Versicherungsbote: Laut 5. Sozialgesetzbuch §13 kann sich jeder GKV-Versicherte im ambulanten Bereich wie ein Privatpatient behandeln lassen. Können Sie dies bitte noch einmal erklären – und auch die Vorteile für GKV-Kunden beschreiben?

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Hagen Engelhard: Vereinfacht geht es um den Unterschied, ob ich gemäß § 12 SGBV ausreichend zweckmäßig und wirtschaftlich behandelt werde oder gemäß Gebührenordnung der Ärzte nach den Regeln der ärztlichen Kunst. Im zweiten Fall lässt man sich privat behandeln und bekommt deswegen eine Privatrechnung, die man dann bei seiner Krankenkasse zu Erstattung einreicht. Die gesetzlichen Kassen erstellen daraufhin eine Vorleistungsbestätigung, die mit dem Eurobetrag an den Versicherten geschickt wird. Da hier häufig nur Bruchteile erstattet werden, ist eine Restkostenversicherung ratsam, aber nicht gesetzlich vorgeschrieben.

…und welche möglichen Nachteile drohen Kunden?

Hagen Engelhard ist Mitbegründer des Versorgungsnetzwerkes Medi-Kost-Net. Er gibt Seminare und hält Vorträge vor Ärzten, Versicherern, Pools und Gesundheitsdienstleistern. Wenn ein Mehraufwand an Arbeit als nachteilig empfunden wird, dann ist das bestimmt ein Nachteil. Anders als mit der Chipkarte muss ich als Patient – ähnlich wie ein Beamter – selber mit zwei Kostenträgern abrechnen. Gleichzeitig kann der Erwerb einer Versicherung durchaus als nachteilig empfunden werden.

Welche Schritte muss ein Kassenpatient gehen, damit er am Kostenerstattungsprinzip teilnehmen kann? Muss er gegenüber der Krankenkasse anzeigen, dass er an der Kostenerstattung teilnehmen will? Einen Antrag stellen?

Tatsächlich stellt man zunächst keinen Antrag, sondern meldet die Nutzung des Verfahrens bei der Krankenkasse an. Hierbei ist wichtig, zwischen Zahnmedizin und ambulanter Medizin zu unterscheiden! Gleichzeitig sind im ambulanten Bereich noch die veranlassten Leistungen zu benennen – das sind zum Beispiel verschriebene Heilmittel. Die Satzungen der einzelnen Kassen regeln Details!

Muss der Patient in jedem Fall die Behandlungskosten vorschießen? Oder kann auch die Kasse mit ihrem Anteil in Vorleistung gehen?

Es ist genau wie bei Beamten. Kleinere Rechnungen leistet der Patient vor. Bei größeren Rechnungen hingegen wird erst eine Abrechnung mit den Kostenträgern erfolgen; und erst danach wird dann die Privatrechnung beglichen.

Es gibt Arztpraxen, die nur Privat- und Berufsgenossenschaftspatienten behandeln. Oft vergeben diese schneller einen Facharzttermin oder sind technisch besser ausgestattet. Lassen sich über das Kostenerstattungsprinzip auch diese Praxen erschließen – oder bleibt es auf Kassenärzte beschränkt?

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Grundsätzlich bleibt das Verfahren auf Kassenärzte beschränkt. Der Gesetzgeber sieht zu beantragende Ausnahmen vor. Hier sind die Kassen seitens des Gesetzgebers aber leider in einer „Kannbestimmung“. Das heißt eben auch: kann ohne Begründung auch nicht!

..."an Überversorgung ist noch niemand gestorben"

Die Kostenerstattung ermöglicht eine höherwertige Behandlung als über die gesetzliche Krankenkasse. Aber wie soll der Patient beurteilen können, dass die Privatbehandlung tatsächlich besser für ihn ist? Besteht nicht die Gefahr, dass er teure oder gar unnötige Therapien oder Medikamente „aufgeschwatzt“ bekommt?

Natürlich gibt es das Phänomen der Übermaßbehandlung. Das Kostenerstattungsprinzip erfordert mündige Patienten, die gegebenenfalls eine Zweitmeinung einholen. An Überversorgung ist aber vermutlich noch niemand verstorben - an Unterversorgung aber schon!

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…und wie kann der Patient prüfen, dass der Arzt tatsächlich die korrekte Leistung abrechnet? Müsste er hierfür nicht Fachmann sein?

Ganz konsequent bis zu Ende kann ein Patient es nicht prüfen. Das gilt übrigens für die meisten von uns auch für unserer Auto in der Werkstatt! Beim Einreichen von Rechnungen prüfen aber Krankenversicherungen sehr genau auf Plausibilitäten. Hier findet quasi Verbraucherschutz statt. Da man als Nutzer der Kostenerstattung eine Zusatzversicherung haben sollte, hat man so ein relativ hohes Maß an Sicherheit.

Ist es möglich, dass zum Beispiel durch Komplikationen oder Spätfolgen einer ärztlichen Behandlung die Kosten für den Patienten durch das Kostenerstattungs-Prinzip steigen? Wie verhält es sich zum Beispiel, wenn durch Komplikationen weitere Behandlungen notwendig sind?

Grundsätzlich gelten die gleichen Regen wie in der "echten" Privatmedizin: Maßstab sind hier die Regeln der ärztlichen Kunst. Eine Behandlung endet erst, wenn Patienten als gesund gelten. Deswegen ist ja der Erwerb einer Zusatzversicherung geboten.

Gibt es notfalls Instanzen, an die sich ein Patient wenden kann, wenn er in Vorleistung ging und Zweifel an einer Arztrechnung hat?

Auch hier erneut der Hinweis zu den Prüfungsregeln der Versicherer. Das bedeutet: Die Versicherer prüfen Rechnungen sowohl auf Plausibilitäten als auch auf die medizinische Notwendigkeit. Eine Therapie, die nur dem Arzt nützt, findet daher normalerweise nicht statt. So gibt es wie bei einem komplett privat versicherten Menschen in der Regel genug Sicherheiten.

"Die Versicherungen unterscheiden sich wie andere auch"

Die Nutzung des Kostenerstattungsprinzips ist auch über eine Krankenzusatzversicherung möglich. Dabei denkt man zunächst an Zahnersatz- oder Zweibettzimmer-Tarife. Welche weiteren Risiken lassen sich über solche Policen absichern?

Ich korrigiere ungerne, tue es aber trotzdem: Für den normalen Bürger ist Kostenerstattung als Verfahren nur mit, nicht über eine Versicherung machbar! Sie muss das Restkostenrisiko für Patienten abdecken – folglich die Differenz von dem, was die Kasse erstattet und dem, was die Rechnung beinhaltet. Auch auf die Gefahr einer Wiederholung es ist sehr ähnlich zu dem Verfahren bei Beamten: Die haben Beihilfe als gesetzliche Versicherung und eine zusätzliche Restkostenversicherung! Und da liegt manchmal der Teufel im Detail.

Diese Versicherungen unterscheiden sich in der Güte wie andere Krankenversicherungen auch. Aber zusätzlich gibt es immer das Phänomen der fehlenden Vorleistung der GKV. Also die Kasse erstattet gar nichts, zum Beispiel bei Heilpraktikern, Ärzten ohne Kassenzulassung oder OTC- Medikamenten. Das sind rezeptfreie Arzneien, die per Gesetz nicht zu Lasten der Allgemeinheit verordnet werden dürfen. Was soll dann erstattet werden vom Zusatzversicherer? Und da gibt es unterschiedliche Angebote am Markt. Der wesentliche Unterschied bei Beamten ist die vorherige prozentuale Festlegung der Beihilfe.

Wie können Versicherungsvermittler ihren Kunden das Prinzip der Kostenerstattung schmackhaft machen? Und wie können Vermittler davon profitieren?

Wie so oft sollte ich mich als Vermittler mit dem Thema zuerst beschäftigen. Hierbei wird die Feststellung folgen, dass es ein sehr spannender Weg in die Privatmedizin ist, ohne die GKV verlassen zu müssen. Dann muss ich Kunden darauf ansprechen („Privatbehandlung beim Arzt ohne eine Privatversicherung ist möglich“). Die nötigen Zusatzversicherungen werden nicht gekauft, sondern verkauft. Häufig stellen Kunden dann von alleine fest, gegebenenfalls in eine Vollversicherung zu wechseln.

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Die Fragen stellte Michael Fiedler

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