Versicherungsprodukte sollen Differenzierungs- und Alleinstellungsmerkmal bringen, sind aber mit wenigen Anpassung in Bedingungen und Marketingunterlagen kopierbar. Auch für sog. grüne oder nachhaltige Versicherungsprodukte gilt dies. Die Differenzierungen der unterschiedlichen Versicherungsgesellschaften, welche Wettbewerbsvorteile und Gewinne bringen soll, ruft folglich einen eigenen Wirtschaftszweig auf den Plan, mit dem Anspruch: "bedarfsorientierter" Produktberatung.

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Diese Beratung ist für die Versicherungsgesellschaft zunächst erstmal nur eins: teuer. Ein Mensch oder eine Software ermitteln folglich individuell, welches Produkt zum Kundenbedarf passt. Dieser Service ist nicht kostenlos, auch wenn den Kunden (im klar überwiegenden Anteil der Vermittlung) scheinbar keine Kosten entstehen. In Abhängigkeit Ihrer Profession (Vermittler, Makler, Angehöriger einer Versicherung, Sonstiger) werden Sie folglich mehr oder weniger empört sein über die Aussage. Die Ineffizienz dieses Beratungs-Gebarens kennt insbesondere bei Basisprodukten eigentlich keine Grenzen - denn die Abschlusskosten eines Versicherungsproduktes sind vorvertraglich so intransparent wie möglich gehalten. Welche Konsequenzen das im Sinne der Nachhaltigkeit hat, wollen wir Ihnen in diesem Teil näher erläutern. Zusätzlich werden wir noch einmal in Teil V: Gewinne der Versicherungsunternehmen – Ein Dilemma oder Teil der Lösung? auf dieses Thema zu sprechen kommen! Für unseren heutigen Beitrag konzentrieren wir uns zunächst auf die Moral, anschließend auf internationale und deutsche Leitplanken, bevor es abschließend etwas hemdsärmelig wird.

Fangen wir einmal mit Moral und Ethik an und konzentrieren uns dabei auf die Dimension Produktgestaltung:

  • Ist eine Kfz-Versicherung für ein 400PS-Diesel nachhaltig, wenn im Gegenzug ein Baum bei Vertragsabschluss gepflanzt wird?
  • Wird eine Hausratversicherung für ein Gentechnik-Lobbyisten nachhaltig, wenn die Versicherungsgesellschaft mit den Beiträgen gemeinnützige Organisationen fördert?
  • Arbeitet eine Versicherung nachhaltig, wenn sie eine Frauenquote für die Führungsetage festlegt und gleichzeitig ausbeutende Textilfabriken in Bangladesch versichert?

Die Antwortet lautet vermutlich: hängt vom (individuellen oder objektiven) Bewertungsmaßstab ab. In Anbetracht Ihres eigenen Bewertungsmaßstabes, entwickeln Sie sicherlich zu jeder Frage eine Meinung. Den Kunden wird es ähnlich gehen. Angelehnt an Untersuchungen der Universität St. Gallen haben wir vier Typen im Verhalten und der Einstellung gegenüber dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit differenziert. Dabei stehen die Konsequenten (einstellungs- oder informationsbasiert) den Opportunisten und Leugnern gegenüber. Die oben adressierten Fragen bekommen in Anbetracht dieser Kundensegmentierung noch eine andere Bedeutung zu: wie viele Kunden gibt es je Segment und wie kann ich sie genau unterscheiden?

Für Vermittler, Makler und Versicherungsgesellschaften können die Schlussfolgerungen für Produktgestaltung und Kundenansprache somit unter Umständen feingliedrig und klientenorientiert sein. Zukünftig kommen nachhaltigen und grünen Versicherungsprodukten unter Umständen auch noch ein erzieherischer oder aufklärerischer Auftrag zu. Anhaltspunkte finden sich in der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR), umgangssprachlich Offenlegungsverordnung genannt. Seit 10. März 2021 in Kraft, mit dem Anwendungsbereich Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater, müssen „klare und begründete Erläuterungen dazu, ob und – wenn ja – wie in einem Finanzprodukt die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigt werden;".

Berechtigter Weise wenden Sie jetzt (gedanklich) ein, noch ist die Verordnung nicht im deutsches Recht konkretisiert. Außerdem ist die Lobbymaschine der Versicherungswirtschaft bereits angeworfen, um Schlimmeres zu verhindern. Wir wollen folglich auch nicht Äpfel (Personenversicherung) mit Birnen (Schaden- und Unfallversicherung) vergleichen. Die Offenlegungsverordnung bezieht sich zunächst eher auf versicherungsbasierte Investitionsprodukte, Altersvorsorgeprodukte und artverwandte Fonds. Die Strahlkraft auf den Anwendungsbereich der Schaden- und Unfallversicherung erscheint allerdings nur als eine Frage der Zeit. Es ergibt sich in jedem Fall kurzfristig eine weitere interessante Frage: Bei wem liegt die Deutungshoheit von Nachhaltigkeit in der Finanzdienstleistungswirtschaft? Die Berechtigung der Fragestellung konnten wir auch in unseren qualitativen Untersuchungen erkennen. Der klar überwiegende Teil der Befragten brachte die Bedeutung von Nachhaltigkeit bei Versicherungsprodukten sowie Finanzprodukten in eine nicht sinnvolle Verbindung.

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Zwischenfazit: Die Antwort auf die Frage – wer hat die Deutungshoheit über Nachhaltigkeit? – könnte folglich zum Gamechanger für die beteiligten Akteure werden. Denn Transparenz wird sich auf allen Ebenen der Nachhaltigkeitsdiskussion widerspiegeln müssen. In den Principles for Sustainable Insurance (PSI), also den Prinzipien für die nachhaltige Versicherung, als Beschleuniger der Offenlegungsinitiative wird in jedem Handlungsfeld die dialogische Grundhaltung deutlich. Insofern bleibt der Handlungsdruck hoch, mit allen Stakeholdern ins Gespräch zu kommen.

Bisher wurden nur Fragen aufgeworfen - was heißt das jetzt eigentlich konkret?

Der Beschluss des Präsidiums des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) geht folglich insbesondere auf nachhaltige und klimafreundliche Produkte und Schadenregulierung ein. Damit verbunden schließen wir an die moralischen Ausgangsfragen an, dass der Bewertungsmaßstab eine entscheidende Rolle spielen wird. Ein ernstgemeintes Nachhaltigkeitsassessment mit stringenten, transparenten und einfachen Kriterien hilft dabei sicherlich allen Beteiligten.

An der Argumentationslinie merken Sie bereits, dass es uns bisher wenig um Produktinnovationen ging. Aus gutem Grund. Weniger als ein Drittel unserer Befragten konnte sich unter nachhaltigen Versicherungsprodukten etwas vorstellen. Allerdings haben 56 Kreative (von 190) insgesamt 100 Anregungen und Ideen zu nachhaltigen Versicherungen gegeben. Ganze 15 Rückmeldungen bezogen sich auf Produkte. Weitere 18 thematisierten die Geldanlage bei Versicherungsgesellschaften. Beide Kategorien sind folglich nicht irrelevant. Aber die Bedeutung von Strategie, sozialem Engagement, Risikomanagement und Arbeitsweisen nehmen eine stärkere Position bei den Feedbacks ein. Zusätzlich haben wir in einer qualitativen Analyse aus weiteren 196 Feedbacks mit 835 konkreten Ideen zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele der UN (Sustainable Development Goals, kurz SDG) durchgeführt. Mittelbar können Versicherungen zu beinahe jeder Idee einen Beitrag leisten. Unmittelbare Nennung von Versicherungsprodukten oder Finanzdienstleistungen: 0, in Worten: null.

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Wie passt jetzt das klare Bekenntnis des GDV-Präsidiums zur Erreichung der SDGs sowie der Pariser Klimaziele dazu? Aus unserer Sicht ist noch viel Luft nach oben. Konkrete Ideen zu schnellen und nachhaltigen Maßnahmen, wie sie im Beschluss des GDV-Präsidiums gefordert werden: Fehlanzeige! Daher haben wir mal einige Themenfelder zur Erreichung der SDG's als konkrete Maßnahmen zusammengestellt (nur für euch, liebes GDV-Präsidium):

  • Transparenzorientiertes Nachhaltigkeitsverständnis auf Produktebene, anhand der drei Säulen der Nachhaltigkeit und/oder eines einheitlichen GDV-Standards
  • eine "SDG-Auskunft" auf Produktebene mit Auswirkungen der Versicherungsbeiträge auf die relevantesten SDGs, insbesondere 6, 13, 14, 15 (Fokus planetare Grenzen),
  • Einen kundenzentrierten Ergebnistyp mit einheitliche, monetär bewertbare Indikatoren, die nachhaltige Abschlussentscheidung erleichtern,
  • Transparenz und Verantwortung zur Unterrichtung der Öffentlichkeit (analog des Principle 4 PSI) außerhalb unendlich langer CSR-Berichte, bevorzugt auf Produktebene.

Wenn wir die akademische und theoretische Diskussion wieder in die Lebensbereiche der Kunden zurückholen, bleibt folgendes festzuhalten. Im Produktwettbewerb gibt es bisher keine adäquaten Alternativen, die über das Prädikat "ganz nett" hinausgehen. Anders formuliert, die Produkte von Greensurance, grün versichert, ver.de und so weiter fristen (noch) ein Nischendasein. Im Diskurs, was nachhaltig ist und in welchen Lebensbereichen eben dieses Verhalten wichtig ist, werden Ernährung und Mobilität mit der siebenfach Bedeutung ggü. Versicherungen und Finanzdienstleistungen versehen. Das verwundert nicht. So geben bei Mehrfachnennung die Kunden an, dass sie sich nur mit Versicherungen beschäftigen, wenn sie es zwingend müssen. Für die Befragten sind in neun von zehn Fällen Pflichtversicherungen und in mehr als sieben von zehn Fällen der eindringliche elterliche Rat der Anlass, das Thema Versicherung auf die to-do-list zu nehmen. Der Impact und die gesamtwirtschaftliche Relevanz der 1.7 Billionen € Kapitalanlage (entspricht ungefähr dem Bruttoinlandsprodukt von Kanada) und der 53 Mrd. € Leistungen in der Schaden- und Unfallversicherung (entspricht ungefähr dem Bruttoinlandsprodukt von Bulgarien) in 2019 scheinen nur am Rande im Bewusstsein der Kunden (5). Hier besteht für die Versicherungswirtschaft wahnsinniges Potenzial.

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