Blickt man auf die Eigenanteile, die vollstationär Betreute im Pflegeheim zahlen müssen, so kennen diese seit ein paar Jahren nur eine Richtung: steil nach oben. Mussten zum Jahresanfang 2018 die Pflegebedürftigen noch 1.772 Euro im Bundesschnitt zahlen, so waren es zum Stichtag 1. Januar 2022 bereits 2.179 Euro: ein Plus von 23 Prozent innerhalb von vier Jahren. Das geht aus Zahlen des Verbands der Ersatzkassen (vdek) hervor.

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Zwischen den Bundesländern zeigen sich hierbei große Unterschiede. Am tiefsten müssen die Pflegebedürftigen in Nordrhein-Westfalen in die Tasche greifen, wo ein Pflegeheim-Platz im Schnitt 2.542 Euro Eigenanteil kostet. Dahinter folgt Baden-Württemberg mit 2.541 Euro im Schnitt. Vergleichsweise günstig ist der Heimplatz hingegen in Sachsen-Anhalt mit durchschnittlich 1.588 Euro Eigenkosten. Grundsätzlich zeigt sich ein West-Ost-Gefälle: So ist der Heimplatz in ostdeutschen Bundesländern im Schnitt günstiger als im Westen. Einzig Niedersachsen liegt – mit einem Eigenanteil von 1.847 Euro – auf einem ähnlich niedrigen Niveau (siehe Schema).

Pflegereform: Entlastung betrifft nur einen Teil der Heimkosten

Um Pflegebedürftige zu entlasten, hat die frühere schwarz-rote Bundesregierung unter Jens Spahn (CDU) vor der Bundestagswahl noch eine Pflegereform in Kraft gesetzt, die seit Anfang 2022 greift. Es bestehen aber Zweifel, ob die Reform wirklich Hilfe verspricht oder ob sie die Kostenexplosion lediglich kurzzeitig ausbremst.

Zum einen werden seither nur die „reinen“ stationären Pflegekosten anteilig bezuschusst, nicht aber die – ebenfalls anfallenden – Kosten für Unterbringung, Verpflegung und notwendige Investitionen im Heim. Zum anderen ist ein stufenweiser Zuschuss vorgesehen, der gerade in den ersten Jahren, in denen sich die Person im Heim aufhält, gering ist. Je länger sich eine Person im Pflegeheim aufhält, desto höher fällt der Leistungszuschlag zu den Pflegekosten aus.

Hierbei ist zu beachten, dass sich die Heimplatzkosten, die vollstationär Betreute zu zahlen haben, aus mehreren Teilbereichen zusammensetzen:

  1. Kosten für die Unterbringung im Heim und die Verpflegung,
  2. Kosten für notwendige Investitionen des Heims und die Ausbildung von Pflegenden,
  3. die „reinen“ Pflegekosten, bekannt auch als Einrichtungseinheitlicher Eigenanteil (EEE).

Allein auf den Einrichtungseinheitlichen Eigenanteil bezieht sich künftig der Zuschuss. Dieser betrug im Januar 2022 im Bundesschnitt 912 Euro und wird unabhängig vom Pflegegrad des Patienten berechnet. Durch den Leistungszuschlag verringert sich der jeweilige persönliche Eigenanteil der Pflegekosten, ansteigend mit Dauer der Pflege. Im ersten Jahr trägt die Pflegekasse fünf Prozent des pflegebedingten Eigenanteils, im zweiten Jahr 25 Prozent, im dritten Jahr 45 Prozent und danach 70 Prozent.

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Weiterhin voll zu zahlen ist aber – wie erwähnt – der Kostenanteil für Unterkunft und Verpflegung sowie für Investitionen. Allein die Investitionskosten machen im Bundesschnitt 466 Euro aus. Für Unterkunft und Verpflegung kommen im Schnitt 801 Euro hinzu. Ob hier die Deckelung der reinen Pflegekosten tatsächlich die Bewohnerinnen und Bewohner der Pflegeheime entlasten kann, daran bestehen ernsthafte Zweifel. Denn die aktuelle Pflegereform soll auch bewirken, dass mehr Pflegerinnen und Pfleger eingestellt werden und sich Rahmenbedingungen in der Pflege verbessern: weniger Überlastung, mehr Zeit für die Bedürftigen. Auch deshalb dürften die Pflegekosten – und somit auch der entsprechende Eigenanteil – weiter steigen.

Große Reform gefordert

Aufgrund der aktuell schwierigen Situation wurde deshalb wiederholt die Forderung laut, die Pflegeversicherung umfassender zu reformieren. “Die neue Koalition muss die Eigenanteile sozial ausgewogen deutlich nach unten fahren“, forderte Gernot Kiefer, Vizevorsitzender des GKV-Spitzenverbandes, im Herbst letzten Jahres gegenüber dem „Handelsblatt“. Er prognostiziert, dass die Pflegeversicherung in den kommenden Jahren mit zusätzlichen Milliardenkosten konfrontiert wird. Als Folge würden nicht nur die Eigenanteile weiter steigen, auch der Pflegebeitrag müsste zulasten der Versicherten weiter angehoben werden. „Die Probleme sind so gravierend, dass sie keinen Aufschub mehr dulden“, so Kiefers Diagnose. Schon im laufenden Jahr 2022 könnten demnach 2 Milliarden Euro in den Pflegekassen fehlen.

Kiefer unterbreitet einen Katalog an Maßnahmen, wie die Situation entschärft werden könnte. Eine Maßnahme: mehr Geld vom Bund. Er plädiert dafür, dass sich der Bund stärker und dauerhaft an den Ausgaben beteiligt, die nicht zum Kern der Aufgaben einer Pflegeversicherung gehören. Ein Beispiel sind Rentenbeiträge für pflegende Angehörige, für die allein im kommenden Jahr drei Milliarden Euro anfallen würden. Diese Beiträge seien eine staatliche Sozialleistung und müssten durch einen Bundeszuschuss gegenfinanziert werden.

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Auch Kiefer kritisiert, dass die steigenden Kosten in der Pflegeversicherung derzeit vor allem von den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen geschultert werden müssen. Ein weiterer Reformvorschlag: Um Pflegeheim-Bewohner bei den Investitionskosten von durchschnittlich 466 Euro zu entlasten, sollen die Bundesländer verstärkt einspringen und in die Pflege-Infrastruktur investieren. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Eigenanteile stärker an das Alterseinkommen zu koppeln: Starke Schultern müssten dann folglich mehr tragen, Menschen mit kleinen Altersbezügen weniger.

Pflegende Angehörige: seltener im Fokus?

Doch teils prekär gestaltet sich auch die Situation für diejenigen, die Angehörige zuhause pflegen: noch immer das am Weitesten verbreitete Modell in Deutschland. Rund 3,3 Millionen Menschen mit Pflegegrad bzw. Pflegestufe werden laut Statistischem Bundesamt zuhause umsorgt. Vielfach gelingt dies nur, indem Angehörige – insbesondere Frauen – ihre Arbeitszeit reduzieren oder die Arbeit sogar ganz aufgeben, um Menschen zuhause zu betreuen. Dies ist verbunden mit entsprechenden Einkommens-Einbußen sowie mit Problemen, dann wieder voll in den Job einzusteigen.

Etwa jede(r) elfte Beschäftigte muss aktuell Job und Pflege unter einen Hut bringen, so ergab eine Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) aus dem Jahr 2018. Dieser Anteil dürfte mittlerweile sogar noch gestiegen sein. Und 71 Prozent der pflegenden Angehörigen klagen, dass sie Probleme haben, Beruf und Pflege zu vereinbaren – für 16 Prozent ist dies sehr häufig, für dreizehn Prozent oft und für 42 Prozent selten der Fall. Am häufigsten geben vollzeitbeschäftigte Frauen an, Probleme mit der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu haben: Hier sind 78 Prozent betroffen. Auch der Anteil pflegender Angehöriger wird in Zukunft zunehmen, weil die Gesellschaft altert. Demzufolge sind entsprechende Lösungen gefragt, damit die Personen keine Nachteile in Job und Karriere erdulden müssen.

Ein weiteres Problem: Gerade in ländlichen Regionen, wo viele ältere Menschen leben, fehlt es an mobilem Pflegepersonal. Eine bundesweite Befragung des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) aus dem Jahr 2019 zeigt entsprechende Engpässe: Von 535 befragten ambulanten Pflegediensten gab mehr als die Hälfte (53 Prozent) an, dass benötigte Stellen für Pflegefachpersonen seit mindestens drei Monaten nicht besetzt werden konnten. 80 Prozent der Dienste berichten zudem, in den letzten drei Monaten Versorgungs-Anfragen abgelehnt zu haben, weil sie die Pflege nicht hätten sicherstellen können. Dreizehn Prozent der Dienste geben sogar an, in den letzten drei Monaten Klienten gekündigt zu haben, weil sie deren Versorgung nicht sicherstellen konnten.

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Laut ZQP-Studie scheidet viel Pflegepersonal zudem in den nächsten Jahren altersbedingt aus. „Die Frage muss erlaubt sein, wie das Versprechen von einer bedürfnisorientierten, menschenwürdigen Pflege sowie von besser unterstützten pflegenden Angehörigen zukünftig eingelöst werden soll“, kommentierte Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender des ZQP, die Ergebnisse.

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