Es mag etwas sonderbar scheinen, wenn die europäische Versicherungsaufsicht EIOPA mit einem Papier zum Handeln auffordert („Call to Action!“), während doch beinahe das gesamte gesellschaftliche Leben stillsteht und viele Menschen im Homeoffice arbeiten. Aber genau das haben die Aufseher am Dienstag getan. Sie rufen zur Aktion - nicht nur die Versicherer, sondern auch die Vermittler.

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Der Auftrag ist dabei deutlich: Die Versicherer und Vermittler sollen im Interesse ihrer Kundinnen und Kunden die Auswirkungen der Coronapandemie möglichst gering halten - und unterstützend als verlässliche Partner zur Seite stehen. Die Branche nehme eine wichtige Rolle dabei ein, den Verbrauchern zu ermöglichen, ihre Risiken zu managen und Schutz vor Unwägbarkeiten zu finden, wie die Frankfurter Behörde ausführt.

Der Zugang zu und die Kontinuität von Versicherungsdienstleistungen müsse deshalb gerade jetzt aufrecht erhalten werden - was Rücksichtnahme gegenüber den Verbrauchern erfordere, einschließlich der besonders gefährdeten. Und, das wird in den Ausführungen der Behörde deutlich: vielleicht mehr Rücksichtnahme als gewöhnlich. Sonst drohe ein massiver Vertrauensverlust der Branche.

Isolation und Ausgangssperren: Obliegenheiten nicht immer einzuhalten

Zunächst verweist EIOPA auf die Ausgangssituation. Die Bürger müssen zuhause bleiben, soziale Distanzierung und Selbstisolation sind das Gebot der kommenden Tage und Wochen. In den meisten europäischen Staaten riskieren die Menschen hohe Strafen, wenn sie gegen die Auflagen verstoßen. Das sollten die Versicherer bedenken, denn vielen Versicherungsnehmern ist es aktuell gar nicht möglich, alle Obliegenheitspflichten aus dem Vertrag zu erfüllen. Unter anderem könnte es den Kundinnen und Kunden verwehrt sein, innerhalb des gegebenen Zeitrahmens:

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  • eine Kontrolle durchzuführen (z.B. eine Autountersuchung oder eine medizinische Untersuchung);
  • längere Zeit die eigene Wohnung aufzusuchen, etwa weil sie im Ausland oder in einer anderen Region festsitzen, was einen Verstoß gegen Klauseln in Wohngebäude- und Hausratpolicen bedeuten kann.

"Die EIOPA erwartet von allen Marktteilnehmern, dass sie weiterhin im besten Interesse ihrer Kunden handeln, über die gesamte Vertragszeit hinweg", mahnt die Behörde. Dabei sollen auch die Vorgaben der Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD sowie die Solvency-II-Richtlinie so gut wie möglich gewahrt bleiben.

Die empfohlenen/geforderten Maßnahmen

Was aber fordert nun die Europäische Versicherungsaufsicht konkret? Fünf Punkte sollen die Versicherer und Vermittler in ihrem Aktionsplan beherzigen, um auf die veränderte Situation infolge der Coronakrise - Verunsicherte Kunden, Ausgangs- und Kontaktsperren sowie volatile Märkte - zu reagieren:

1. Die Verbraucher sollen klar und rechtzeitig über ihre Vertragsrechte informiert werden: In diesen Zeiten der Not sei es wichtig, dass die Verbraucher über den Umfang ihres Versicherungsschutzes, die geltenden Ausnahmen sowie die Auswirkungen der Coronavirus-Krise auf ihre Versicherungspolicen im Bilde sind. Das erfordere auch ein einheitliches Vorgehen, wann geleistet wird und wann nicht. Sonst drohen weiterreichende Reputationsschäden für die gesamte Versicherungsbranche, warnt EIOPA.

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2. Die Versicherten sollen fair und eindeutig über ihre Vertragsrechte aufgeklärt werden: Die Gesellschaften sollen vage Begriffe vermeiden, die falsch interpretiert werden oder Verwirrung stiften könnten. Das beinhalte auch, in den Mitteilungen behutsam zu kommunizieren, wie die Verbraucher auf volatile Märkte reagieren können, um die Risiken und drohende Nachteile zu mindern. Alle Mitteilungen sollten ausgewogen und sorgfältig ausformuliert sein.

3. Die Kunden sollen über Notfallmaßnahmen informiert werden, die Versicherer und Vermittler infolge der Coronakrise ergreifen: Die Verbraucher sollten vor allem auch darüber informiert werden, wie sich diese Maßnahmen auf ihr Vertragsverhältnis und die angebotenen Dienstleistungen auswirken können. Das betrifft zum Beispiel Infos zu den Fragen:

  • über welche Kontaktkanäle die Anbieter aktuell zu erreichen sind,
  • ob es temporäre Auswirkungen auf die Gültigkeit der Verträge gibt (zum Beispiel, dass sich Verträge automatisch verlängern),
  • ob es beim Forderungsmanagement Änderungen gibt, etwa zusätzliche Kulanzregeln
  • wohin sich die Kunden in Krisenzeiten mit ihren Beschwerden wenden können,
  • ob es zusätzliche Kundenangebote für die Dauer der Krise gibt

4. Produktaufsichts- und Governance-Vorgaben im Rahmen der POG-Erfordernisse (Product Oversight and Governance) sollen die Auswirkungen der Coronakrise mit berücksichtigen: So sollen relevante Produkte und Angebote danach überprüft werden, ob sie mit den Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen des identifizierten Zielmarktes auch unter den veränderten Bedingungen der Krise noch übereinstimmen. Ist das nicht der Fall, so sollen die Produkte entsprechend überarbeitet und weiterentwickelt werden, um nicht am Bedarf des Kunden vorbei zu agieren.

5. Die Interessen der Kunden sollen stets berücksichtigt werden: aber so, dass den Versicherern dadurch keine existentiellen Risiken entstehen: Wenn die Versicherer im Interesse ihrer Kunden handeln - was aus Sicht der Aufsichtsbehörde unbedingt geboten ist - sollen sie flexible Lösungen finden, soweit dies sinnvoll und praktikabel ist. Dabei sollen die Versicherer auch bedenken, dass in Zeiten einer solchen Pandemie die Risikokalkulation erschwert wird und an Grenzen stoßen kann. Entsprechend gilt es zu vermeiden, rückwirkend Deckungen in den Schutz einzubeziehen, die die eigene Liquidität des Versicherers gefährden und den Markt zusätzlich destabilisieren.

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Die EIOPA hebt hervor, dass sie gemeinsam mit den nationalen Aufsichtsbehörden (NSA) die Entwicklungen der Corona-Pandemie sehr genau verfolgt. Dabei gehe es um die Sicherung der Finanzstabilität, der Marktintegrität sowie des Verbraucherschutzes, wobei ein besonderer Fokus auch auf Cyberrisiken gelenkt werde: Schließlich kommunizieren Versicherer und Finanzdienstleister aktuell schwerpunktmäßig online mit ihren Kunden. Die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat bereits kommuniziert, dass sie den Aktionsplan unterstützt.

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