Versicherungsbote: Wir reden immer, dass man eine Pflegezusatzpolice in jungen Jahren abschließen sollte. Aber gerade wenn man den niedrigen Absicherungsgrad betrachtet, nur 3,5 Millionen Versicherte haben einen solchen Vertrag, wird der Vermittler oft auf ältere Kunden treffen, denen eine Pflegelücke droht. Sollte man auch ihnen eine Pflegezusatzpolice empfehlen, auch wenn sie deutlich mehr dafür werden zahlen müssen?

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Hagen Engelhard: Wenn Sie Jetzt mit „älter“ meine Generation meinen, irgendwas zwischen 40 und 55, ist das selbstverständlich ein Thema, das ein Vermittler ansprechen muss. Er muss seinem Kunden die Frage stellen: „Wie hoch ist das finanzielle Risiko im Pflegefall und wie viel der notwendigen Eigenbeteiligung im Pflegefall kannst du selbst übernehmen?“ Und daran anknüpfend: „Hast du für den Rest der Kosten, den du nicht aus eigener Tasche stemmen kannst, ein Einkommen, ein Vermögen oder Kinder, die es dir bezahlen?“ Auch hier gilt es zu bedenken, dass die Kinder für Versäumnisse bei der Pflegevorsorge mithaften. Im Zweifel sind sie es, die einspringen müssen, wenn sich der Vater oder die Mutter nicht privat abgesichert haben. Wenn der Angesprochene weder sein Vermögen aufbrauchen noch seine Kinder belasten will, muss er handeln.

Wir hatten im ersten Teil des Interviews bereits angesprochen, dass viele Menschen das Pflegerisiko ohnehin von ihrer Verwandtschaft kennen, weil in der Familie ein Pflegefall auftritt. Wieso gelingt es nicht, die Menschen da abzuholen? Im Grunde kennen sie doch die unbequemen Wahrheiten bereits!

Hagen Engelhard ist Mitbegründer des Versorgungsnetzwerkes Medi-Kost-Net. Er gibt Seminare und hält Vorträge vor Ärzten, Versicherern und Gesundheitsdienstleistern.Ich glaube, das Abholen des Endverbrauchers geht im Bereich der Versicherungswirtschaft eigentlich einfach, weil das Thema Versicherung auch als Laie immer irgendwo präsent ist. Das beginnt mit meiner Autoversicherung, meinem Hausrat, meiner BU-Police: Irgendwo kommt das Thema immer hoch. Und ich brauche dafür einen „Gesprächspartner Versicherung“. Ich sage das mal salopp: Selbst der Engelhard hat irgendwo seinen Versicherungsspezi, den er ab und zu kontaktieren muss. Vermittler haben also eine Kontaktschiene zum Kunden. Da müssen sie entscheiden: Welche Themen sind jetzt existentiell und welche sind nicht so wichtig? Pflege ist gesellschaftlich relevant und gehört auf die Agenda. Da gibt es Themen in der Versicherungswirtschaft, die nicht ganz so wichtig sind.

Jetzt schieben Sie den Vermittlern ein wenig den schwarzen Peter zu. Nun sind aber auch die hohen Kosten ein Grund, weshalb viele Bürger keinen Pflegezusatzschutz abschließen. Die Absicherung des Hausrates ist ja doch billiger als die Sicherung der Pflegebedürftigkeit.

Aus Sicht des Vermittlers stelle ich mir die Frage: Ist es wirklich sinnvoll, immer nur das zu vermitteln, was ich ohne Widerstand relativ einfach vermitteln kann? Oder sollte man nicht auch sagen: Ich habe einen thematischen Schwerpunkt, und da muss ich den Kunden darauf ansprechen, auch wenn er zunächst abweisend reagiert? Meine Erfahrung: Viele Vermittler gehen den Weg des kleinsten Widerstands und vermitteln das, was der Kunde ohnehin nachfragt. Dann kommt oft die Frage: „Was soll ich denn noch alles mit dem Kunden machen?“ Da komme ich mit der zickigen Antwort: „Wie wäre es denn, wenn du selbst einen Schwerpunkt setzt? Du kannst als Vermittler entscheiden, dass das Thema Pflegevorsorge ein wichtiges Thema ist und beim Kunden angesprochen werden sollte.“

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Das bedeutet auch, andere Themen vielleicht nach hinten zu schieben, wenn sie für den Kunden nicht von derart existentieller Bedeutung sind oder er sie ohnehin auf dem Zettel hat. Wenn ältere Menschen eine höhere Prämie für ihren Pflegeschutz zahlen müssen, besteht zum Beispiel auch die Möglichkeit, dass ihre Kinder sie bereits finanziell unterstützen, wenn sie ein entsprechendes Einkommen haben. Das ist oft billiger, als wenn sie später für die Pflegelücke zur Kasse gebeten werden.

Pflegeheim: Eigenbelastung von 1.700 Euro

Versicherungsbote: Kann eine private Pflegepolice einen Beitrag leisten, die stationäre Pflege im Pflegeheim zu verbessern? Es wird oft argumentiert, man müsse einfach dafür sorgen, dass die Unterbringung im Heim finanziert ist. Nun habe ich bei Angehörigen die Erfahrung gemacht, dass die Pflege oft nicht optimal ist: zu wenig Pfleger kümmern sich um die Patienten, sie liegen sich wund, haben keine Beschäftigung, werden mit Medikamenten ruhig gestellt. Das betrifft sowohl gesetzlich Versicherte als auch Privatversicherte. Gibt es da Vorsorgemöglichkeiten, damit man auch stationär besser betreut wird?

Hagen Engelhard: Das ist eine einfache Rechnung. Wenn ich sage: „Ich habe nichts getan“. Und sage: „Ich habe eine gesetzliche Pflegeversicherung, die mittlerweile per Gesetz über alle Pflegegrade gleich eine Eigenbelastung zumutet“, dann kann ich in Deutschland im Moment ein durchschnittliches Pflegerisiko definieren. Und dieses Risiko liegt - unabhängig vom Pflegegrad - bei einer Eigenbelastung von 1.700 Euro im Monat. Das kostet mich ein durchschnittlicher Pflegeheimplatz als Patient.

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Wenn das Geld nicht aufzubringen ist, kann sich der Pfegebedürftige bzw. seine Angehörigen nur ein Pflegeheim suchen, das unterdurchschnittlich kostet. Dann ist die Gefahr groß, dass man entsprechend betreut wird: man spart am Personal, man spart an der Pflege, man spart an allem, wo irgendwo etwas zu sparen ist. Oder der Patient geht irgendwohin, wo die Kosten niedrig sind. Also ab ins Vogtland, wo sich Fuchs und Hase „Gute Nacht“ sagen und das Lohnniveau niedrig ist. Wenn ich das verhindern will, muss ich sagen: Ich gehe in ein überdurchschnittlich teures Heim, schaue mir an, was die dort machen, und lebe damit, dass es keine 1.700 Euro kostet, sondern 2.000 oder gar 2.500 Euro. Bloß: Dann muss ich dieses Geld auch verfügbar gemacht haben und das geht für viele Menschen nur mit einer vernünftigen Versicherung. Hier wäre darauf zu schauen, ob man mit einer privaten Pflegezusatzversicherung und der erwarteten Rente genug Einkommen hat, um sich eine überdurchschnittliche Unterbringung zu leisten.

Nun habe ich den Verdacht, dass da Menschen auch die Versäumnisse des Gesetzgebers und der Pflegebranche ausgleichen. Sie empfehlen gerade, man soll von vorn herein mehr Kosten einplanen, um eine menschenwürdige Pflege zu erhalten, weil es eben diesen Pflegenotstand gibt. Viele haben schon Probleme, den Standard zu finanzieren. Macht der Gesetzgeber aus Ihrer Sicht genügend, um den Pflegenotstand zu bekämpfen? Bundesgesundheitsminister Spahn hat das Sofortprogramm für mehr Pflegekräfte von 8.000 zusätzlichen Pflegern auf 12.000 aufgestockt.

Die Politik betreibt bei diesem Thema viel Augenwischerei. Sie traut sich nicht den Bürgern zu sagen: „Das, was wir hier absichern, ist ein Notprogramm. Wenn du es bequem haben willst, musst du selbst für die Mehrkosten bezahlen. Wie du es machst, ist uns egal: über eine private Versicherung, über Vermögen, etc.“. Auch das aktuelle Sofortprogramm halte ich für Augenwischerei. Erste Frage: Wo sollen denn die 12.000 Stellen herkommen, die man da verspricht? Wo will man denn das Personal herkriegen? Das ist ja gar nicht ausgebildet. Sobald das Sofortprogramm überhaupt greift, wird es sich selbst schon überholt haben, weil man dann noch mehr Pfleger bräuchte. Hier wird Geld zur Verfügung gestellt, wissend, dass die Pflegekräfte erst ausgebildet werden müssten. Das greift alles erst in frühestens drei Jahren. Aber die Politik sendet das Signal: „Wir haben das Problem sofort angefasst und gehandelt“.

Das klingt, als würden Sie der Bundesregierung in Sachen Pflege ein schlechtes Zeugnis ausstellen!

Nein, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will die Politik nicht schlecht reden, denn der Gesetzgeber macht ja etwas. Er hat mit den Pflegestärkungsgesetzen notwendige Reformen angeschoben und damit die Pflege verbessert. Bei der Begutachtung und Bewertung der Pflegebedürftigkeit hat der Gesetzgeber einen Quantensprung vollzogen. Wir schauen jetzt nicht mehr, wie viel Zeit braucht die Pflege, sondern wir schauen: Was kann der Betroffene noch selbst? Daraus bauen wir hinterher einen Pflegebedürftigkeitsgrad. Das halte ich für sehr vernünftig.

Aber was mir wichtig ist: Selbst wenn der Gesetzgeber Verbesserungen anstößt, bessert er nach. Hier hat die Politik gar nicht viel Spielraum, weil eine bessere Pflege Milliarden kosten würde - außer der Bürger ist Willens und in der Lage, deutlich mehr Geld in die gesetzliche Pflegekasse einzuzahlen. Wir reden hier nicht über 2,5 Prozent des Bruttoeinkommens, sondern über das Zwei- bis Dreifache. Da hat der Gesetzgeber gesagt: Wir stellen eine Summe X zur Verfügung und wenn die nicht ausreicht, -und wir wissen, dass die Summe nicht ausreicht-, dann muss der Bürger selbst handeln. „Selbst handeln“ heißt, er muss zunächst sein eigenes Einkommen einbringen. Wenn das nicht ausreicht, bringt er sein Vermögen ein. Und wenn das nicht ausreicht, dann springt das Sozialamt ein. Und wenn das Sozialamt dran ist, dann ist es per Gesetz gezwungen, sich Unterhaltsverpflichtete zu suchen, die das Sozialamt ihrerseits ersetzen können. Das bedeutet fast immer: „Kinder haften für Eltern“.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig

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