Den Mindestlohn müssen sich die Arbeitgeber der Bundesrepublik nun einfach leisten können, und das ist auch gut so. Sozialer Lohn aber wird im eigenen Haus scheinbar eher kleingeschrieben, und das macht es doppelt peinlich. Die Süddeutsche Zeitung hatte aufgedeckt, dass mutmaßlich dreiundvierzig Besucherführer als Scheinselbstständige für die Bundestagsverwaltung arbeiteten, so dass diese sich die Ausgaben für die Sozialversicherung sparen kann. Ist an den Vorwürfen etwas dran? Offenbar schon, ein Parlamentssprecher jedenfalls bestätigte die Anschuldigungen. Aber immerhin wurden ja hier Steuergelder gespart, könnte man zynisch anmerken, das ist ja nicht das Allerschlechteste. Die Sozialkassen werden freilich auch geschwächt, wenn weniger eingezahlt wird.

Anzeige

Rentenkasse vermutet Sozialbetrug im Bundestag

Während die Besucherführer also die Steuerzahler durchs Gebäude führen, um deren Blicke auf die Kunst, Architektur und Geschichte des Reichstagsgebäudes zu lenken, wird die Deutsche Rentenversicherung den Verdacht nicht los, dass man die Touristenführer als Scheinselbstständige ausnutzt, um Geld zu sparen. Was man gespart hat, wird man aber nun, wo es heraus gekommen ist, direkt an die Rentenkasse überweisen können. Genau 1,45 Millionen Euro forderte diese für den Zeitraum zwischen 2006 und 2010 zurück. Erstmal, denn weitere Zeiträume werden ja noch geprüft.

Die als Freiberufler beschäftigten Guides waren, wie die SZ recherchiert hatte, versicherungspflichtig und sie hätten damit auch Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung abführen müssen. Nur wer über seine Arbeitszeit in der eigenen Betriebsstätte frei bestimmen kann und zudem ein unternehmerisches Risiko trägt, gilt als selbstständig. Sind die Führer also selbstständig? Wohl eher nicht, findet die Rentenkasse. Schließlich arbeiten die Touristenführer für ein Unternehmen, von dem sie Weisungen erhalten, wann, wo und wie lange sie arbeiten - nach deutschem Recht sind sie also eindeutig als Arbeitnehmer demaskiert.

Auch ist es nicht besonders sozial, „scheinselbstständige Angestellte“ anzustellen, denn diese erführen durch ein solcher Weise konstruiertes Arbeitsverhältnis ebenfalls Nachteile. Im Krankheitsfall steht ihnen keine Entgeltfortzahlung zu und ihr Kündigungsschutz kann leicht umgangen werden. Der Bundestag möchte nun gegen die Forderungen der Rentenkasse Widerspruch einlegen, so gab ein Sprecher bekannt.

Parlamentsverwaltung nicht zum ersten Mal als "Sparer" aufgefallen

Man gab sich überzeugt, bei den Beschäftigungsverhältnissen „Recht und Gesetz“ beachtet zu haben. Die Glaubhaftigkeit dieser Unschuldsbehauptung leidet leider an dem Fakt, dass die Parlamentsverwaltung bereits in der Vergangenheit durch die Anwendung fragwürdiger Methoden aufgefallen war. Schon im Mai 2012 forderte die DRV Sozialabgaben von 730.000 Euro zurück, da mobile Öffentlichkeitsmitarbeiter für Messen und Wanderausstellungen als Scheinselbstständige beschäftigt wurden, so die Süddeutsche. Doch steht dazu ein höchstrichterliches Urteil noch aus.

Und statt der Bezahlung als Selbstständige hatte man Touristenführer noch etwas früher mit einem Dumpinglohn abgespeist, das immerhin hat die Bundestagsverwaltung mittlerweile eingestanden. Man hatte die Guides zunächst als freie Honorarkräfte bezahlt, später dann, als die Sache öffentlich geworden war, als studentische Aushilfskräfte, inklusive Sozialabgaben. Diese „Sparmaßnahme“ kostete den Bundestag 230.000 Euro in einer Nachzahlung.

Altersabsicherung für Scheinselbstständige fehlt

Die Rentenversicherung arbeitet also sehr gründlich und so kommt es immer wieder zu Hakeleien zwischen freiwillig versicherten Selbstständigen, ihren Auftraggebern und der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Knackpunkt dabei ist stets, ob der Versicherte in Wahrheit nur ein Scheinselbstständiger ist.

So wächst die Anzahl der Widersprüche und Klagen gegen die so genannten Statusfeststellungen. Die Clearingstelle der Rentenversicherung ist für jene Überprüfung zuständig und schaut, ob jemand wirklich selbstständig ist oder aber in Wirklichkeit ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis besteht.

Anzeige

Das Problem ist, dass die Anstellung von „Selbstständigen“ kurzfristig viel billiger ist, langfristig aber fehlt solcherart beschäftigtem Personal eine Altersabsicherung – was auf lange Sicht wieder Kosten produziert. So forderte der Grünen-Politiker Markus Kurth in der Rheinischen Post die Regierung auf, für Selbstständige eine obligatorische Alterssicherung einzuführen. "Denn wird nicht ausreichend Vorsorge getroffen, werden Selbständige im Alter auf staatliche Unterstützung angewiesen sein".

versicherungsbote, presseportal.de

Anzeige