Betroffen sind insbesondere Frauen, die kurz nach Geburt ihrer Kinder gleich wieder einer gut bezahlten Arbeit nachgingen – Rentenansprüche dieser Frauen für Kindererziehungszeiten werden gekürzt. Zum Teil fällt die Kürzung sogar derart aus, dass Kindererziehung gar nicht mehr durch ein höheres Entgelt gewürdigt wird. Für zwei Dresdner Rentenexperten verstößt die aktuelle Regelung deswegen gegen das Grundgesetz: Sie haben im April diesen Jahres Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht.

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Kindererziehung: Gesellschaftliche Aufgabe und Armutsfalle

Kindererziehung als gesellschaftliche Aufgabe – dies bedeutet insbesondere für viele Frauen oft Berufspausen, Einkommensverzicht und dadurch geringere Ansprüche auf gesetzliche Renten. Das traditionelle Rollenbild, nach dem Kindererziehung vor allem in Frauenhand lag, spiegelt sich auch heute noch in Daten zur Rente wider: Im Schnitt 26 Prozent weniger Rente bekommen Frauen in Deutschland gegenüber den Männern, wie eine Studie der Universität Mannheim und der niederländischen Tilburg University ergab (der Versicherungsbote berichtete).

Erst seit 1986 werden Kindererziehungszeiten auch für Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) anerkannt – und zwar in Folge des Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetzes (HEZG). Seitdem konnte zunächst ein Jahr Erziehungszeit je Kind für die Renten geltend gemacht werden. Ein zusätzlicher Entgeltpunkt je Kind sollte Folgen der Kindererziehung für die Renten abmildern.

Eine Situation, die sich durch das Rentenreformgesetz 1992 (RRG 1992) nochmals verbesserte. Diese Verbesserung galt jedoch zunächst nur für ab 1992 geborene Kinder: Drei Jahre je Kind konnten für die gesetzliche Rente nun geltend gemacht werden – eine Aufwertung der Rentenansprüche, die ein Plus von drei Entgeltpunkten je Kind bedeutete. Allerdings galt dies bis zur Einführung der so genannten Mütterrente in 2014 nur für ab 1992 geborene Kinder. Für alle vor 1992 geborene Kinder wurde weiterhin nur ein Jahr für den Rentenanspruch bedacht.

Mütterrente: Die Reform gegen die Ungleichbehandlung

Kritiker sahen darin eine Ungerechtigkeit: Mehrfach war die Ungleichbehandlung von vor und nach 1992 geborenen Kindern Gegenstand verfassungsgerichtlicher Entscheidungen (z.B. Az.: 1 BvR 1238/95) – und wurde allerdings für verfassungsrechtlich zulässig erklärt. Der Segen der höchstrichterlichen Instanz jedoch verbarg nicht das öffentlichkeitswirksame Potenzial der Ungleichbehandlung: Eine Angleichung der Ansprüche wurde unter dem Schlagwort der „Mütterrente“ in 2013 zum Wahlkampfthema.

Eine Gesetzreform in 2014 brachte demnach eine schrittweise Angleichung:

  • Zunächst machte die so genannte „Mütterrente I“ möglich, nun zwei Jahre anzurechnen für Kinder, die vor 1992 geboren wurden.
  • Und die so genannte „Mütterrente II“ brachte dann, ab 1. Januar 2019, eine nochmalige Verbesserung: Für Kinder, die vor 1992 auf die Welt gekommen sind, konnten Erziehende nun nochmals 0,5 Entgeltpunkte extra für ihre Rentenansprüche aufschlagen. Zweieinhalb Jahre können demnach Mütter und Väter seit 2019 als Erziehungszeit geltend machen für ihre vor 1992 geborenen Kinder. Das entspricht 2,5 Entgeltpunkten.
  • Erziehende mit drei und mehr Kindern erhalten sogar seit 2019 für jedes vor 1992 geborene Kind insgesamt drei Entgeltpunkte hinzu – zumindest für kinderreiche Familien ist damit eine Gleichheit bei den Rentenansprüchen durch die „Mütterrente II“ hergestellt.

Verstärkt die Mütterrente eine andere Ungleichheit?

Diese Angleichung von Erziehungsleistungen für vor und nach 1992 geborene Kinder aber verstärkt aus Sicht von Kritikern eine andere Ungleichbehandlung bei den Rentenansprüchen. Weil sogar ein Verstoß gegen das Grundgesetz (GG) vermutet wird, soll nun das Sechste Sozialgesetzbuch (SGB VI) – als maßgebend für die gesetzliche Rentenversicherung – erneut auf seine Verfassungsmäßigkeit geprüft werden: Der Diplom-Verwaltungswirt Christian Lindner sowie der Sozialrechtsanwalt Matthias Herberg haben im April Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht. Dies erklärte Lindner in einem Interview mit dem Mitteldeutschen Rundfunk.

Denn sobald Erziehende kurz nach Geburt ihrer Kinder wieder einer gut bezahlten Arbeit nachgingen oder -gehen, können Entgeltpunkte für Erziehungsleistungen nicht in voller Höhe geltend gemacht werden: Ansprüche für Kindererziehungszeiten werden gekürzt oder fallen sogar gänzlich weg. Betroffen sind insbesondere Frauen, die in der früheren DDR erwerbstätig waren und dort gut verdienten.

Freilich: Das zugrundeliegende Problem existiert nicht erst mit Einführung der Mütterrente. Anschaulich wird diese Tatsache an einem Vorlagebeschluss, durch den bereits das Sozialgericht (SG) Neubrandenburg die Verfassungsmäßigkeit des Sechsten Sozialgesetzbuches wollte prüfen lassen – dieser Beschluss darf als Trumpf der Dresdner Rentenexperten gelten und wurde nur durch den Tod der Klägerin hinfällig. Die Vorlage des Sozialgerichts stammt aus dem Jahre 2012 und bezieht sich sogar auf einen Rechtsstand vom 16. Dezember 1997. Stein des verfassungsrechtlichen Anstosses ist Paragraph 70 Abs. 2 Satz 2 des Sechsten Sozialgesetzbuchs in Verbindung mit Anlage 2b SGB VI.

SGB VI definiert Deckel für gesetzliche Renten

Definiert doch Anlage 2b jährlich variierende Höchstwerte an Entgeltpunkten: Erwerbbare Rentenansprüche und letztlich die daraus resultierenden gesetzlichen Renten sind bei einer bestimmten Höhe gedeckelt. Mehr Entgeltpunkte als jene durch eine Tabelle vorgegebenen Höchstwerte kann ein Versicherter im maßgebenden Jahr folglich nicht erreichen. Die Höchstwerte orientieren sich hierbei an der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) für die gesetzliche Rentenversicherung.

Keineswegs sind die Werte willkürlich gewählt. Vielmehr folgt der Gesetzgeber einer Vorstellung von Leistung und Gegenleistung zum Schutz des Versichertenkollektivs. Denn Versicherte müssen nur bis zur jährlichen Bemessungsgrenze ihre Rentenbeiträge entrichten. Die Bemessungsgrenze der Gesetzliche Rentenversicherung in 2020 liegt zum Beispiel bei 6.900 Euro im Monat für Westdeutschland und bei 6.450 Euro im Monat für die neuen Bundesländer – bis zu dieser Grenze fallen Rentenbeiträge in Höhe von derzeit 18,6 Prozent des Einkommens an. Für jenen Teil des Einkommens aber, der über die Bemessungsgrenze hinausreicht, fallen keine Beiträge in der gesetzlichen Rentenversicherung mehr an.

Im Gegenzug aber deckelt der Gesetzgeber auch Ansprüche, die ein Beitragszahler für seine Rente in einem maßgebenden Jahr erwerben kann – unter der Annahme, es wurde tatsächlich nur bis in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze für die späteren Renten geleistet. Diese Annahme erklärt die jährlich variierenden Höchstwerte an Entgeltpunkten gemäß Anlage 2b zum SGB VI.

Ansprüche aus Beiträgen und Kindererziehungszeiten können Höchstwerte übersteigen

Aus Sicht der Kritiker freilich wird diese Annahme dann zum Problem, sobald Ansprüche auf erzieltes Einkommen (und gezahlte Beiträge) sowie Ansprüche durch Kindererziehung in der Summe dennoch zu höheren Renten führen müssten. Eine Situation, die keineswegs selten ist. Denn sobald ein Elternteil schon kurz nach Geburt des Kindes wieder einer gut bezahlten Arbeit nachging, können Entgeltpunkte durch Beitragszahlungen auf Einkommen und Entgeltpunkte für Erziehungszeiten – in der Summe – die Höchstwerte des Sechsten Sozialgesetzbuchs (gemäß Anlage 2b SGB VI) überschreiten.

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Dann aber kommt es zu Kürzungen. Statt dass nämlich, wie im Normalfall, je Kind für jeden Kalendermonat der Kindererziehung 0,0833 Entgeltpunkte anerkannt werden (angerechnet für einen Zeitraum von entweder 2,5 oder drei Jahren), werden weniger Entgeltpunkte oder werden sogar gar keine Entgeltpunkte für die Kindererziehung anerkannt. Es kommt zur Ungleichbehandlung der Kindererziehungszeiten: Betroffene erwerben weniger Ansprüche durch Kindererziehung gegenüber Eltern, die entweder zuhause blieben oder weniger verdienten und demnach nicht die Höchstwerte überschreiten.

Zwei Drittel der ostdeutschen Rentnerinnen von Kürzungen betroffen

Das Problem der Mütter-Rentenkürzungen ist keineswegs nur ein „Luxusproblem“ weniger Betroffener. Das zeigten in 2018 Zahlen, die das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) recherchiert hatte. Demnach wurden 2017 in genau 145.294 Fällen die Rentenpunkte für Kindererziehung gekürzt und die Rente entsprechend nach unten korrigiert für Betroffene, die in 2017 in Rente gingen. 143.349 der Betroffenen waren weiblich. Rund zwei Drittel der Frauen bzw. 92.946 kamen aus Ostdeutschland. Aber auch in den westlichen Bundesländern wurden für 50.403 Ruheständlerinnen die Renten beschnitten (der Versicherungsbote berichtete).

Und Diplom-Verwaltungswirt Christian Lindner geht sogar davon aus, dass in Ostdeutschland zwei Drittel aller Rentnerinnen und in Westdeutschland immerhin 20 Prozent von derartigen Kürzungen betroffen sind. In einigen Fällen betragen die Kürzungen nur wenige Cent. Allerdings gibt es auch Betroffene, die bis zu 80 Euro monatliche Rente einbüßen. Für all diese Betroffenen werden Erziehungsleistungen also nicht in gleicher Weise bei der Rente anerkannt wie für Erziehende, die zuhause blieben oder die ein geringeres Einkommen hatten.

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Unterschiedliche Behandlung von Zugangsrenten und Bestandsrenten

Es gibt ein weiteres Problem. Denn zwar fand eine Begrenzung der Rentenansprüche schon vor Einführung der Mütterrente Anwendung. Jedoch: Beim Plus, das durch die Mütterrente I und die Mütterrente II hinzu kam, werden Zugangsrenten und Bestandsrenten unterschiedlich behandelt.

Grundlage dieser Verfahrensweise ist Paragraph 307d SGB VI: Bestandsrentner*innen, die am 30. Juni 2014 – und damit vor Einführung der Mütterrente – schon Rentner*innen waren, bekommen pauschal den Aufschlag an persönlichen Entgeltpunkten für vor 1992 geborene Kinder hinzuaddiert. Dieses Plus gibt es sogar dann unbegrenzt, wenn dadurch die Höchstwerte der Anlage 2b SGB VI überschritten werden – es handelt sich hierbei um eine so genannte „bevorzugende Pauschalierung“, um Verwaltungsaufwand während einer Übergangsphase zu reduzieren.

Anders wird aber bei Neurentnerinnen und Neurentnern verfahren: Hier wird das Plus der Mütterrente mit Anlage 2b abgeglichen und bei Überschreiten der Höchstwerte werden die Rentenansprüche entsprechend wieder gekürzt.

Betroffene fühlen sich für Beitragszahlungen bestraft

Dass Betroffene sich durch die derzeitige Praxis bestraft sehen, wird an mehreren Rechtsverfahren deutlich, die sich auf Paragraph 70 SGB VI beziehen. Denn die betroffenen Frauen trugen ja durch ihre zeitige Wiederaufnahme des Berufs – über die Beiträge – dazu bei, die umlagefinanzierte gesetzliche Rente zu stützen. Im Gegenzug aber werden ihnen nun Ansprüche gekürzt. Schon mehrere Frauen klagten aus diesem Grund und nahmen auch einen Verfahrensgang durch mehrere Instanzen in Kauf. So bezieht sich ein Terminbericht des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. Oktober 2019 bereits auf acht Verfahren, die in dieser Sache bis vor Deutschlands höchstes Sozialgericht führten.

Der Trumpf der Rechtsexperten: Ein Vorlagebeschluss von 2012

Freilich muss zu den Klagen auch erwähnt werden: Nicht eine der Klagen war bisher erfolgreich. Und dennoch meinen die Dresdner Rechtsexperten, für ihre Verfassungsbeschwerde einen Trumpf im Ärmel zu haben. Vertrat doch in 2012 auch das Sozialgericht Neubrandenburg in einem Vorlagebeschluss die Überzeugung, wonach „Paragraph 70 Absatz 2 Satz 2 SGB VI in Verbindung mit Anlage 2b zum SGB VI verfassungswidrig“ sei. Denn „die Begrenzungs-Regelung“ verstoße „gegen Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz“, da sich „Kindererziehungszeiten nicht bei allen Versicherten gleich günstig auf die Rente auswirken“ würden.

Das Sozialgericht Neubrandenburg bezog sich für diese Rechtsauffassung auch auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. März 1996 (Az. 1 BvR 609/90 sowie Az. 1 BvR 692/90). Im Sinne dieser Entscheidung darf eine Rentenregelung „nicht diejenigen Versicherten“ benachteiligen, die während der ersten Lebensjahre ihres Kindes „die Solidargemeinschaft durch die Entrichtung von Beiträgen zur Rentenversicherung“ unterstützen. Laut SG Neubrandenburg führt die derzeitige Rechtspraxis aber zu einer solchen Benachteiligung.

Besonders kritisierte hierbei das Gericht: Erreiche das Einkommen der Betroffenen „gar die aktuelle Beitragsbemessungsgrenze“, fände deren Kindererziehungsleistung „im Rahmen der Rentenbemessung überhaupt keine Würdigung mehr“. Aus diesem Grund setzte das Sozialgericht Neubrandenburg auch jenes Verfahren aus, zu dem es eigentlich urteilen sollte – eine ehemalige Ärztin hatte aufgrund ihres Rentenbescheids geklagt. Mit Beschluss vom 12.01.2012 (Az. S 4 RA 152/03) legte das Sozialgericht zugleich den Rechtsstreit dem Bundesverfassungsgericht vor – um zu prüfen, ob das Sozialgericht Neubrandenburg mit seiner Rechtsauffassung richtig liegt und ob demnach Paragraph 70 SGB VI tatsächlich gegen das Grundgesetz verstößt.

Unzulässiger Hoffnungsträger: Entscheidung in der Sache stehe aus

Freilich: Mit Datum vom 21. September 2016 wurde die Vorlage durch das Bundesverfassungsgericht als unzulässig erklärt (Az. 1 BvL 6/12). Die Nichtannahme war jedoch formell durch den Tod der Klägerin begründet. Denn nachdem die klagende Ärztin verstorben war, hätten die Erben den Rechtsstreit weiterführen müssen – dies verweigerten sie jedoch. Ein wichtiger Fakt für Diplom-Verwaltungswirt Christian Lindner: Es gab zu dem Vorlagebeschluss aus seiner Sicht „keine Sachentscheidung“, erklärte er gegenüber dem MDR.

Auch hätte sich „in diesen ganzen Verfahren“, die zwischenzeitlich stattgefunden haben, das Bundesverfassungsgericht „nie inhaltlich zum Problem geäußert“. Die neue Verfassungsbeschwerde soll dies nun ändern – Lindner rechnet allerdings damit, dass die Entscheidung bis zu fünf Jahre dauern kann, wie der Rentenexperte gegenüber dem MDR beteuert.

Bisherige Urteile deuten auf Misserfolg der Beschwerde – es dürfte schwer werden

Stehen die Chancen demnach gut, dass die jetzige Praxis der Höchstwertbegrenzung gemäß SGB VI durch das Bundesverfassungsgericht gekippt wird? So einfach ist es nicht. Denn verfolgt man die bisherigen Urteile, spricht der Trend der Rechtsprechung eher gegen Lindner und Herberg. Das wird unter anderem deutlich an der Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts (BSG).

Demnach unterscheidet sich schon die heutige Rechtslage von jener, auf die sich das Sozialgericht Neubrandenburg unter Berufung auf ein älteres Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1996 bezieht. Denn bis 1996 hätte die Erwerbstätigkeit als solche zur Diskriminierung geführt, wenn zeitig nach Geburt eines Kindes die Arbeit wieder aufgenommen wurde: Damals konnten Beitragszeiten während der Kindererziehungszeit nur bis zu einem Wert aufgestockt werden, der etwa 75 Prozent des Durchschnittseinkommens im Jahr ausmachte. Die Kindererziehung wirkte sich dadurch diskriminierend aus: Die Ansprüche blieben stets unterhalb der durchschnittlichen Ansprüche für Erwerbstätigkeit ohne Kindererziehung. Das aber ist heutzutage anders: Kindererziehung wird zusätzlich berücksichtigt, und zwar anhand eines additiven Modells: Statt dass Kindererziehung die Ansprüche nach unten begrenzt, kommen Ansprüche für Kindererziehungszeiten zu den Ansprüchen durch die Erwerbstätigkeit hinzu.

Höchstwertbegrenzung schützt das Versichertenkollektiv

Nach jetzigem Rechtsstand wird hingegen bis zu jener Höchstgrenze aufgestockt, die sich an der Beitragsbemessungsgrenze orientiert. Das Bundessozialgericht bezeichnet hierfür die Beitragsbemessungsgrenze als „systemimmanent“ – sie stelle ein „grundlegendes Strukturelement der gesetzlichen Rentenversicherung“ dar. Weil sie Leistungen der Versicherten aus Beiträgen aber begrenzt, wäre es im Gegenzug auch gerechtfertigt, Leistungsansprüche in Orientierung an dieser Grenze zu deckeln. Denn dadurch wird das Versichertenkollektiv auch vor zu hohen Ansprüchen geschützt, die das umlagefinanzierte Verfahren schädigen.

Bundesverfassungsgericht: Erste Urteile zugunsten des Gesetzgebers

Diese Rechtsauffassung vertritt das Bundessozialgericht übrigens keineswegs im Alleingang – seine bisherigen Urteile zum Beispiel zusammenfassend im Terminbericht Nr. 47/19. Denn anders, als von Lindner behauptet, liegen durchaus auch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage vor. Demnach kann das Bundessozialgericht für seine Rechtsauffassung auch auf drei Nichtannahmebeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts verweisen.

Anwalt Herberg: Bisher mit Verfassungsbeschwerden nicht erfolgreich

So wies das Bundesverfassungsgericht zum Beispiel mit Datum vom 16. Dezember 2016 die Verfassungsbeschwerde einer Frau zurück, die ebenfalls aufgrund der Begrenzung von Entgeltpunkten für Kindererziehungszeiten geklagt hatte (Az. 1 BvR 287/14). Für diese Verfassungsbeschwerde wirkte sogar bereits der Sozialrechtsanwalt Matthias Herberg als Bevollmächtigter. Zwar waren für die Zurückweisung formelle Gründe ausschlaggebend – die Begründung genügte nicht den Erfordernissen, sodass die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg hatte. Doch keineswegs fallen Sachgründe aus dieser Entscheidung heraus.

Denn in seinen Entscheidungs-Gründen wies das Bundesverfassungegericht – ganz im Einklang mit dem Bundessozialgericht – darauf hin, dass die Begrenzung gemäß Paragraph 70 SGB VI gerechtfertigt sei durch „Begrenzung der Beitragspflicht als Grundprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung“. Die Verfassungshüter beziehen sich hierfür auch auf frühere Urteile (z. B. Az. 1 BVR 858/03), nach denen die Begrenzung der Beitragspflicht von Beginn an zu den Grundprinzipien der gesetzlichen Rentenversicherung gehöre. Im Gegenzug sei es aber auch gerechtfertigt, die Summe der Entgeltpunkte insgesamt „auf die Zahl“ zu begrenzen, die „bei einer Beitragszahlung bis zur Beitragsbemessungsgrenze höchstens erreichbar ist“.

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Höchstwertbegrenzung sichert Finanzierbarkeit

Eine solche Begrenzung erhalte zum einen den Renten grundsätzlich ihre existenzsichernde Funktion. Sie gewährleiste zum anderen aber zugleich die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung. Ob nun die Rentenexperten Lindner und Herberg mit einem neuen Anlauf erfolgreich eine solche Argumentation anfechten können, wird der Ausgang der aktuellen Verfassungsbeschwerde zeigen.

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