Versicherungsbote: Die betriebliche und private Altersvorsorge werden durch dauerhaft niedrige Zinsen am Kapitalmarkt belastet: Die Anbieter sind gesetzlich gezwungen, große Teile der Beiträge in Anleihen zu investieren, sofern sie Garantien bieten. Die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) warnt, vollständige Beitragsgarantien seien mit den niedrigen Zinsen bei mehreren Vorsorgeformen nicht mehr darstellbar. Brauchen hier Versicherer, Pensionskassen und -fonds mehr Freiheiten, etwa dass sie Garantien beschneiden und das Geld stärker in Aktien und Fonds investieren können?

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Markus Kurth: In der vor allem finanzpolitisch geführten Garantien-Debatte kommt die Frage nach der sozialpolitischen Funktion von kapitalgedeckter Altersvorsorge oft zu kurz. Hier hilft ein Blick zurück: Die Riester-Rente wurde vor zwei Jahrzehnten eingeführt, um das Absinken des Rentenniveaus der gesetzlichen Rentenversicherung auszugleichen. Die geförderte private Altersvorsorge hatte also eine Ersatzfunktion. Bei ihrer Ausgestaltung musste das berücksichtigt werden. Deshalb besteht seitdem bei Riester eine sogenannte Beitragsgarantie. Diese spiegelt das sehr hohe Sicherheitsniveau der gesetzlichen Rente wider.

Nun können wir aus der anhaltenden Niedrigzinsphase die Schlussfolgerung ziehen, dass auf Garantien in Zukunft zumindest zum Teil verzichtet werden sollte. Klar ist dann aber auch, dass die kapitalgedeckte Altersvorsorge dann keine Substituierungsfunktion mehr beanspruchen kann, da sie eben nicht mehr ähnliche Sicherheiten wie die gesetzliche Rente bietet. Entfallen die Garantien, ist aus meiner Sicht die staatliche Förderung auch nicht mehr zu rechtfertigen.

Vom Niedrigzins betroffen ist auch die staatlich geförderte Riester-Rente, die für einen Markt mit stabilen Zinserträgen „designt“ wurde. Das Neugeschäft stagniert seit Jahren. Wofür plädieren Sie: Neustart oder Abstellgleis? Welche Reformen könnten Riester wieder populärer machen?

Ich plädiere vor allem für eine Stärkung der gesetzlichen Rente. Denn dass die Riester-Rente gescheitert ist, liegt nur zum Teil an ihr selbst. Dahinter stecken Strukturschwächen der Kapitaldeckung. Die Niedrigzinsphase wird Bestand haben und schon längst ist absehbar, dass mit der Digitalisierung und der Ökologisierung große Unsicherheiten auf die Finanzmärkte zukommen. Ich bin daher mehr als skeptisch, ob wir auf die Krise der Riester-Rente mit einer Riester-Rente 2.0 mit mehr Umfang und Risiko für alle reagieren sollten, wie mitunter vorgeschlagen wird.

Dank Niedrigzins-Politik werden viele populäre Geldanlagen der Deutschen vakant: Lebens- und Rentenversicherungen rentieren sich immer seltener. Müssen die Bürger umlernen und ihr Geld in andere Vorsorgeformen stecken?

Wir Grüne setzen uns dafür ein, dass freiwillige Beitragszahlungen an die gesetzliche Rentenversicherung zu jeder Zeit möglich sind. Wir möchten, dass jede und jeder von ihrem großen Leistungsspektrum und ihrer Rendite mehr als bisher profitieren können. Daneben sehen wir mit dem Bürgerfonds auch eine neue, einfachere und renditestarke Form der Altersvorsorge vor. Darauf kommen wir sicher noch zu sprechen.

Die deutsche Bevölkerung gilt als vergleichsweise kapitalmarktscheu und sicherheitsorientiert in der Altersvorsorge. Trotz steigendem Trend ist nur etwa jeder Sechste (17,5 Prozent) ab 14 Jahren in Aktien, Aktienfonds und ETFs investiert: deutlich weniger als in anderen Industriestaaten. Würden Sie eine breitere Aktionärskultur in Deutschland begrüßen? Was müsste angestoßen werden, um die Deutschen zu Aktionären zu machen?

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Wer möchte, mit Risiko leben kann und etwas Geld übrig hat, soll es gern in Aktien oder ETFs anlegen. Wichtig ist mir hier aber die Freiwilligkeit. Ich halte wenig davon, eine wie auch immer geartete Form von Verpflichtung zum Aktiensparen einzuführen. Anhand der Beispiele Schweden und Großbritannien lässt sich erkennen, dass eine Pflicht oder ein „Nudging“ in die kapitalgedeckte Altersvorsorge mit einem relativ schwach ausgeprägten umlagefinanzierten oder staatlichen Teil der Altersvorsorge einhergeht. Würden wir in Deutschland ebenso den Pfad eines finanzpolitischen Paternalismus einschlagen, ginge dies über kurz oder lang auf Kosten der gesetzlichen Rente.

Bürgerfonds statt Riester-Rente

Versicherungsbote: Mir scheint, fast alle Parteien sind der Idee eines Staatsfonds gegenüber nicht abgeneigt, etwa nach dem Vorbild Schwedens und Norwegens. So soll das Umlageverfahren der gesetzlichen Rente durch einen Kapitalstock ergänzt werden. Würden Sie für Ihre Partei einen solchen Staatsfonds begrüßen? Wenn ja: Wer soll ihn verwalten - und wie soll er organisiert sein, damit Bürgerinnen und Bürger ihn akzeptieren?

Markus Kurth: Wir schlagen vor, die Riester-Rente durch einen einfachen, kostengünstigen und transparenten Bürgerfonds zu ersetzen. Mit den schwedischen und norwegischen Varianten ist er nur begrenzt zu vergleichen. Er soll sich weder aus Ölreichtum wie in Norwegen speisen noch Teil der ersten Säule der Alterssicherung sein, wie die schwedische Premiepension. Allerdings soll auch der Bürgerfonds öffentlich und politisch unabhängig verwaltet werden, zum Beispiel von der Bundesbank oder der Deutschen Rentenversicherung. Er soll zudem anhand von ESG-Nachhaltigkeitskriterien investieren – und das langfristig. So bietet er das Potenzial einer guten Rendite. Arbeitgeber*innen sollen künftig eine betriebliche Altersvorsorge anbieten, einen eigenen Finanzierungsbeitrag leisten und den Bürgerfonds dafür nutzen können.

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Unsere Leser sind mehrheitlich Versicherungsvermittlerinnen und -vermittler. Laut GfK-Umfrage hat kein anderer Berufsstand ein derart schlechtes Image. Anders sieht es aus, wenn Kundinnen und Kunden zu der Zufriedenheit mit ihrem persönlichen Vermittler befragt werden: fast zwei Drittel bewerten diesen laut YouGov-Umfrage als „sehr gut“ oder gar „ausgezeichnet“. Gegenüber uns wird oft beklagt, dass der Berufsstand zum Sündenbock für Fehlentwicklungen gemacht wird: über Skandale wird berichtet, doch wenn das Gros gute Arbeit macht, ist das keine Schlagzeile wert. Wie positioniert sich Ihre Partei zur Vermittlerschaft? Gibt es Ziele, die direkte Auswirkungen auf den Berufsstand hätte?

Der Versicherungsvertrieb befindet sich seit einiger Zeit in einer schwierigen Lage, viele dort Beschäftigte machen sich Sorgen um ihre berufliche Perspektive. Das liegt vor allem auch daran, dass in Zeiten niedriger Zinsen Lebensversicherungen nicht mehr so attraktiv sind wie früher. Versicherungsunternehmen versuchen zudem die Kosten im Vertrieb zu drücken. Hinzu kommen regulatorische Vorgaben, die auf Probleme der Vergangenheit reagieren.

Wir sind der Meinung, dass mittel- bis langfristig ein eigenständiges und wettbewerbsfähiges Berufsbild des unabhängigen Honorarberaters mitsamt eigener Honorarordnung sowohl dem Verbraucherschutz nützen wird als auch eine nachhaltige Beschäftigungsperspektive für den seit Jahren schrumpfenden Versicherungsvertrieb bieten kann. Wir setzen uns deshalb heute für gleiche Wettbewerbsbedingungen für die unabhängige Honorarberatung ein. Hierzu gehören z.B. das verpflichtende Angebot von Netto-Tarifen oder die volle Transparenz bei Provisionen und Zuwendungen. Zudem streben wir einen Rahmenplan für den kompletten Umstieg auf die unabhängige Honorarberatung an, der Planungssicherheit schafft.

Würden Sie ein Provisionsverbot in der Lebensversicherung und kapitalbildenden Altersvorsorge befürworten? Bitte begründen Sie die Positionierung.

Wir wollen Interessenkonflikte durch provisionsbasierte Beratung verhindern. Obwohl durch Provisionen eine qualitativ hochwertige Beratung nicht ausgeschlossen ist, besteht bei einer Vermittlung auf Provisionsbasis die Gefahr, dass Produkte mit lukrativen Provisionen bevorzugt vertrieben werden. Gut gemachte Regulierung, die auf die Abmilderung dieser Interessenkonflikte abzielt, unterstützen wir deshalb. Grundsätzlich sind wir aber der Meinung, dass in vielen Bereichen die Probleme nur durch einen Umstieg auf honorarbasierte Beratung gelöst werden können. Wir müssen daher schon heute die Voraussetzungen für einen sukzessiven Übergang von der Provisionsberatung zur unabhängigen Honorarberatung schaffen. Dafür müssen Wettbewerbsnachteile für unabhängige Berater*innen sofort abgebaut und ein klarer Zeitplan für den Ausstieg aus der Provisionsberatung bis zum Jahr 2030 festgelegt werden, so dass für alle ein planbarer und angemessener Übergangszeitraum besteht.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig

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