“Bis zu 50 Prozent mehr aus ihrer Lebensversicherung“: So wirbt das Düsseldorfer Legal Tech Helpcheck um Kundinnen und Kunden, die entsprechende Altverträge rückabwickeln wollen. Dabei stellt sich das Unternehmen ein bisschen als eine Art Robin Hood im Kampf gegen große Konzerne dar. Kostenfrei prüfe man, ob der Versicherer ungenügend im Vertrag über das Widerspruchsrecht aufgeklärt habe und ob sich eine Rückabwicklung finanziell lohne: Dann könne der Kunde entscheiden, ob er mit Helpcheck klagen wolle. Nur im Erfolgsfall berechne das Unternehmen ein Honorar zwischen 29,75 Prozent und 39,75 Prozent auf den zusätzlich erzielten Mehrwert, verspricht die Webseite.

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Den Versicherern ist dieses Geschäftsmodell ein Dorn im Auge. Sie sehen sich mit einer regelrechten Klagewelle durch derartige Legal Techs überrollt: unabhängig davon, ob die Ansprüche berechtigt seien oder nicht. Rechtsstreite, die im Zweifel Zeit und Geld kosten. Und so hat aktuell die Nürnberger Versicherung das junge Startup vor dem Landgericht Düsseldorf verklagt. Die Franken wollen prüfen lassen, ob das Geschäftsmodell von Helpcheck legal ist oder nicht, so berichtet die „Rheinische Post“ am Freitag.

Erneut Policenmodell Streitpunkt

Helpcheck vertritt Versicherte, wenn sie sich von ihrer Lebens- oder Rentenversicherung trennen wollen. Wurde diese zwischen 1994 und 2007 nach dem Policenmodell abgeschlossen und der Kunde nachweisbar falsch oder nicht rechtzeitig über sein Widerrufsrecht aufgeklärt, kann er darauf bestehen die Verträge rückabwickeln zu lassen. Das Problem: Bei diesen Policen erhielt der Kunde seine vollständigen Vertragsbedingungen erst zugesandt, nachdem er bereits den Vertrag unterschrieben hatte und er in Kraft getreten war. Der Bundesgerichtshof untersagte die Vertriebspraxis 2008 als Verstoß gegen Verbraucherrechte.

Für den Sparer kann es sich lohnen, den Vertrag tatsächlich zurückzugeben: Er erhält dann sämtliche eingezahlte Beiträge zuzüglich Nutzungszinsen. Auch die Verwaltungs- und Vertriebskosten muss der Versicherer zurückerstatten. Lediglich die Kosten für den Versicherungsschutz tragen die Kunden selbst und, bei einer fondsgebundenen Leben-Police, das Verlustrisiko aus den Fonds.

Für die Versicherer hingegen ist das BGH-Urteil ein enormes Kostenrisiko. Denn es geht um einen immensen Vertragsbestand. Die Allianz schätzt die Zahl aller fehlerhaft vermittelten Verträge auf 108 Millionen Policen mit einem Volumen von 400 Milliarden Euro. Entsprechend widerwillig setzt man das Urteil um: sowohl Verbraucherzentralen als auch der Bund der Versicherten (BdV) beklagten wiederholt, dass sich viele Assekuranzen querstellen und mit fadenscheinigen Argumenten verhindern wollen, dass die Verträge tatsächlich rückabgewickelt werden.

Kosten nur im Erfolgsfall

Hier setzt auch das Geschäftsmodell von Helpcheck an. Der Kunde reicht seine Vertragsunterlagen der Lebensversicherung online ein. Diese werden dann unverbindlich von einem spezialisierten Anwalt geprüft, wozu eine Software des Unternehmens dient: so kann schnell und standardisiert eine große Zahl an Verträgen abgearbeitet werden (der Versicherungsbote berichtete).

Wird ein potentieller Verstoß gegen das Widerrufsrecht erkannt, kann sich der Kunde in einem zweiten Schritt ausrechnen lassen, welche Ansprüche er gegenüber dem Versicherer hat: auch hierzu dient eine spezielle Software. Der Sparer kann anschließend entscheiden, ob er sich mit Hilfe von Helpcheck vor Gericht mit dem Versicherer streiten will und ein Mandat erteilen. Ein spezialisierter Anwalt übernimmt dann den Fall.

Ein Honorar zahlen muss der Kunde erst, wenn der Rechtsstreit zu seinen Gunsten verläuft: bis zu 39,75 Prozent des angeblichen „Mehrwertes“ aus seiner Lebensversicherung. Als Mehrwert definieren die Düsseldorfer die Differenz zwischen dem Betrag, den der Sparer durch eine Kündigung erhalten würde und dem Betrag, den sie durch Widerruf und Rückabwicklung erhalten. Nach eigenen Angaben hat Helpcheck bisher knapp 3.000 Verfahren abschließen können: mit einer Erfolgsquote von 80 Prozent. 25 Prozent der Fälle habe man sogar außergerichtlich klären können.

Erbringt Helpcheck eine unerlaubte Rechtsberatung?

Bereits im Oktober habe die Nürnberger Versicherung Klage gegen Helpcheck eingelegt, berichtet RP Online. Die Frage ist hierbei, ob das Legal Tech als Anbieter einer Rechtsberatung auftritt oder dies nur ein Nebeneffekt der Tätigkeit ist.

Der Hintergrund: Rechtsberatungen sind im deutschen Raum nur qualifizierten Anwälten erlaubt: So sieht es das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) vor. Zudem dürfen Advokaten nur sehr eingeschränkt Erfolgshonorare annehmen. Das soll einerseits Menschen, die sich vor Gericht streiten, vor unqualifiziertem Rat schützen, hat aber auch mit den Privilegien des Berufsstandes zu tun. Der Beruf des Anwalts ist in Deutschland besonders geschützt.

Aufhorchen ließ Ende November ein Urteil des Bundesgerichtshofes. Es erlaubte das Geschäftsmodell der Legal Techs grundsätzlich: sofern sich der juristische Rat auf eine Nebentätigkeit beschränkt. Demnach triumphierte das Legal Tech wenigermiete.de, welches Kunden ermöglicht, mittels einer Software die eigene Miete mit dem Mietspiegel abzugleichen und dann gegen vermeintlich zu hohe Mieten zu klagen.

Das Start-up werde schwerpunktmäßig als Inkassodienstleister tätig und nicht in der Funktion eines Anwalts, so bestätigten die Richter. Demnach liegt der Schwerpunkt der Tätigkeit stark vereinfacht darin, fremde Forderungen einzutreiben, nachdem der Kunde entsprechende Ansprüche aus den Verträgen abgegeben hat (Urteil vom 27.11.2019, Az. VIII ZR 285/18).

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Bei Helpcheck ist die Sachverhalt aber noch einmal anders, denn die Rheinstädter sind als Versicherungsberater registriert. So begründet nun auch die Nürnberger Versicherung ihre Klage. „Helpcheck ist als Versicherungsberater tätig. Diesen hat der BGH verboten, Erfolgshonorare zu vereinbaren. Hierüber setzt Helpcheck sich hinweg", sagt eine Sprecherin der Nürnberger Versicherung.

"Versicherer will erreichen, dass wir unser Geschäft einstellen!"

Die Gründer von Helpcheck sehen in der Klage der Nürnberger hingegen einen Angriff auf ihr Geschäftsmodell. „In unseren Augen ist die Klage ein absolutes Unding“, sagt Helpcheck-Gründer Peer Schulz der Rheinischen Post: „Im Grunde will die Versicherung erreichen, dass wir unser Geschäft einstellen.“ Man sehe einem Rechtsstreit aber gelassen entgegen. Und gibt den Versicherern noch eine Spitze mit: Das Geschäftsmodell existiere ja nur deshalb, weil die Versicherer das BGH-Urteil zum Widerruf bewusst ignorieren und sich folglich weigern würden, geltendes Gesetz anzuerkennen.

Fehlanreiz für voreilige Rückabwicklung?

Unumstritten ist das Geschäftsmodell aber nicht. Gerade bei Verträgen, die nach dem Policenmodell vermittelt wurden, handelt es sich oft um hochverzinste Altverträge, die den Kundinnen und Kunden weit höhere Garantien zusichern als aktuelle Policen im Niedrigzins-Umfeld. Folglich kann es sich für Kundinnen und Kunden lohnen, diese bis zum Ablauf durchzuhalten.

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Gutes Geld verdient das Legal Tech aber vor allem dann, wenn sich die Kundin oder der Kunde von seinem Vertrag trennt. Hier könnte ein Fehlanreiz für potentielle Mandanten geschaffen werden, den Vertrag abzustoßen, obwohl das für ihn ein schlechtes Geschäft wäre: zumal das Legal Tech ja zusätzlich bis zu 39,75 Prozent der Differenz abzwackt, die zwischen der ausgezahlten Summe und dem Rückkaufswert bestehen.

Zwar beruft sich das Start-up darauf, dass ja auf Basis der Software Erfolgschancen und potentielle Ansprüche geprüft würden: also der Algorithmus rechnet und dem Kunden eine Entscheidungsgrundlage bietet, ohne Eigeninteresse. Aber auch Christian Duve, Rechtsanwalt für Finanz- und Gesellschaftsrecht aus Frankfurt, verweist auf das Eigeninteresse der Legal Techs. "Wer den Anwalt direkt beauftragt und den Rechtsstreit gewinnt, hat einen Anspruch auf Rückzahlung sowie Erstattung seiner Anwalts- und Gerichtsgebühren gegen die Versicherung", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". Wer den Weg über ein Legaltech gehe, müsse dagegen an dieses eine erhebliche Provision zahlen.

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