Versicherungsbote: HelloBetter hat sich mit der Psychotherapie einen sehr sensiblen Bereich für Telemedizin und Fernbehandlung ausgesucht. Warum gerade dieser Schwerpunkt?

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David Ebert: 
Jedes Jahr leidet mindestens jeder vierte Erwachsene in Deutschland an einer psychischen Erkrankung. Nur ein relativ kleiner Anteil sucht proaktiv nach Hilfe, um die Beschwerden zu lindern: Lediglich 9 Prozent aller erwachsenen Versicherten haben in den letzten 3 Jahren wegen eines psychischen Problems einen Psychotherapeuten aufgesucht.

David Ebert ist Mitgründer und wissenschaftliche Leiter von HelloBetterHelloBetter

Das kann gravierende Folgen haben: Werden Menschen mit psychischen Beschwerden nicht rechtzeitig erreicht, kann es für die Versicherungen teuer werden. Behandlungsverzögerung führen in vielen Fällen zu hohen Kosten durch eine Arbeitsunfähigkeit oder komplizierte Behandlungen. Mindestens 25 Prozent der stationären Behandlung psychischer Erkrankungen wären überflüssig, wenn die Patienten rechtzeitig Hilfe in Anspruch genommen hätten. Werden die Betroffenen früher im Erkrankungsprozess erreicht, können kostspielige Behandlungen reduziert werden.

Studien zufolge liegt der Hauptgrund dafür, dass lediglich so wenige Betroffene in Kontakt mit dem Gesundheitssystem treten, darin, dass viele Menschen ihre Probleme lieber selbstständig lösen möchten, anstatt sich von Ärzten oder Psychotherapeuten helfen zu lassen. Genau da setzt HelloBetter an, indem wir Menschen befähigen, die Lösung ihrer Beschwerden proaktiv in die Hand zu nehmen: Mit Hilfe unserer Online-Trainings erhalten sie einen einfachen und erschwinglichen Zugang zu wissenschaftlich erwiesener und zeitnaher Stärkung und Wiederherstellung ihrer psychischen Gesundheit.

Psychologische Praxen sind teils überlaufen, in Großstädten wie Leipzig oder Berlin muss man wochen- und manchmal gar monatelang auf einen Therapieplatz warten. Sehen Sie HelloBetter auch als eine Antwort auf bestehende Versorgungsengpässe?

Durch die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen schämen viele Betroffene sich davor, Hilfe bei psychischen Beschwerden in Anspruch zu nehmen. Im Schnitt dauert es sechs bis acht Jahre, bis Betroffene sich dazu durchringen können, sich einem Arzt oder Therapeuten anzuvertrauen. Und wenn sie sich dann endlich zu einer Behandlung durchgerungen haben, macht es ihnen das deutsche Gesundheitssystem in der Tat nicht immer leicht. Durchschnittlich warten Betroffene in Deutschland bis zu sechs Monate auf einen Behandlungsplatz, manche bekommen gar nicht erst einen Therapieplatz.

In der Konsequenz bleiben zu viele psychische Erkrankungen unbehandelt und werden mit der Zeit zu chronischen Erkrankungen oder werden nur von Hausärzten behandelt. Deshalb haben Dr. Elena Heber, Dr. Hanne Horvarth und ich 2015 zusammen das GET.ON Institut, seit Anfang des Jahres bekannt als HelloBetter, gegründet. Uns ging es von Anfang an darum, Menschen mit psychischen Beschwerden ein niederschwelliges Angebot jenseits der herkömmlichen Psychotherapie anzubieten und so eine Versorgungslücke zu schließen. So entstand die Idee evidenzbasierter Online-Trainings zur Behandlung und Prävention psychischer Erkrankungen.

In kaum einem anderen Bereich ist es so wichtig, ein gutes persönliches Verhältnis zu einem Therapeuten aufzubauen: Misstrauen und Missverstehen kann den Erfolg einer Psychotherapie verstärken oder gar die Situation des Patienten verschlimmern. Welche Bedeutung hat der persönliche Kontakt bei Ihnen? Gibt es bei HelloBetter die Möglichkeit, wiederkehrend mit einem Therapeuten zu arbeiten?

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Unsere Beobachtungen zeigen, dass der persönliche Kontakt im Rahmen unserer Online-Trainings enorm wichtig ist, um eine Linderung der Beschwerden zu erzielen. Untersuchungen haben ergeben, dass sechs bis sieben schriftliche oder mündliche Kurzkontakte die gleichen Effekte erzielen können, wie klassische Face-to-Face Psychotherapie. Durch die Einbindung regelmäßiger Online-Kurzkontakte mit Psychotherapeuten in unseren Online-Trainings lässt sich außerdem erkennen, falls Nutzer*innen zusätzliche Hilfsangebote benötigen. So kann rechtzeitig entsprechend Hilfe vermittelt werden. Aus diesem Grund ist der wiederkehrende telefonische oder schriftliche Kontakt mit Psychotherapeuten Standard innerhalb des Angebots von HelloBetter.

...die Akzeptanz für Telemedizin steigt

Versicherungsbote: Mit welchen Partnerinnen und Partnern arbeitet HelloBetter zusammen? Ich kann mir vorstellen, dass verschiedenste Gesundheitsdienstleister für ein solches Angebot eingebunden werden müssen.

David Ebert: Noch unter dem Namen GET. ON haben wir mit der BARMER bereits eine der größten Krankenkassen in Deutschland von unserem Angebot überzeugt und konnten eine enge Kooperation eingehen. BARMER-Versicherte können unser Angebot daher kostenfrei nutzen. Wir sind aktuell dabei, derartige Kooperationen mit einer Reihe weiterer Krankenkassen abzuschließen.

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Dank der Kooperation mit dem Schweizer Krankenversicherer SWICA können SWICA-Versicherte nach einem telemedizinischen Vorgespräch mit dem Schweizer Telemedizin-Unternehmen santé24 in der psychologisch-psychiatrischen Sprechstunde auf das Corona-Stress-Training von HelloBetter zugreifen. Zusätzlich kooperieren wir mit der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG).

Darüber hinaus arbeiten wir mit einer Vielzahl unterschiedlicher lokaler Partner wie Psychotherapeuten, Psychiatern, Kliniken und Schlaflaboren zusammen. Wenn wir im Kontakt mit Nutzer*innen feststellen, dass sie zusätzliche Hilfe bei der Linderung ihrer psychischen Beschwerden benötigen, können wir sie an den entsprechenden lokalen Partner vermitteln. 



Wie evaluieren Sie die Qualität Ihrer Kurse und Angebote?

Kein anderes Startup weltweit verfügt eine vergleichbar umfangreiche wissenschaftliche Evidenz, die die Wirksamkeit unserer Angebote belegt und einen hohen Anteil an substanzieller Reduktion von Beschwerden aufzeigt. Ausschließlich wissenschaftlich evaluierte und für wirksam befundene digitale Trainings wurden über Jahre aufwändig entwickelt, evaluiert und anschließend in die Praxis implementiert. HelloBetter bietet mit elf Online-Trainings in acht Problembereichen, die bislang in 33 randomisiert-kontrollierten Studien auf ihre Wirksamkeit und Kosteneffektivität untersucht wurden, die größte Bandbreite an evidenzbasierten Online-Gesundheitstrainings in Deutschland an. Wir entwickeln und verbessern unser Angebot auf Basis des Feedbacks unserer Nutzer*innen und des Monitorings unserer Psychotherapeut*innen stets weiter.

Auch die Weiterempfehlungsrate ist für uns ein wichtiges Kriterium für die Evaluierung der Qualität unseres Angebots: Fast alle Nutzer geben an, dass sie mit unserem Angebot zufrieden sind und die Nutzung von HelloBetter weiterempfehlen würden.

Untersuchungen haben außerdem konkrete Erkenntnisse darüber gebracht, dass der Effekt unserer Trainings mit einer klassischen Face-to-Face-Psychotherapie absolut vergleichbar sein kann. Zudem bieten wir das einzige Online-Training weltweit an, für das gezeigt werden konnte, dass die Entstehung einer Depression verhindert werden kann. Der Prävention kommt eine entscheidende Bedeutung zu, wenn es darum geht, das Leiden der Betroffenen zu reduzieren und die Anzahl psychischer Erkrankungen zu begrenzen. So sind werden beispielsweise Schlafbeschwerden nach dem HelloBetter-Training im Schnitt um 50 Prozent reduziert.

Wie schätzen Sie die Akzeptanz der Telemedizin bei Patientinnen und Patienten in Deutschland ein? Müssen eventuell noch Ängste/Bedenken abgebaut werden?

Insgesamt war die Akzeptanz für Telemedizin in Deutschland über lange Zeit sehr niedrig. Die Möglichkeiten, die es in diesem Bereich gibt, waren den Menschen schlichtweg nicht bekannt. Das ändert sich langsam. Die Corona-Pandemie hat ja bereits in vielen Bereichen des Lebens zu einer Beschleunigung der Digitalisierung geführt, so auch in der Telemedizin. Laut einer aktuelle Studie der Bitkom haben zum Beispiel Videosprechstunden in der Coronakrise einen kräftigen Schub erlebt: Während im Frühjahr 2020 noch acht Prozent der Menschen in Deutschland ein telemedizinisches Angebot genutzt hatten, waren es im Juli bereits 13 Prozent. Fast jeder Zweite gab an, die Videosprechstunde einem persönlichen Arztbesuch künftig vorziehen zu wollen.

Das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) gestattet es schon bald, Ihre Online-Angebote auch gegen Rezept zu nutzen, so berichten Sie auf Ihrer Webseite. In welchem Umfang können psychologische Online-Angebote künftig (durch die Krankenkassen) vergütet werden? Und wo setzt der Gesetzgeber Grenzen?

Im Rahmen des DVG können psychologische Online-Angebote künftig vollumfänglich vergütet werden. Voraussetzung ist, dass es sich um ein Medizinprodukt niedriger Risikoklasse handelt und die Hauptfunktion des Produktes zum Wesentlichen auf digitalen Technologien beruht. Ein menschlicher Anteil (z.B. eine minimale psychologische Begleitung) ist ausschließlich im Einzelfall erlaubt, sofern es sich bei der Begleitung um eine risikominimierende Maßnahme, welche der Verkehrsfähigkeit des Medizinprodukts dient, handelt (insbesondere in Bezug zu einer zu behandelnden vulnerablen Population).

Hier ist anzumerken, dass das Potenzial digitaler Selbsthilfe-Interventionen für psychische Erkrankungen leider nicht ausgeschöpft wird. Wirklich vergleichbare Effekte, die auch im Rahmen von vor Ort Psychotherapien erzielt werden, werden in der Regel nur dann realisiert, wenn es zumindest einige Online-Kurzkontakte mit begleitenden Psychologen gibt, die Teilnehmer motivieren dran zu bleiben, auch auf mögliche negative Entwicklungen achten können und bei Bedarf dann Teilnehmer unterstützen. Für solche Konzepte wird es weiterhin nötig sein Selektivverträge mit einzelnen Versicherungen abzuschließen.

Mit welchen Kosten müssen Patient*innen ungefähr rechnen, wenn die Krankenkasse nicht für Kurse einspringt? Haben Sie auch Abomodelle?

Wir bei HelloBetter haben einen klaren Auftrag gegenüber der Gesellschaft: Wir wollen jedem Menschen Zugang zu psychotherapeutischer Hilfe ermöglichen. Deshalb setzen wir uns dafür ein, die Digitalisierung der Regelversorgung des deutschen GKV-Systems voranzutreiben.

Psychische Gesundheit ist Grundrecht und die Behandlung bei psychischen Beschwerden ist Aufgabe von Krankenkassen. Für die Betroffenen sollte die Behandlung kostenfrei sein.

Zum einen setzen wir bereits jetzt auf die selektivvertragliche Erstattung über einzelne gesetzliche Krankenkassen. Und zum anderen streben wir eine Aufnahme unserer Trainings in die kollektivvertragliche Erstattung an. Letzteres erfolgt vorerst über den neugeschaffenen Zugangsweg des DVG. Perspektivisch wäre aber auch eine Anerkennung als neue Behandlungsmethode durch den G-BA denkbar [Gemeinsamer Bundesausschuss - Gremium im Gesundheitswesen, das über den Leistungsanspruch in der Solidargemeinschaft entscheidet. Anm. Redaktion].

...wir versuchen, Menschen mit psychischen Problemen früh zu erreichen

Versicherungsbote: Bergen derartige Online-Trainings nicht auch die Gefahr, dass ein Interessent bzw. Interessentin eine ernsthafte depressive Erkrankung unterschätzt bzw. verharmlost? Wie wirken Sie dem entgegen?

David Ebert: Für den Behandlungserfolg ist es immanent vorab zu klären: Ist die jeweilige Maßnahme ausreichend für den Patienten? Digitale Angebote haben den Vorteil, dass eine automatisierte, standardisierte Erfolgskontrolle mit psychologischen Messinstrumenten möglich ist. So wird zum Beispiel eine Verschlechterung beim Patient*innen direkt sichtbar und man kann sie in für sie passende Angebote vermitteln, zum Beispiel in eine telepsychotherapeutische oder stationäre Behandlung.

Sie bieten auch einen Lehrgang für „Depression“ (Stimmung) an. Auf der Webseite heißt es: „Innerhalb von 6 Wochen lernst du alles, was du wissen musst, um depressiven Gefühlen vorzubeugen oder ersten Beschwerden entgegenzuwirken“. Eine Depression ist eine ernste Erkrankung, die eine intensive und sensible Begleitung braucht. Wen sprechen Sie mit diesem Kurs an? Können Sie den Interessenten auch signalisieren, wenn er weitergehende Hilfe braucht?

Untersuchungen belegen, dass das Angebot von HelloBetter dieselben Effekte erzielen kann, wie klassische Face-to-Face-Therapie. Das lässt sich allerdings nicht für alle Nutzer*innen verallgemeinern. Mit unserem Angebot versuchen wir Menschen, die unter psychischen Beschwerden leiden, frühzeitig zu erreichen. Wenn wir jedoch merken, dass unsere Lösung nicht ausreicht, um Nutzer*innen zu helfen, vermitteln wir sie weiter an Ärzte, Psychotherapeuten oder Kliniken.

Die Coronakrise mit all den daraus resultierenden existentiellen Ängsten und Kontaktbeschränkungen bedeutete für viele Menschen auch psychischen Druck und den Wegfall des sozialen Netzes. Haben Sie bei HelloBetter mehr Zulauf in diesen Zeiten gehabt? Wird Corona die Akzeptanz von Telemedizin erhöhen?

Weltweit hat die Corona-Pandemie die Art und Weise, wie Menschen leben und arbeiten, grundlegend verändert. Der Großteil der Unternehmen musste innerhalb nur weniger Tage auf Home-Office umstellen und viele Menschen arbeiten nun schon seit Monaten von zu Hause. Diese Veränderung hat nicht nur große Auswirkungen auf unseren Tagesablauf, sondern beeinflusst auch die mentale Gesundheit der Menschen enorm.
 Auch wenn die Ausgangsperren mittlerweile gelockert wurden, bringt der neue Alltag eine hohe psychische Belastung mit sich. Viele Aspekte des Lebens haben sich nun mal grundlegend verändert und diese Veränderungen werden uns noch eine ganze Weile begleiten. Viele Menschen sind erschöpft, denn Homeoffice und Kinderbetreuung unter einen Hut zu bringen verlangt viel ab. Andere plagen finanzielle Sorgen und Zukunftsängste oder die Angst vor einer Ansteckung mit dem Virus. Andere wiederum leiden darunter, dass niemand sicher sagen kann, wie lange der aktuelle Zustand noch anhält und wie lange die Krise uns begleiten wird.

Dass Corona sich auf die psychische Gesundheit der Menschen auswirkt, haben wir auch gemerkt, weil sich die Zahl der Nutzer unserer Online-Trainings in den ersten Wochen der Corona-Pandemie mehr als verdoppelt hat. Darauf haben wir reagiert und gemeinsam mit der Allianz die Initiative “Stark durch die Krise” gestartet. Sie bietet Nutzern einen schnellen und kostenfreien Zugang zu Hilfsangeboten bei psychischen Beschwerden aufgrund von Isolation, Infektionsangst, wirtschaftlichen Sorgen oder dem Fehlen gewohnter sozialer Kontakte. Das Besondere an der Initiative ist, Nutzer über unterschiedliche Kanäle darauf zugreifen können: Das Angebot umfasst Beratung per Telefon, Online-Trainings, eine Online-Community und Live Q&A-Sessions mit Psychotherapeut*innen.

“Stark durch die Krise” ist seit Mitte April live und stößt seitdem auf großes Interesse: Tausende von Nutzern haben sich bereits für einen kostenlosen Online-Kurs angemeldet, die Hotline angerufen und sich einer Facebook-Support-Community angeschlossen.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig

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