1. Zweck des Selbstbehalts

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Dem Selbstbehalt wird oftmals eine erzieherische Komponente nachgesagt. So schaffe der Selbstbehalt einen Anreiz zur Schadenvermeidung und –abwehr, da der Versicherungsnehmer mit dem vereinbarten Beitrag an dem von ihm angerichteten Schaden beteiligt werde. Mit anderen Worten: Er spürt die Zahlung „aus eigener Tasche“. Ob das Ziel tatsächlich durch einen Selbstbehalt erreicht werden kann, mag bezweifelt werden. Andererseits verfolgt der Selbstbehalt einen wirtschaftlichen Zweck: den Ausschluss von Bagatellschäden. Oftmals verzichten Versicherungsvermittler in Fällen, in denen der Schaden den Selbstbehalt (voraussichtlich) nicht oder nur geringfügig übersteigt, tatsächlich auf eine Schadenmeldung und regulieren diesen selbst. Dabei kann übersehen werden, dass ein zunächst vermeintlich geringer Schaden später erheblich höher ausfällt. Aufgrund der vom Vermittler getätigten freiwilligen Zahlung bzw. seines dadurch oft begründeten faktischen Anerkenntnisses wird er bei einer nachträglichen Meldung aufgrund seines Verstoßes gegen die Schadenmeldeobliegenheit zusätzlich mit erheblichen Problemen rechnen müssen.

Grundsätzlich können die Parteien eines Versicherungsvertrages im Rahmen der Vertragsfreiheit die Höhe eines Selbstbehalts frei vereinbaren. (Bei der D&O Versicherung besteht abweichend jedoch nach §93 Abs. 2 S. 3 AktG ein zwingender Selbstbehalt – der wiederum versichert werden kann. Vereinzelt wird gesetzlich festgelegt, in welcher Höhe ein Selbstbehalt zulässig ist (vgl. § 51 Abs. 5 BRAO).) Auch gibt es unterschiedliche Ausgestaltungsformen der Selbstbeteiligung.

Gebräuchlich ist die Vereinbarung eines Festselbstbehalts oder eines prozentualen Selbstbehalts, der durch einen Mindestbetrag und einen Höchstbetrag eingegrenzt wird. Der Selbstbehalt wird regelmäßig dadurch Bestandteil des Versicherungsvertrags, dass er einseitig durch den Versicherer in einer bestimmten Höhe in den Versicherungsbedingungen beschrieben beziehungsweise genannt wird, ohne dass der Versicherungsnehmer darauf Einfluss nehmen kann. Nur in wenigen Fällen hat der Versicherungsnehmer Auswahlmöglichkeiten hinsichtlich des „ob“ oder der Höhe eines Selbstbehalts.

Versicherungsgesellschaften, die dem Vermittler Versicherungsschutz ohne Selbstbehalt anbieten, sind am Markt (noch) relativ selten anzufinden. Auffällig ist aber, dass die Höhe der vereinbarten Selbstbehalte in den vergangenen Jahren stetig reduziert wurde. War es in der Vergangenheit durchaus üblich, einen Selbstbehalt von 2.500 EUR oder darüber hinaus zu vereinbaren, sieht man dies in den heutigen Versicherungsverträgen immer seltener. Ob dies daran liegt, dass auch der Selbstbehalt den Zweck der Versicherung nach § 114 Abs. 2 S. 2 VVG, und damit auch den Schutz des Versicherungsnehmers, nicht gefährden darf, kann dahingestellt bleiben. Diese Entwicklung ist jedoch unseres Erachtens überaus erfreulich.

2. Der Selbstbehalt im Versicherungsfall

Bei Eintritt des Versicherungsfalles hat der Versicherer zunächst die Aufgabe, die Haftpflichtfrage zu prüfen und sodann unberechtigte Schadensersatzforderungen abzuwehren und berechtigte zu erfüllen. Aus den Versicherungsbedingungen der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherer ergibt sich jedenfalls die Abwehrschutz- und die Freistellungsverpflichtung:

„3. Umfang des Versicherungsschutzes

3.1 Abwehrschutz und Freistellung. Der Versicherungsschutz umfasst die Abwehr unberechtigter Schadenersatzansprüche und die Freistellung des Versicherungsnehmers von berechtigten Schadenersatzverpflichtungen.“ (Allianz, HV 70).

Es liegt aber in der Natur der Sache, dass der Versicherer für die Entscheidung, ob er freizustellen oder unbegründete Ansprüche abzuwehren hat, zunächst die Sachlage prüfen muss. Teilweise wird die Prüfung der Haftpflichtfrage daher auch in den Bedingungen als Leistungspflicht ausdrücklich aufgeführt:

„3.1.1. Der Versicherungsschutz umfasst die Prüfung der Haftpflichtfrage, die Abwehr unberechtigter Schadenersatzansprüche und die Freistellung des Versicherungsnehmers von berechtigten Schadenersatzverpflichtungen.“ (R+V, AVB-P)

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Der Selbstbehalt kann folglich auf allen drei Ebenen der Leistungspflicht relevant werden, die auf der folgenden Seite näher erläutert werden sollen:

  • a) bei der Prüfung der Haftpflichtfrage
  • b) bei der Freistellung (Regulierung)
  • c) beim Abwehrschutz

Prüfung der Haftpflichtfrage, Freistellung und Abwehr

a) Prüfung der Haftpflichtfrage

Die Prüfung der Haftpflichtfrage ist eine versicherungsvertragliche Hauptpflicht des Versicherers. Sie klärt, ob der Anspruch begründet oder unbegründet ist, was wiederum Voraussetzung dafür ist, ob der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherer Abwehrschutz oder Freistellung (Regulierung) gewährt. Liegt der vom (vermeintlich) geschädigten Kunden geltend gemachte Anspruch unterhalb der Selbstbeteiligung, kommt es mitunter vor, dass Versicherer eine Prüfung der Haftpflichtfrage ablehnen. Der Selbstbehalt hat jedoch keine Auswirkungen auf die Verpflichtung des Versicherers, sich mit der Sachlage überhaupt zu beschäftigen. Eine Ablehnung des Versicherers allein aufgrund der geringen Schadenhöhe ist nicht statthaft.

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b) Freistellung (Regulierung)

Auswirkungen hat der Selbstbehalt bei berechtigen Schadensersatzverpflichtungen. Dies ergibt sich direkt aus den Versicherungsbedingungen:

„6. Selbstbehalt des Versicherungsnehmers: An der Summe, die vom Versicherungsnehmer auf Grund richterlichen Urteils oder eines vom Versicherer genehmigten Anerkenntnisses oder Vergleichs zu bezahlen ist (Haftpflichtsumme), wird der Versicherungsnehmer mit einem Selbstbehalt beteiligt.“ (Allianz, HV 70)

Die Bedingungen beschreiben hier die „Haftpflichtsumme“. Der Versicherer zahlt die Haftpflichtsumme abzüglich des Selbstbehalts an den Geschädigten, den Selbstbehalt muss der Versicherungsnehmer grundsätzlich selbst an den Geschädigten entrichten. Übersteigt der geltend gemachte Haftpflichtanspruch nicht den Selbstbehalt, so treffen den Versicherer keine Kosten (Allianz HV 70):

„7.2 Übersteigt der geltend gemachte Ha p ichtanspruch nicht den Betrag des Mindest- oder eines vereinbarten festen Selbstbehalts, so tre en den Versicherer keine Kosten.“

c) Abwehrschutz

Umstritten ist jedoch der Fall, ob der Versicherer bei einem Anspruch unterhalb des Selbstbehalts gleichwohl seiner Abwehrpflicht nachkommen muss. In der allgemeinen Haftpflichtversicherung ist diese Frage geklärt – nach Zi . 6.4 Satz 4 AHB wird der früher umstrittene Umfang der Leistungsp icht geregelt. Danach hat der Versicherer gleichwohl seiner Rechtsschutzfunktion (Abwehr unberechtigter Ansprüche) nachzukommen. Eine solche Regelung fehlt jedoch in den Standard-Versicherungsbedingungen zur Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung. Aus diesem Grund wird die Frage nicht einheitlich entschieden. Teilweise wird auch Abwehrschutz unterhalb des vereinbarten Selbstbehalts gewährt - jedoch ohne Kostenübernahme. Teilweise wird der Abwehrschutz in solchen Konstellationen auch gänzlich verneint.

Fazit

Jeder Vermittler sollte prüfen, ob die Frage des Abwehrschutzes unterhalb des Selbstbehalts in seinen Versicherungsbedingungen abweichend von den Standardbedingungen geregelt ist oder den Selbstbehalt nach Möglichkeit auf ein Minimum zu reduzieren bzw. gänzlich auf einen Versicherer zu setzen, der auf einen Selbstbehalt verzichtet. Um nachteilige Konsequenzen zu vermeiden sei nochmals deutlich darauf hingewiesen, dass es durchaus sinnvoll ist, auch einen (vermeintlich) geringen Schaden anzuzeigen.

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