Zwei traditionsreiche Versicherer wollen fusionieren: auf der einen Seite die Gothaer, deren Ursprünge bis ins Jahr 1820 zurückreichen, und die Barmenia, die auch bereits auf eine 120jährige Geschichte zurückblicken kann. Beide Versicherer wollen ihre Kräfte bündeln und gemeinsam schneller wachsen. Und bisher schien es so, dass die Fusion auf einem guten Weg ist und reibungslos vonstatten gehen kann. Das Bundeskartellamt hat bereits zugestimmt, der Konzernumbau ist weitestgehend durchgeplant. Doch die Versicherer haben die Rechnung ohne die Fußballfans innerhalb der Belegschaft gemacht. Und die könnten das Vorhaben nun doch noch gefährden.

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Wie Einblicke in interne Chatgruppen von Mitarbeitern beider Konzerne zeigen, die dem Versicherungsboten vorliegen, ist es das Fußballsponsoring, das für Unfrieden in der Belegschaft sorgt. Der Grund: Die Barmenia ist seit 2016 Haupt- und Trikotsponsor des derzeitigen Bundesliga-Tabellenführers Bayer 04 Leverkusen, ein Engagement, das bis mindestens 2028 reicht. Doch die Gothaer hat ihren Hauptsitz in Köln, wo der 1. FC beheimatet ist. Viele Mitarbeiter der Gothaer sind Fans der Geißböcke, manche sogar fanatisch.

"Das kommt mir wie Verrat vor"

Aber die Fanlager der beiden Fußballvereine gelten als verfeindet, bei Derbys kam es immer wieder zu Ausschreitungen. Ganze 18 Kilometer trennen Köln und Leverkusen, die Spiele zwischen den beiden Teams gelten als eines der brisantesten Duelle der Bundesliga. Und auch für die Fußballfans in den Reihen der Gothaer ist der Sport mehr als nur die schönste Nebensache der Welt. „Seit über 30 Jahren gehe ich ins Geißbockheim, hier kennt mich jeder“, schreibt etwa ein Mitarbeiter namens G. „Ich habe ein FC-Tattoo, meinen Sohn haben meine Frau und ich Thomas genannt, wegen „Icke“ Häßler. Und jetzt sollen die Einnahmen, die auch ich mit erwirtschafte, zum Teil in die Kasse von Bayer Leverkusen fließen? Das kommt mir wie Verrat vor“, schreibt der Mitarbeiter. Und weiter: "Wenn das kommt, bin ich hier weg!"

Andere Beschäftigte der Gothaer äußern sich ähnlich. „Foul, ganz böses Foul!“, schreibt etwa eine Innendienstmitarbeiterin. „Keiner hat uns gefragt, ob wir künftig den Pharmakonzern mit finanzieren wollen!“ Immerhin bemüht sie sich um Ausgleich. „Wenn wir in Zukunft auch den FC sponsern, könnte ich damit leben!“, schreibt sie. "Aber wenn das ganze Geld in den Pillenclub fließt, vergeht mir echt die Lust!" Innerhalb kürzester Zeit beteiligten sich fast 150 Personen an der Chat-Debatte, wobei einige die Reaktionen auch als überzogen bewerteten.

Gothaer und Barmenia richten Krisenstab ein

Dass es sich dabei nicht nur um eine Kuriosität unter Fußballfans handelt, zeigt die Reaktion der beiden Versicherer. Wie ein Vorstandsmitglied der Gothaer, das namentlich nicht genannt werden möchte, dem Versicherungsboten mündlich bestätigte, haben die Gothaer und die Barmenia einen Krisenstab einberufen, um zwischen den Mitarbeitern beider Konzerne zu schlichten. „Ich bin übrigens Fan von Borussia Mönchengladbach! Das hat hier in Köln noch niemanden gestört“, scherzt der Vorstand am Telefon. Dass das Sport-Sponsoring einmal zum Problem werden könne, habe man bei der Prüfung der Fusion im Rahmen der Due Diligence einfach nicht bedacht: "Wenn Sie mich fragen, mir scheint das auch absurd!", so der Vorstand.

Die Gothaer befürchtet nicht nur, dass einige Mitarbeiter kündigen könnten - in Zeiten des Fachkräftemangels eine schwierige Situation. Man sorgt sich auch darum, dass sich die Spannungen in der Belegschaft negativ auf das Geschäftsergebnis auswirken könnten. „Die Barmenia kann und will das Sponsoring mit Bayer 04 Leverkusen nicht einseitig beenden“, berichtet der Vorstand aus den gemeinsamen Krisengesprächen. „Das Sponsoring ist langfristig angelegt. Wir müssten eine Vertragsstrafe fürchten, die im Zweifel aus Kundengeldern gezahlt werden müsste.“ Zudem gebe es bei der Barmenia Fans der Leverkusener. Andere Lösungen seien gefragt.

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Angedacht sei beispielsweise ein gemeinsames Fanevent mit Public Viewing in der Hauptverwaltung der Barmenia in Wuppertal, bei dem Spiele zwischen Köln und Leverkusen von den Mitarbeitern der Gothaer und der Barmenia gemeinsam auf einer Großleinwand verfolgt werden können. In dieser Saison spielten die Vereine bereits zweimal gegeneinander - ab der kommenden Saison soll das zur Tradition werden. "Wir hoffen auf die Vernunft und Toleranz unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ich bin mir sicher, dass das eine gute Sache wird", so der Vorstand. Auf die Frage, welches Ergebnis er sich wünsche, antwortet er: "Ein faires 1:1" - und holt tief Luft.

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