Milliardenschweres Rentenpakt gegen Altersarmut - oder Trostpflaster? Am Freitag hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil die Rentenpläne der großen Koalition vorgestellt. 32 Milliarden Euro werden die Pläne bis 2025 kosten, so hat die Bundesregierung errechnet. Kritik kommt nun sowohl von Wirtschaftsverbänden als auch von jenen, die diese Maßnahmen als nicht ausreichend betrachten, um dauerhaft eine auskömmliche Rente zu garantieren.

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"Mit dem Rentenpaket schaffen wir Sicherheit für ein gutes Leben“, zitiert die ARD Tagesschau Hubertus Heil. Und weiter: "Die Rente ist ein Kernversprechen unseres Sozialstaats: Nach einem Leben voller Arbeit soll man im Alter ordentlich abgesichert sein. Darauf muss in Deutschland Verlass sein - und zwar heute und auch in Zukunft“. Die gesetzliche Rente müsse die tragende Säule der Alterssicherung in Deutschland bleiben.

Mehr Mütterrente - mit Fragezeichen

Was sehen die Pläne nun konkret vor? Eine wichtige Forderung der CSU war es bereits bei den Koalitionsverhandlungen, dass die Mütterrente künftig ausgeweitet werde. Diesbezüglich ist geplant, dass Frauen mit drei und mehr Kindern, die vor 1992 zur Welt gekommen sind, künftig einen weiteren Rentenpunkt pro Kind angerechnet bekommen. Aktuell würde sich dadurch die Rente pro Kind und Monat um 32,03 Euro in West bzw. 30,69 Euro in Ostdeutschland erhöhen. Allein das Upgrade der Mütterrente wird voraussichtlich 3,7 Milliarden Euro im Jahr kosten.

Doch gegen die jetzige Version regt sich in Union und SPD bereits Widerstand, so berichtet die „Rheinische Post“. Der Grund: Laut Koalitionsvertrag profitieren zum jetzigen Zeitpunkt ausschließlich Mütter mit besonders vielen Kindern, während die Erziehungsleistung anderer Frauen (und Väter) nicht finanziell gewürdigt wird. Künftig müssten arme Rentnerinnen mit zwei Kindern gut situierte Rentnerinnen mit drei Kindern mitfinanzieren. Der Alternativvorschlag: alle Frauen mit vor 1992 geborenen Kindern einen halben Rentenpunkt gutgeschrieben bekommen.

Erwerbsminderungsrentner sollen mehr bekommen

Auch Erwerbsminderungs-Rentner sollen künftig auf etwas höhere Renten hoffen dürfen, da die Bundesregierung die Zurechnungszeit für Neurentner schneller anheben will. Ihre Rente wird so berechnet, als hätten sie bis zum aktuellen Rentenalter zu ihrem letzten Lohn gearbeitet. Laut einem Konzeptpapier des Arbeitsministeriums soll die Zurechnungszeit von heute 62 Jahren und 3 Monaten auf 65 Jahre und acht Monate im Jahr 2019 verlängert werden.

Nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums sollen derzeit 170.000 Menschen von den Verbesserungen profitieren. Auch für dieses Vorhaben werden milliardenschwere Mehrausgaben erwartet: pro Jahr sollen Kosten von 1,7 Milliarden Euro obendrauf kommen.

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Darüber hinaus sollen Geringverdiener bei den Sozialbeiträgen entlastet werden. Die Einkommensgrenze, ab der die vollen Sozialbeiträge abgeführt werden müssen, soll von 850 Euro Bruttoeinkommen auf 1.300 Euro steigen. Von dieser Maßnahme würden die meisten Menschen beim aktuellen Rentenpaket profitieren: laut Hubertus Heil drei Millionen Menschen. Bei 850 Euro Verdienst hätten sie jährlich 270 Euro mehr im Portemonnaie. Die Kosten werden mit 200 Millionen Euro im Jahr veranschlagt.

...auch Kritik an Reformplänen

Darüber hinaus geplant ist eine "doppelte Haltelinie" für die Rente, die garantieren soll, dass das Rentenniveau bis zum Jahr 2025 nicht unter 48 Prozent absinkt - und der Beitragssatz zur Rente nicht über 20 Prozent vom Bruttolohn steigt. Laut Entwurf müsste diese Haltelinie erstmals im Jahr 2022 in Anspruch genommen werden, da dann ohne Gegenmaßnahmen ein Rentenniveau von 47,9 Prozent erwartet wird.

Um die gesetzliche Rente zusätzlich zu stabilisieren, soll ein „Demografiefonds” entstehen, „der im Bundeshaushalt von 2021 bis 2024 mit jährlich 2 Milliarden Euro aufgebaut wird”, so heißt es im Konzeptpapier des Bundesarbeitsministeriums. Diese Reserve aus Steuermitteln soll helfen, die Beitragsobergrenze „auch im Fall unvorhergesehener Entwicklungen” abzusichern, etwa wenn die Renteneinnahmen durch eine schwache Konjunktur einbrechen. Laut Gesetzentwurf darf die Reserve erst angezapft werden, wenn der Beitrag zur Rentenversicherung über 20 Prozent des Lohnbruttos steigen würde.

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CDU-Wirtschaftsrat: Rentengeschenke zulasten künftiger Generationen

An den Reformplänen gab es bereits vor ihrer offiziellen Vorstellung massive Kritik - die jetzt zum Teil erneuert wird. So warnen speziell arbeitgebernahe Kreise vor einer Belastung künftiger Generationen. "Neue Rentengeschenke zulasten der Beitragszahler verschärfen langfristig die Armut in Deutschland. Denn die ältere Generation wird auch zukünftig viel weniger von Armut betroffen sein, als junge Erwerbstätige", sagte Wolfgang Steiger, der im Wirtschaftsrat der CDU sitzt.

Auch die vorgesehene Bevorzugung von Personen mit einem Arbeitslohn von maximal 1.300 Euro bei den Rentenbeiträgen gehe völlig am Ziel vorbei, gibt der Wirtschaftsrat der CDU in einem Presse-Statement zu bedenken. Davon würden in erster Linie Teilzeitbeschäftige profitieren, ohne dass ihre Bedürftigkeit geprüft werde. "Die Zeche zahlen alle anderen Beitragszahler, deren Einzahlungen weniger wert werden. Altersarmut bekämpft man so ganz sicher nicht", heißt es im Pressetext.

Der CDU-Wirtschaftsrat sieht den Schlüssel zu auskömmlichen Renten stattdessen bei mehr Transparenz in Sachen Altersvorsorge - etwa durch ein Rentenkonto, das alle drei Säulen der Altersvorsorge ausweist, also neben der gesetzlichen Rente auch die private und betriebliche Vorsorge. Darüber hinaus soll die Lebensarbeitszeit verlängert und das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung gekoppelt werden. "Wir müssen uns ehrlich machen. Bei immer weniger Beitragszahlern und steigender Rentenbezugsdauer führt kein Weg daran vorbei, dass die Menschen in Zukunft auch über das 67. Lebensjahr hinaus arbeiten", betont Wolfgang Steiger.

Linke: Höhe der Renten "unglaublicher Skandal"

Anders fällt die Kritik bei der Linken aus. Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linken im Bundestag bekam Ende 2016 fast jeder zweite Rentner monatlich weniger als 800 Euro von der Deutschen Rentenversicherung. Den Angaben zufolge liegen 48 Prozent der Renten unter 800 und 62 Prozent unter 1.000 Euro. Folglich unternehme die Bundesregierung noch nicht genug, um Altersarmut zu bekämpfen. Über die Anfrage hatte zuerst das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) berichtet.

Oskar Lafontaine, Fraktionsvorsitzender der Linken im Saarland, schrieb am Donnerstag auf seinem Facebook-Profil gewohnt polemisch: "Fast jeder zweite Rentner in Deutschland, knapp 8,6 Millionen Menschen, bekommt weniger als 800 Euro im Monat. Aber in Österreich hat ein Durchschnittrentner 800 Euro im Monat mehr als ein Durchschnittsrentner in Deutschland. Das ist ein unglaublicher Skandal. Würde die deutsche Politik noch funktionieren und hätten die Bundestagsabgeordneten das Mitgefühl, welches sie so oft theatralisch vor sich hertragen, dann gäbe es jetzt eine Sondersitzung im Bundestag und die Renten würden sofort auf das österreichische Niveau angehoben werden".

Lob vom DIW und Deutschen Gewerkschaftsbund

Eine positive Einschätzung der Reformen kam hingegen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin. "Das Rentenpaket verbessert die Absicherung der Rentnerinnen und Rentner durch unterschiedliche Maßnahmen. So ist die Verbesserung bei der Erwerbsminderungsrente zumindest für Neurenten ab 2019 ein wichtiger Schritt, um das Armutsrisiko zu reduzieren bei den Menschen, die ab einem gewissen Alter aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können", sagt DIW-Rentenexperte Johannes Geyer laut einem Pressestatement.

Wenig zielgenau sei hingegen die Reform der Mütterrente, gibt das DIW zu bedenken, auch die Haltelinie für das Rentenniveau habe kaum eine Wirkung. Man solle das Rentenpaket nicht daran messen, ob es Menschen vor Armut schützt, argumentiert DIW-Experte Geyer. Das sei nicht das ausdrückliche Ziel von Rentenpolitik. "Wenn Menschen in Rente gehen, dann können sie meistens nichts Grundlegendes mehr an ihrer Einkommensposition ändern", so Geyer. "Wenn es darum geht, Altersarmut vorzubeugen, sind vor allem Maßnahmen gefragt, die den Menschen gute Einkommen während ihres Erwerbslebens sichern."

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Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßte, dass der "automatische Renten-Sinkflug" bei einem Rentenniveau von 48 Prozent gestoppt sei.

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