden derartige Aufgaben von Angehörigen übernommen, so ein weiteres Argument der AOK.

Das Personal in den Wohngemeinschaften übernehme aber andere Aufgaben, etwa die Organisation von Festen oder psychosoziale Betreuung, so argumentierten die Träger der WGs. Dass Bewohner, die selbst stark gesundheitlich beeinträchtigt sind, sich umeinander kümmern sollen, sei ebenfalls nicht zu gewährleisten. In der Regel werden solche Aufgaben von ambulanten Pflegediensten übernommen und abgerechnet. Die Krankenkasse weigerte sich aber, diese ambulanten Fachkräfte weiter zu bezahlen.

Hätte das Beispiel Schule gemacht, wären die Konsequenzen bitter gewesen: Hunderten derartigen Senioren-WGs hätte möglicherweise das Aus gedroht. Paradox: Hätten die Bewohnerinnen und Bewohner dann in ein Pflegeheim gegeben werden müssen, hätte das die Kassen wohl noch mehr Geld gekostet: auch zulasten der Beitragszahler.

BSG urteilt im Sinne der Pflegebedürftigen

Drei Seniorinnen und Senioren klagten schließlich dagegen, dass die Krankenkasse die Kosten für Behandlungspflege nicht mehr übernehmen wollte. Mit Erfolg: Das Bundessozialgericht bestätigte, dass die Kassen auch die Behandlungspflege in ambulant betreuten Wohngruppen zahlen müssen.

In den Vorinstanzen urteilten bereits sowohl das Sozialgericht Landshut als auch das Bayerische Landessozialgericht im Sinne der Pflegebedürftigen. Solange solche Pflegeleistungen nicht in einer Vereinbarung zwischen den Bewohnern festgehalten werden, bleibe es die Pflicht der Krankenkasse, sie zu erstatten (Bayrisches Landessozialgericht, Urteil vom 20.08.2019, Az. L 5 KR 402/19, L 5 KR 403/19, L 5 KR 404/19).

Die AOK gab sich aber nicht geschlagen: Und ging in Revision vor dem Bundessozialgericht. Auch mit der Begründung, dass die Frage, ob Leistungspflicht bestehe, geklärt werden müsse, weil es sich um eine offene Rechtsfrage handle. Doch die Revision der Krankenkasse war erfolglos, wie das Bundessozialgericht in einem Terminbericht mitteilt.

"Nach der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und sozialer Pflegeversicherung bei ambulanter Versorgung können Versicherte Leistungen der Behandlungspflege als häusliche Krankenpflege - einschließlich der einfachsten Maßnahmen - auch dann beanspruchen, wenn sie zugleich ambulante Pflegeleistungen im Rahmen der sozialen Pflegeversicherung beziehen", führt das Bundessozialgericht aus. Das habe der Gesetzgeber bei der Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs ausdrücklich bekräftigt. Dies ändere sich auch dann nicht, wenn mehrere Pflegeversicherte Leistungen der häuslichen Pflegehilfe gemeinsam in Anspruch nehmen.

Im konkreten Rechtsstreit vor dem Bundessozialgericht wurde der Fall einer Seniorin verhandelt, die den Pflegegrad 4 besitzt und nun durchsetzen konnte, dass die Krankenkasse eine dreimalige Medikamentengabe am Tag bezahlen muss. In den anderen beiden anhängigen Verfahren habe sich die AOK dem Ausgang der Sache im ersten Verfahren unterworfen, teilt das BSG weiter mit.

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