Gottfried Wilhelm von Leibniz hatte eine Antwort auf die Frage, wie das Leid eines Einzelnen durch einen kleinen Beitrag einer Gemeinschaft gelindert werden kann: durch eine Versicherung.

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Solidarität und Kollektivität sind der Grundgedanke von Versicherungsgesellschaften. Sie sind der Intermediär oder die Sammelstelle der Beiträge für dieses Kollektiv. Hier zahlen viele Menschen (die Versicherten) einen kleinen Beitrag, um in einem definierten Fall - z.B. Schadenersatz gegenüber Dritten - eine definierte Leistung zu erhalten, die weitaus höher sein kann, als der eingezahlte Beitrag. Diese Idee ist ungefähr 300 Jahre alt.

Die aktuelle Lage

Veranschaulichen wir uns nun die Rolle der 131 Versicherungsgesellschaften im Bereich private Haftpflicht für das Jahr 2019, auf Basis der Daten des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft.

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Insgesamt wurden 8.13 Mrd. € Beiträge durch die Versicherten entrichtet. 5.18 Mrd. € wendeten die Versicherungsgesellschaften für Schäden und Leistungsfälle auf. Das entspricht einer Schadenquote von 63,7 Prozent (Schäden/Beiträge in %). Da den Versicherungsgesellschaften natürlich auch weitere Kosten entstehen, werden diese der Rechnung (die die Versicherten am Ende zahlen) hinzugefügt. Die kombinierte Schaden-Kosten-Quote gibt dann an, was der Geschäftsbetrieb insgesamt gekostet hat. 2019 betrug diese Quote 84,9 Prozent. Das heißt die Versicherungsgesellschaften gaben im Durchschnitt 21,2 Prozent für Provisionen, Vertriebsaktivitäten und Verwaltung aus. Die Überschüsse der Versicherungsgesellschaften betrugen somit 15,1 Prozent der Beiträge. Hinweis: Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit und öffentliche Versicherungsgesellschaften schütten ihre Gewinne aufgrund ihrer Rechtsform nicht an Aktionäre und Investoren aus. Es gibt keine Unternehmenseigentümer im klassischen Sinne. Die Gewinne werden - unter bestimmten Voraussetzungen - über die sogenannte Beitragsrückvergütung an die Kunden zurückgegeben. Eine andere Möglichkeit ist die Thesaurierung (Erhöhung des Eigenkapitals) oder das Bilden von Rückstellungen.

Was bedeutet dies nun für die Praxis?

Um die Auswirkungen genauer darzustellen, arbeiten wir mit folgenden Annahmen:

  1. Die Hälfte der die Versicherungsgesellschaften arbeitet als gewinnmaximierend für die Interessen von Aktionären und Investoren.
  2. Die Versicherungsgesellschaften haben einen starken Anreiz mit möglichst günstigen Kostenquoten zu arbeiten, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
  3. Die Versicherungsgesellschaften haben einen starken Anreiz möglichst geringe Schadenquoten zu erwirtschaften, um dauerhaft profitabel zu wirtschaften.

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Kommen wir nun zur Sache.
Im Jahr 2019 betrug der Überschuss der Haftpflichtversicherungsgesellschaften 1.227 Mrd. €. Gemäß Annahme I. wird die Hälfte davon als versicherungstechnisches Ergebnis an Aktionäre und Investoren ausgeschüttet. D.h. 613,5 Mio. € werden als Dividende ausgezahlt. Zur Veranschaulichung: das entspricht dem Bruttoinlandsprodukt eines mittelgroßen Karibikstaates.

Hier möchten wir jetzt keine Kapitalismuskritik anbringen und auch nicht diskutieren, ob das gerecht ist, sondern direkt zu Annahme II. kommen.

Versicherungsgesellschaften wollen im Wettbewerb gut abschneiden und mit attraktiven Preisen glänzen, um Vertragsabschlüsse zu generieren. Also optimieren die Versicherungsgesellschaften ihre Prozesse, digitalisieren das Geschäftsmodell und verdichten die Arbeit. Dies sind Indikatoren für eine verbesserte Produktivität. Aber prozessuale Veränderungen dauern teilweise sehr lange. Die Digitalisierung des Geschäftsmodells funktioniert nicht über Nacht, sodass sich die Kostenquote nur sehr langsam verringert bzw. verbessert. Außerdem ist der größte Kostenblock - die Provisionen für die Vermittler - fix. Das bedeutet, diese Kosten fallen immer an. Über die Vertriebsmodelle der Versicherungen zu referieren, würde hier zu lange dauern und eher verwirren. Wichtig ist: (Bestands-)Provision = Fixkosten.

Wenn wir uns - unter Berücksichtigung von Annahme III. - nun also vorstellen, dass wir als Angestellter, Manager oder Vorstand einer Versicherungsgesellschaft die Ergebnisse kurzfristig verbessern sollten, wo setzen wir an? Richtig, wir versuchen die Schadenquote zu senken. Das bedeutet wir müssen also Maßnahmen einleiten, damit möglichst wenig an die Versicherten ausgezahlt wird. Das Dilemma hier ist allerdings, dass sich der Glaube bei den Versicherten noch mehr verfestigt: die Versicherungen zahlen ohnehin nicht.

Allerdings müssen wir festhalten, dass dieses Vorgehen von beiden Seiten soweit erstmal rational nachvollziehbar ist (Versicherte: Versicherung = doof - Versicherungen: Versicherte = teuer). Moralisch kann sicherlich auch eine interessante Diskussion entstehen, die wir aber hier nicht führen.

Lösungsansatz

Unser Vorschlag ist einfach. Gemäß der Anreizwirkung der sozialen Nachhaltigkeit sollte das Kollektiv in das Zentrum zurückgerückt werden. Wer sich also nicht nachhaltig verhält, sondern den Grundgedanken einer Versicherung ausnutzen will, bekommt seinen Schaden nicht ersetzt. Der moralische Anreiz des Versicherten (der sog. Moral Hazard) die Auszahlung einer Versicherung zu maximieren oder gar zu betrügen, würde verschwinden. Das Gerechtigkeitsstreben des Versicherungskollektivs untereinander bietet somit Vorteile für alle. Als Individuum besteht nun eine moralische Verpflichtung gegenüber dem Versicherungskollektiv.

Um die Gewinnmaximierungsneigung der Versicherungsgesellschaften müssen wir uns jetzt noch kümmern. Analog des Labels der Energieeffizienz (oder ein Versicherungs-Nutri-Score aus Teil IV: Versicherungen in der Dekade des Handelns – Greenwashing, nein Danke!) für Häuser oder Elektrogeräte müssen die Versicherungen ausweisen, wie gewinnorientiert sie arbeiten. Hier muss für die Versicherten erkennbar sein, wer die Gewinne bekommt oder wofür diese verwendet werden. Hier ein Beispiel analog Energie Label von elektronischen Produkten.

Hier ein Beispiel, was hintern den einzelnen Buchstaben stehen kann:

  • A+++ Gewinne werden vollständig nachhaltig angelegt, gespendet, an die Versicherten ausgeschüttet
  • B Gewinne werden nicht nachhaltig angelegt und vollständig an Aktionäre ausgeschüttet
  • C Gewinne werden gezielt in Atomkraft und Rüstungsindustrie investiert

Zusammenfassung

Die Versicherten können mit dem Label entscheiden, welcher Rechts- bzw. Gewinnverwendungsform sie ihr Vertrauen schenken. Der Fokus auf den Grundgedanken von Versicherungen ist auf allen Ebenen zurück, beim Einzelnen, beim Kollektiv und den Versicherungsgesellschaften. Ergänzt werden könnte das Label noch um die Angabe der Provisionshöhe des jeweiligen Produktes, welche der Vermittler erhält. Diesen Aspekt hatten wir im Teil 4 bereits aufgegleist. Somit ist der Kunde ebenfalls in Kenntnis darüber gesetzt worden, welchen Anreiz der Vermittler beim Versicherungsabschluss hat - unabhängig ob dies persönlich, fernmündlich oder digital ist. Für die Versicherungsgesellschaften, Vermittler und Kunden könnte eine neue Ära des Vertrauensgeschäftes anbrechen. Noch nachhaltiger könnte der Abschluss werden, wenn die konkreten Bemühungen der Versicherungsgesellschaften zur Erreichung der SDGs im Versicherungsbeitrag erkennbar sind … Träumen ist doch erlaubt?

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Weitere Informationen zur Beitragsreihe: Die Zusammenhänge wurden vereinfacht, um der Allgemeinheit ein grundsätzliches Verständnis der Beitragszusammensetzung zu präsentieren. Details sind in der Verordnung über die Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen (RechVersV) zu finden. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung hat für die Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten eine Einführung zur Lesart von Versicherungsbilanzen erstellt. Wir empfinden dies als sehr verständlich und praxisnah.

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