Oh, wie liebten wir diese Momente! Wenn Uli Hoeneß mit hochrotem Kopf in einer Talkshow saß und gegen die Konkurrenz austeilte. Wenn er dem damaligen Bundestrainer Jürgen Klinsmann vor der WM 2006 befahl: „Der soll hierherkommen und nicht ständig in Kalifornien rumtanzen und uns hier den Scheiß machen lassen.“ Wenn er einen überführten Kokser den „verschnupften Daum“ nannte. Wenn er einen Schiedsrichter beschimpfte, nur weil er dem großen FC Bayern zu Recht ein Abseitstor aberkannt hatte. Dann war Uli Hoeneß ganz bei sich. Er war Großkotz, Hassfigur, Provokateur, Dampfplauderer. Und nebenbei ein großartiger Entertainer.

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Uli Hoeneß ist Kopf, Bauch und Arsch des FC Bayern

Uli Hoeneß gehört seit Jahrzehnten zur deutschen Fußballfolklore wie die Querlatte zum Fußballtor. Und machen wir uns nichts vor: Ohne Uli wäre der FC Bayern München nicht das, was er heute ist. Ein solide finanzierter Fußballverein, der seit Jahrzehnten zur europäischen Spitze zählt. Hoeneß lebt für diesen Verein, er opfert sich auf für seine Bayern, riskierte vermutlich in mancher Situation schon einen Herzinfarkt. Die Bundesliga wäre ohne Hoeneß ärmer.

Wie schön war es, ihn bei Niederlagen am Spielfeldrand leiden zu sehen, wenn er mit zerknirschtem Gesicht neben den Trainern auf der Bank saß und immer wieder seinen tomatenroten Kopf schüttelte! Und wie rührend war der Anblick, wenn er mit seinen Bayern große Triumphe feierte, mit den Fernsehkommentatoren scherzte und seiner Euphorie freien Lauf ließ. In Talkshows war Hoeneß ein launiger, aber interessanter Gesprächspartner. Kaum eine Person im deutschen Fußball lebt ihre Gefühle so schamlos offen aus wie dieser Uli Hoeneß, live und vor allen Kameras. So oft und so lange mit einem hochroten Kopf rumzulaufen: Das kann auf Dauer nicht gesund sein! Sogar als Platzwart hat sich Uli schon angeboten, sollten seine Bayern jemals in Not geraten.

Ein Stück weit ist dieser Uli Hoeneß also Bayerns Seele. Spieler, Manager, Präsident, Wortführer: Uli Hoeneß ist seit mehr als 40 Jahren untrennbar mit dem FC Bayern München verbunden. Er steht für das, was diesen Verein ausmacht: Arroganz. Erfolg. Große Gefühle. Widersprüche. Er ist der Kopf des Vereins, aber in seiner Wut und Leidenschaft auch dessen Bauch. Und manchmal ist er eben der Arsch des FC Bayern, vor allem für uns, die gegnerischen Fans.

Widersprüche zwischen Steuerhinterziehung und sozialem Engagement

Nun fordern Medien und einzelne Politiker den Rücktritt von Uli Hoeneß als Präsident des FC Bayern München. Er soll Steuern hinterzogen und Millionen auf einem Konto in der Schweiz versteckt haben. Die Kanzlerin zeigt sich enttäuscht und distanziert sich öffentlich von ihm. „Der Rücktritt von Uli Hoeneß ist unausweichlich“, sagte auch Dieter Kürten am Sonntag in der Talk Show bei Günther Jauch. Die SPD hat sogar angekündigt, mit dem Thema Hoeneß und Steuerhinterziehung in den Wahlkampf zu ziehen.

Natürlich, Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. Natürlich, Uli Hoeneß gehört im Rahmen der Gesetze bestraft, sollte er sich strafbar gemacht haben. Aber es ist nicht ganz so einfach, nun die Welt in Schwarz und Weiß einzuteilen. Es ist derselbe Uli Hoeneß, der laut Schätzungen von Freunden pro Jahr 2 Millionen Euro für Einrichtungen wie die Berliner Arche und Kinderhilfswerke spendet. Für Reden erhält er bis zu 30.000 Euro Honorar, und er macht den Veranstaltern vorher klar, dass er nur komme, wenn das Geld in voller Höhe gespendet werde. Peer Steinbrück beispielsweise behält seine Redehonorare in der Regel für sich. So widersprüchlich Hoeneß als Mensch ist, so widersprüchlich ist er auch bei finanziellen Angelegenheiten.

Es ist das andere Gesicht des einflussreichen Fußballfunktionärs: Er kann spendabel und großherzig sein. Dabei mag auch Imagepflege eine Rolle spielen. Der konservative Uli Hoeneß, Lederhosenträger, Christ und CSU-Sympathisant, muss auch seine heile bayrische Welt pflegen. Zu oft hat sich Hoeneß als Moralapostel aufgespielt und mit dem Finger auf andere gezeigt, etwa in der Causa Daum oder in der Verurteilung europäischer Fußballvereine wegen ihrer Schulden. Spenden helfen da, sie verschaffen moralische Integrität. Als „Vater Teresa vom Tegernsee“ wurde Hoeneß schon verspottet.

Trotzdem nimmt man es dem Bauchmenschen Hoeneß ab, dass sein Engagement von Herzen kommt. Uli Hoeneß war die treibende Kraft bei der Gründung der Dominik-Brunner-Stiftung, jenem verhinderten Helden, der Jugendliche vor Gewalttätern in der Münchener U-Bahn schützen wollte und dabei zu Tode kam. Hoeneß hat sich für Breno eingesetzt, nachdem das Abwehrtalent wegen Brandstiftung verurteilt wurde. Die Süddeutsche berichtet von Hoeneß' Bürotür, die ständig offen stehen würde. Für jeden. Für die Nummer eins der Profis über die Nummer 25 der Amateure bis hin zum Greenkeeper der Allianz Arena. „Wenn du abends um zehn bei ihm angerufen hast, weil du Hunger hattest, hat er sich darum gekümmert“, sagt ein ehemaliger Spieler der Bayern-Regionalligamannschaft. Für einen Fußballfunktionär ist all das nicht selbstverständlich. Er kann ein feiner Kerl sein, dieser Uli.

Uli, You’ll Never Walk Alone!

Aber sparen wir uns die ganzen Gutmenschen-Argumente! Nun ist also auch der Steuerhinterzieher Uli Hoeneß angekommen in der Ahnengalerie der wankenden und nur beinahe gefallenen Fußball-Helden. Man kann doch nicht den begnadeten Fußballer und großen Trinker Paul Gascoigne verehren, aber nun mit dem Finger auf Hoeneß zeigen. Man kann doch nicht Diego Maradona wegen dessen göttlicher Hand (und dem noch göttlicheren Fuß) bewundern, aber den Kopf von Uli Hoeneß fordern. George Best, Günther Netzer, Mario Balotelli: Es sind oftmals die widersprüchlichen Charaktere, die dem allzu menschlichen Sport Fußball seinen Reiz, seine Größe und seine erinnerungswürdigen Momente geben. Uli Hoeneß mag es nicht gefallen, gemeinsam mit diesen Bad Boys des Fußballs genannt zu werden, dafür ist er ein zu konservativer Denker. Dem Fan kann es egal sein.

Ein Rücktritt von Uli Hoeneß kommt also nicht in Frage. Natürlich wollen wir weiterhin den Uli auf der Tribüne schwitzen sehen, wenn die Bayern gegen Mannschaften wie Mainz 05 verlieren. Wir wollen die arroganten Kommentare, den Spott und die Launen des Uli Hoeneß als Angriffsfläche. Deshalb wird er von den Fußballfans gehasst und geliebt. Und auch seine Pointen und mancher kluge Kommentar würden dem deutschen Fußball fehlen. Wer bitteschön soll ihn denn ersetzen? Schon das Experiment mit Christian Nerlinger hat gezeigt, wie langweilig der FC Bayern werden kann, wenn sich in diesem Verein zu viele liebe und nette Kerle an die Spitze schleichen.

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Uli, wir Nicht-Bayern-Fans bleiben dir treu! Und landest du im Knast, dann schalten wir dich mit einer Kamera live in die Stadien und Talkshows. Dafür musst du keinen Heiligenschein aufsetzen, der Grantler und Bauchmensch ist uns genug. Was hat Hoeneß auf die Frage geantwortet, ob er jemals eine Biographie schreiben wolle: "Eine Biografie? Von mir? Nein. Never ever! Wenn ich die Wahrheit über das, was ich alles erlebt habe, schreiben würde, müsste man etwa zehn Bände machen - und ich müsste nach der Veröffentlichung nach Australien auswandern."

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