Versicherungsbote: Herr Engelhard, unser Thema ist die private Pflegevorsorge. Der PKV-Verband wertet es als Erfolg, dass die Abschlusszahlen der Pflegezusatzversicherung in den letzten Jahren zugenommen haben: allein um 60 Prozent in den letzten drei Jahren. Trotzdem sind aktuell nur 3,5 Millionen Zusatzverträge vermittelt. Wie bewerten Sie diese Zahl?

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Hagen Engelhard ist Mitbegründer des Versorgungsnetzwerkes Medi-Kost-Net. Er gibt Seminare und hält Vorträge vor Ärzten, Versicherern, Pools und Gesundheitsdienstleistern.Hagen Engelhard: Das ist deutlich zu wenig, denn nur ein Bruchteil der Bevölkerung betreibt Pflegevorsorge. Das niedrige Absicherungsniveau resultiert meines Erachtens daraus, dass zwei Negativtrends aufeinander treffen. Einerseits wissen Vermittler über das Pflegethema oft selbst zu wenig. Sie fürchten auf Kunden zu treffen, die besser informiert sind als sie selbst: wenn auch aus einer emotionalen Einzelwahrnehmung heraus, weil in der Familie oder im Umkreis ein Pflegefall auftritt. Das ist unangenehm für uns alle als Versicherungsvermittler und führt dazu, dass die Pflege schlimmstenfalls umgangen wird.

Zweitens: Der Vermittler trifft auf einen Kunden, der seinerseits nur sehr schwer in der Lage ist, sich mit seinem negativen Ende auseinanderzusetzen. Ein Pflegefall zu werden ist negativ, und zwar oft final endend negativ. Aus der Nummer komme ich nie wieder heraus. Deshalb versuchen viele Menschen, das Thema zu verdrängen. Das sind Sätze wie: „Das machen wir später!“ oder „Das passiert mir nicht!“. Wenn beide Trends aufeinander treffen: Der Kunde versucht das Pflegethema zu verdrängen, weil es für ihn negativ endet. Und der Vermittler, weil er fürchtet, dass der Kunde aufgrund eines Pflegefalls in der Familie schon mehr über das Thema weiß als er selbst, dann sprechen die beiden lieber übers Bausparen.

In einem früheren Interview mit dem Versicherungsboten haben Sie dafür plädiert, dass sich Versicherungsvermittler spezialisieren. Nun ist Pflege ein Thema, das jeder Vermittler eigentlich ansprechen müsste, weil das Verschweigen der Risiken eine Haftungsfalle bedeuten kann. Was sollten denn Makler aus Ihrer Sicht besonders dringend ansprechen, um Kunden für das Thema Pflegevorsorge zu sensibilisieren?

Resultierend aus meinen eigenen Erfahrungen als Vermittler würde ich zunächst anderen Vermittlern den Rat geben, nicht auf die emotionale Ebene abzugleiten. Sondern den Endverbraucher sachlich aufzuklären und zum Zuhören zu bewegen. Sobald ein Vermittler zur Personenversicherung berät, zur Altersvorsorge oder Krankenversicherung, dann kommt er um die Pflegevorsorge nicht herum, wenn er seine Beratungspflichten nach IDD erfüllen will. Dann muss er zumindest auf die finanziellen Risiken eines potentiellen Pflegefalls hinweisen. Und das heißt, ich muss dem Verbraucher klarmachen, wie der Gesetzgeber die Pflege des Bürgers geregelt hat.

Stichwort: Die gesetzliche Pflegeversicherung als Teilkasko?

Teilkasko ja, aber mit Blick darauf, dass der Gesetzgeber hier klare und vernünftige Regeln eingeführt hat. Nämlich: die medizinische Betreuung übernimmt zum Großteil die gesetzliche Pflegeversicherung. Das ist keine Fulltime-Rundum-Versorgung, aber damit kommt man im Zweifel aus. Alles, was noch zusätzlich gefordert ist, insbesondere im stationären Bereich -also Unterkunft, Verpflegung, Wohnen-, da hat der Gesetzgeber zu Recht gesagt: das muss ich als gesunder Mensch auch finanzieren und deshalb brauchen wir uns nicht darum zu kümmern. Das ist Sache der Betroffenen und das müssen sie selbst absichern. Wenn sie diese Kosten nicht aus dem Vermögen und Einkommen bedienen können, müssen sie zusätzlich privat vorsorgen.

Nun bedeutet speziell auch die ambulante Betreuung eines Pflegefalls ein Armutsrisiko, wenn Angehörige die Pflege in den eigenen vier Wänden übernehmen. Pflegezusatz-Policen können hier Abhilfe schaffen, weil Geld da ist, dass die Pflegebedürftigen an ihre Angehörigen weitergeben können. Haben Sie einen Ratschlag, welche Kosten hier abgesichert werden sollten? Oder lässt sich das so pauschal nicht sagen?

Ich mache das jetzt aus dem Bauch heraus und lasse mich nicht auf einen Hunderter genau festlegen. Der ambulante Bereich ist nicht so einfach festzuhalten, weil es hier in Deutschland keine validen Zahlen dazu gibt, was ein Patient mit einem bestimmten Pflegegrad braucht. Ein Angehöriger schreibt ja keine Rechnungen. Allerdings kann als ungefähre Orientierung dienen, was die Pflege kosten würde, wenn man sie Institutionen und Pflegediensten überlässt.

Ein Pflegegrad 1, der kostet, wenn man ihn durch einen Pflegedienst abdecken lässt, zwischen 150 und 300 Euro zusätzlich zu dem, was man generell an Lebenshaltungskosten aufwenden muss. Und das heißt: Wenn man das, was von Vater Staat für Pflegegrad 1 vorgesehen ist, gegenhält, dann kommt man mit einer Eigenbeteiligung von 200 Euro monatlich schon aus. Das ist eine finanzielle Größenordnung, die die meisten Menschen stemmen können.

Die finanzielle Last wächst aber enorm beim Pflegegrad 2. Da liegen wir bei Eigenanteilen von 600 bis 700 Euro, wenn man die Pflegeversicherung als Orientierung heranzieht. Bei Pflegegrad 3 beziffern sich die Pflegekosten schon auf 800 bis 900 Euro. Spätestens bei Pflegegrad 4 muss eine Größenordnung von 1.500 bis 1.800 Euro eingeplant werden.

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Bei den Kosten für Pflegegrad 5 lege ich mich nicht fest, weil es dort extrem auf die Krankheitsbilder ankommt, die ein Pflegegrad mit sich bringt. Fest steht: die Kosten sind immens. Da sind wir schnell bei 1.700 bis 2.000 Euro Eigenanteil. Wir reden hier von Eigenanteil: das heißt, zusätzlich zu dem, was die Pflegeversicherung an Kosten übernimmt.

Warum es wichtig, dass die Tarife anpassungsfähig sind

Das Armutsrisiko resultiert aber zusätzlich daraus, dass die pflegenden Angehörigen im Job kürzer treten müssen, vielleicht sogar ihren Beruf aufgeben. Es sind ja nicht die direkten Pflegekosten allein, die gestemmt werden müssen!

Das Hauptproblem in Deutschland ist folgendes: Wenn sich Kunde konfrontiert sieht mit Kosten von -ich sage jetzt mal- 1.500 Euro im Monat. Dann hat er in der Regel nicht die finanziellen Möglichkeiten, diesen Betrag allein durch ein eigenes Einkommen abzudecken und an professionelle Dienstleister zu delegieren. Was macht er also? Er lässt einen Teil den Pflegedienst machen, im Zweifel so viel, wie er sich selbst gerade finanziell mit den Leistungen der Pflegekassen leisten kann. Und der Rest wird von überlasteten Verwandten übernommen.

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Nun sind wir in Deutschland in der Situation, dass sich die Menschen immer noch selbst um ihre eigene Pflegevorsorge kümmern müssen. Allerdings betrifft ihn das eben nicht allein. Wenn er die Vorsorge vernachlässigt, leidet er nicht nur selbst darunter, sondern dann leiden im Ernstfall seine Angehörigen. Auch das ist ein Thema, das der Vermittler mit seinem Kunden besprechen muss, nämlich: Wer bezahlt das bei dir? Es ist zu vielen Verbrauchern noch nicht vorgedrungen, dass die Kinder für ihre Eltern haften.

Wenn der Kunde dann sagt: „Ich habe Vermögen. Ich habe ein Haus, das will ich nicht vererben, das geht notfalls für meine Pflege drauf!“, dann hat er ja eine Möglichkeit, das zu finanzieren. Und wenn er sagt: „Meine Kinder sind mir egal!“, ja, dann ist das halt so. Aber wenn er sagt: „Nein, ich will meine Kinder nicht belasten, mein Vermögen nicht aufbrauchen und meine Rente nicht antasten“, dann muss er sich die Frage stellen: Wie viel ist es ihm wert, seine Probleme zu lösen? Dann muss eine zusätzliche Pflegevorsorge her, das muss ein Vermittler offensiv ansprechen.

Und da sind Kinder auch manchmal in der Verantwortung -also ich sage jetzt mal: meine dreißigjährige Tochter-, offensiv die Frage zu stellen, „Alter, was hast du in Sachen Pflegevorsorge gemacht? Oder muss ich das später alles bezahlen?“ Auch das ist ein Thema, was der Vermittler mit seinen Kunden besprechen muss: Pflegevorsorge betrifft die ganze Familie. Mitunter müssen gemeinsame Antworten gefunden werden, auch im Dialog der Generationen.

Überlastung von Angehörigen ist ein gutes Stichwort. Es kann bei der Pflegezusatzversicherung nicht allein darum gehen, dass man Geld für die Pflege erhält. Sondern auch um zusätzliche Unterstützung der Angehörigen, die sich plötzlich einer extrem belastenden Situation gegenüber sehen und vielleicht keine Erfahrung mit Pflege haben. Was können private Zusatzpolicen da leisten, etwa über Assistance-Leistungen?

Wir wissen aus der Psychiatrie, dass die am meisten belasteten Berufsgruppen, die zum Beispiel zu Burnout neigen, pflegende Angehörige sind. Weil die nicht aussteigen können. Die brauchen mal Pause und Urlaub. Zwar gibt es auch hier einen Grundschutz durch die gesetzliche Pflegeversicherung, etwa durch die Verhinderungspflege. Aber auch da können hohe Kosten anfallen, zum Beispiel wenn eine Person vorübergehend im Pflegeheim untergebracht werden muss.

Wenn ich nun eine private Pflegezusatzversicherung kaufe, gilt es auch, auf diese Zusatzleistungen zu achten. Das muss eine Pflegeversicherung nicht nur das monatliche Salär zur Verfügung stellen, sondern in der Lage sein, zusätzlich einen Ausstieg zu gewähren. Eine Pflegeversicherung sollte auch in der Lage sein, zusätzliche Gelder für den behindertengerechten Umbau bereitzustellen. Eine Pflegeversicherung sollte in der Lage sein, sich ändernden gesetzlichen Rahmenbedingungen zu folgen. Das ist auch mein Plädoyer für Pflegetagelder, weil diese anpassungsfähiger sind als Pflegerentenversicherungen, die nach Art der Lebensversicherung kalkuliert sind.

Warum ist es aus Ihrer Sicht so wichtig, dass die Tarife anpassungsfähig sind?

Erst jüngst hatten mit den Pflegestärkungsgesetzen massive Änderungen bei der gesetzlichen Pflege, die auch Auswirkungen auf private Pflegeversicherungen hatten. Da hat der Gesetzgeber zu Recht das gesamte Pflegeszenario auf den Kopf gestellt. Wir müssen uns vorstellen, dass derart massive Eingriffe in den nächsten zwanzig Jahren noch zwei- oder dreimal geschehen werden. Das war nicht die letzte Pflegereform, auf die wir uns einstellen mussten. Ich glaube, dass wir in zwanzig bis dreißig Jahren Pflege komplett anders gestalten als das, was wir heute als Pflege kennen.

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....Die Fragen stellte Mirko Wenig.

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