Denkt man an das Versicherungsgewerbe, ist Sinnlichkeit wohl kaum die erste Assoziation. Mag das Rascheln langer Vertragswerke Wohlklang für die Ohren mancher Makler sein, die Trockenheit des Büroklimas dasselbe Prickeln auf der Haut auslösen wie eine zärtliche Berührung oder ein aufgeräumter Schreibtisch den Sehnerv kitzeln – viele Menschen verorten die Sinnlichkeit nicht in unmittelbarer Nähe zu einer Hausratsversicherung.

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Dabei ist es eine Binsenweisheit in der Werbebranche, dass sich ein Produkt umso besser vermarkten lässt, je mehr die Sinne angesprochen werden. Auch Geschäftsessen sind deshalb so beliebt, weil nicht nur die Liebe durch den Magen geht, sondern ebenfalls der Verkaufserfolg. Werbung soll den Kunden verführen! Wer das Hirn des Kunden anspricht, aber Augen, Ohren und Bauchgefühl vernachlässigt, der bleibt mit seinen Produkten allein.

Doch wie ist es um die Selbstbestimmung des Kunden bestellt, wenn ihn die Werbung da abholt, wo er am Verletzlichsten ist: bei seinen Wünschen, Bedürfnissen und Ängsten? „Wer dem Sirenengesang der Werbung widersteht, ist mündiger Bürger. Und gefährdet Arbeitsplätze“, sagte einst der Kabarettist Oliver Hassencamp. Tun wir also dem Kunden etwas Gutes – und verführen ihn!

Mit allen Sinnen!

Zurück zur Versicherungsbranche. Wäre die Assekuranz ein Liebhaber, dann sicherlich kein guter. Eine spontane, aber keineswegs repräsentative Bauchgefühl-Recherche des Versicherungsboten hat ergeben, dass die Produktwerbung oft standardisiert ist, dass die Homepages der Anbieter wenig wagen – vielerorts stereotype Bilder, lächelnde Anzugträger, Fertighausästhetik, strahlend blaue Himmel. Originalität sieht anders aus. Auch die Slogans sind kaum geeignet, sich im Gehirn festzusetzen. Produkte werden als “flexibel“ charakterisiert, als “innovativ", "optimal" oder "zukunftsfähig“. Hier leisten die Phrasenabteilungen der Versicherungsgesellschaften ganze Arbeit. Der Wiedererkennungswert solcher Produktbeschreibungen tendiert gegen Null, Bauchgefühl und Kitzel leider auch.

Es mag positive Ausnahmen geben. Die VHV schickt Dieter Bohlen in ihrem Fernsehspot spektakulär zu Boden, auch die Ergo-Kampagne kennen laut einer Umfrage 63 Prozent der Bevölkerung. Doch spätestens wenn es Zeit ist, den Kunden mit dem Vertragswerk der Versicherungen vertraut zu machen, brauchen Versicherungsmakler und -maklerinnen viel Verführungskraft. Ein 50seitiger Versicherungsvertrag, vollgestopft mit Paragraphen? Unsexy! Ein Produkt, dass seitenweise Datenschutzerklärungen, Belehrungen und Antragsformulare umfasst? Auch nicht gerade verführerisch! Da gilt es, die emotionalen Defizite der Anbieter mit eigenem Charme wettzumachen.

Deshalb haben wir uns diesmal einer Kundentypologie gewidmet, die den bevorzugten Sinneskanal einer Person in den Mittelpunkt stellt. Diese Typisierung geht von der Annahme aus, dass jeder Mensch einem von drei Wahrnehmungs-Archetypen zugeordnet werden kann: visuell, auditiv oder kinästhetisch. Das Schema soll Maklern eine Orientierung bieten, um Auge, Ohr und Bauchgefühl des Kunden optimal anzusprechen.

Der Visuelle

Der Visuelle nimmt seine Umgebung in erster Linie mit den Augen wahr und er beurteilt auch nach dem, was er sieht. Er ist ein extrovertierter Typ, trägt gern kräftige Farben, spricht und bewegt sich teilweise sehr schnell. Dass er zu den visuellen Typen gehört erkennt man auch daran, dass er in Bildern denkt und sich auch so ausdrückt. Häufig „verrät“ ihn seine Wortwahl, denn er formuliert oft mit „Abbild“, „Vorstellung“, „Mittelpunkt“ und „Überblick“ - Vokabeln, die eine visuelle Komponente beinhalten. Unterhält man sich auf gleichem Niveau mit ihm, verwendet also ebenfalls solche spezifischen Worte, dann fühlt sich der Visuelle verstanden. Formulierungen wie „Nehmen wir doch dieses Versicherungsangebot mal genau unter die Lupe, dann können Sie klar erkennen, ob es für Sie Vorteile hat“ holen den Visuellen genau von seinem Standpunkt aus ab. Zudem lässt sich dieser Typ am einfachsten mit Bildern oder Videos überzeugen.

Der Auditive

Dieser Typ ist in vielen Punkten das genaue Gegenteil vom Visuellen. Der Auditive ist insgesamt in seiner Art langsamer als der Visuelle. Er spricht langsamer, macht dabei auch gezielt Pausen und atmet in ruhigen, langen Atemzügen. Auch sind seine Bewegungen längst nicht so schnell und hektisch wie beim Visuellen und er trägt lieber unauffälligere, bedeckte Farben. Er hört gern viel über das Produktangebot und informiert sich auch über andere Kundenmeinungen.
Will man ihn als Kunde gewinnen, sollte man sich als erstes auf sein Sprechtempo einstellen und die eigenen Betonungen und Sprechpausen auf ihn abstimmen. Auch der Auditive lässt sich an seinen Formulierungen erkennen. Er benutzt oft Wort wie „mündlich“, „mitteilen“, „erwähnen“ oder „Argumente“. Formulierungen, die dem auditiven Typ entgegenkommen sind etwa: „Was halten Sie davon, wenn wir ganz in Ruhe darüber sprechen und ich Ihnen verschiedene Möglichkeiten nenne?“ oder „Sie haben erwähnt, dass Sie eine günstige Lebensversicherung suchen. Ich würde ein Angebot, das sich passend anhört, gern mit Ihnen durchsprechen.“Er braucht wesentlich länger bis zur Entscheidung als der Visuelle, ist dann aber ein sehr treuer Kunde. Deshalb darf man ihn keinesfalls unter Druck setzen, sondern sollte vorsichtig lenken. Der auditive Kunde telefoniert auch gern – also wird er es wohlwollend aufnehmen, wenn er hin und wieder telefonisch kontaktiert wird.

Der Kinästhetische

Der Begriff „kinästhetisch“ setzt sich aus den beiden griechischen Wörtern „kinesis“ (Bewegung) und „aesthesie“ (Wahrnehmung) zusammen. Der kinästhetische Typ ist also ein in erster Linie gefühlsbetont und jemand, der bewegungsorientiert wahrnimmt. Mit weicher Stimme spricht er noch langsamer als der Auditive und drückt sich dabei sehr gewählt aus. Lange Sprechpausen und tiefes Atmen sind weitere Merkmale. Seine Kleidung ist eher unauffällig in zarten Pastelltönen. Er ist ein introvertierter und friedliebender Typ. Ehe dieser Kundentyp eine Entscheidung trifft, kann es schon etwas dauern, deshalb ist hier viel Geduld gefordert. Kinästhetische Typen benutzen häufig Worte wie „begreifen“, „fühlen“, „Eindruck“, „konkret“ oder „Instinkt“. Sie lassen sich am leichtesten mit Schaustücken überzeugen. Nun ist es bei solch abstrakten Produkten wie einer Versicherungspolice kaum möglich, dem Kunden etwas in die Hand zu geben, damit er es anfassen und ausprobieren kann. Deshalb sollte man versuchen, mit gefühlsbetonten Geschichten, persönlichen Gesprächen oder auch Körperkontakt – zum Beispiel ein Schulterklopfen oder Händeschütteln – Vertrauen aufzubauen. Aussagen und Fragen wie „Sie wissen doch ganzkonkret was Sie möchten. Fühlen Sie sich wohl mit diesem Angebot? Wie ist denn ihr Bauchgefühl damit?“

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Orientieren sich Vertriebler an solchen Kundentypen, muss das nicht zwingend auf ein „alle in einen Topf werfen“ hinauslaufen. Ganz im Gegenteil: die Unterteilung erleichtert es, sein Gegenüber so anzusprechen, dass dieser sich dabei wohl- und verstanden fühlt. Gerade weil Menschen nun mal verschieden sind, muss auch unterschiedlich mit ihnen umgegangen werden. Die Kategorisierungen stellen dazu nur ein Hilfsmittel dar und zielen nicht darauf ab, jegliche Individualität zu vereinheitlichen. Letztendlich entscheidet natürlich die tatsächliche Begegnung von Angesicht zu Angesicht, wie man sich verhält, wie man spricht und argumentiert.



Mirko Wenig, Ute Bachmann

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