Versicherungsbote: Gerade kleine und mittlere Unternehmen (KMU) hatten im letzten Jahr mit der Rekordinflation und Energie- und Materialengpässen zu kämpfen. Haben Sie dies als Versicherer 2022 an Ihrem Geschäft gemerkt – etwa, weil das Neugeschäft in der Zielgruppe zurückging oder vermehrt Verträge gekündigt wurden?

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Ulrike Taube: In der betrieblichen Altersversorgung haben wir im vergangenen Jahr keine Zurückhaltung der Kunden verspürt. Im Gegenteil: wir konnten viele neue Kunden von den Vorteilen der bAV überzeugen. Vermehrte Kündigungen oder Beitragsfreistellungen konnten wir ebenso nicht feststellen. Denn anders, als zu Beginn der Corona-Pandemie, ist die wirtschaftliche Dynamik trotz Krieg und Inflation nicht zum Stillstand gekommen. Die Erwerbstätigkeit lag 2022 so hoch wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr, Fachkräfte werden händeringend gesucht. Das wirkt sich natürlich auch positiv auf die Nachfrage nach einer bAV aus. Wo sich der Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt wandelt, ist die bAV als Instrument der Personalpolitik enorm bedeutend. Gerade die arbeitgeberfinanzierte bAV erlebt derzeit eine Renaissance.

Frauke Fiegl: Als DKV haben wir in der betrieblichen Krankenversicherung (bKV) sogar einen gegenläufigen Trend feststellen können: Das Storno war 2022 relativ zum Bestand rückläufig. Denn eine bKV ist für den Arbeitgeber oft deutlich preiswerter als eine vergleichbare Gehaltserhöhung. Da eine bKV als Sachlohn gewertet werden kann, kann diese in Summe bis zu der Sachbezugsfreigrenze von 50 Euro pro Monat und Mitarbeiter steuer- und sozialabgabenfrei sein. Kleine und mittlere Unternehmen nehmen die bKV deshalb vermehrt als Inflationsretter wahr.

Die Ergo hat in den letzten Jahren ein radikales Digitalisierungskonzept umgesetzt – schaut man auf Ihre Geschäftszahlen, durchaus mit Erfolg. Wie wirkt sich dies auf das PKV und bAV-Geschäft aus? Was hat sich geändert? (gern mit Beispielen)?

Ulrike Taube ist Mitglied des Vorstands der Ergo Vorsorge Lebensversicherung AG.@Ergo

Ulrike Taube: Vermittler können ihre Beratung über unsere Portalwelt digital und exzellent geführt umsetzen, rechtssicher und ohne Haftungsrisiken. Somit können wir mehr Vermittler erreichen und unterstützen. Gleichzeitig gelingt es uns, sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber gezielt zu beraten. Der Arbeitgeber kann mit unserer Portal-Lösung seine bAV-Verwaltung vereinfachen. Wir nehmen so eine häufig genannte Einstiegshürde. Für Arbeitnehmer schaffen wir mit den Portalen Transparenz. Der Arbeitgeber profitiert am Ende durch eine höhere personalpolitische Wirkung.

Frauke Fiegl: Speziell für die unsere Firmenkunden betreuenden Vermittler werden wir in der bKV einfache Online-Antrags- und Abschlussmodule anbieten. Hierdurch können Neukunden innerhalb weniger Minuten komplett digital abgesichert werden. Zudem haben wir eine Vielzahl an Prozessen im Konzern digitalisiert. Dies spüren unsere Kunden durch eine kürzere Bearbeitungsdauer ihrer Anliegen – und spiegeln uns ihre Zufriedenheit in ihren Rückmeldungen regelmäßig wieder.

Frauke Fiegl ist Mitglied des Vorstands der DKV und der Ergo Krankenversicherung.

Während die Marktdurchdringung der betrieblichen Altersversorgung und der betrieblichen Krankenversicherung in großen Unternehmen durchaus respektabel ist, sieht die Lage bei kleinen und mittleren Unternehmen eher mau aus. Welche Ursachen sind für die mangelhafte Verbreitung bei dieser Unternehmensgruppe verantwortlich?

Ulrike Taube: Ein wesentlicher Faktor ist nach wie vor Unwissenheit in Bezug auf die bAV. Was wir in unseren Gesprächen immer wieder gespiegelt bekommen, sind Sorgen vor zu hohen Aufwänden für das Unternehmen, vor Haftungsfragen oder die vermeintlich hohen Kosten. Dabei werden die Vorteile für Arbeitgeber und -nehmer meist ausgeblendet. Hier setzen wir konkret an und treten diesen Vorbehalten mit einer qualifizierten, digital gestützten Beratung und digitaler Verwaltungserleichterung entgegen.

Haftungsthemen zum Beispiel lösen wir über unsere auf bAV spezialisierte Beratungsgesellschaft Longial GmbH, sowohl bei der Einrichtung der bAV als auch während der Laufzeit der Versorgung. Wir begleiten unsere Kunden hier sehr eng und können auch Verwaltungs- und aktuarielle Dienstleistungen übernehmen.

Frauke Fiegl: In den DKV-Beständen haben wir einen überdurchschnittlich großen Anteil an KMUs, sodass wir als DKV den Trend einer Zurückhaltung der kleinen und mittleren Unternehmen nicht wahrnehmen. Insgesamt bietet die bKV ein großes Wachstumspotenzial. Ende 2022 hatten lediglich 22.300 Unternehmen von rund 3 Mio. Unternehmen in Deutschland eine bKV. Seit 2018 hat sich in der bKV die Anzahl der versicherten Personen bei der DKV um 120 Prozent erhöht.

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„Gerade KMU wollen leicht verständliche Angebote“

Von Unternehmen hört man immer wieder von zu hohen Verwaltungshürden, die zu viel Arbeitskraft binden würden. Wie kann man derartige Hürden beseitigen und die betriebliche Vorsorge für KMU attraktiv machen?

Ulrike Taube: „Gerade KMU wollen leicht verständliche Angebote“ mit minimalem Einrichtungsaufwand und keinem Finanz- und Haftungsrisiko. Moderne Versorgungssysteme ermöglichen das. Als Versicherer können wir außerdem helfen, Arbeitgebern und Arbeitnehmern die notwendigen Informationen transparent zu vermitteln, um Vorbehalte abzubauen.

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Dazu gehören neben einer fundierten persönlichen Beratung auch zeitgemäße Hilfsmittel, die zusätzliche Transparenz für Arbeitgeber und Arbeitnehmer schaffen. Ergo unterstützt hier mit einer digitalen Beratungsstrecke und seinen bAV-Portalen.

Frauke Fiegl: Auch wir als DKV haben in der bKV diese Situation erkannt. Wir werden unseren Firmenkunden künftig unser Arbeitgeber-Portal anbieten. Dieses ermöglicht unseren Firmenkunden, alle administrativen Veränderungen ihrer Mitarbeiter – wie zum Beispiel Namens- und Adressänderungen, Neueinstellungen und Kündigungen etc. – voll automatisiert und digital zu erfassen. Dies wird eine immense Arbeitsentlastung für unsere Firmenkunden darstellen. Auch unsere App „Meine DKV“ wird stetig weiterentwickelt und mit neuen Features versehen. Mit mehr als 500.000 Nutzern wurde sie im letzten Jahr durch das F.A.Z Institut für Management-, Markt- und Medieninformation als „Deutschlands beste App“ im Bereich Versicherungsservice ausgezeichnet. Diese steht selbstverständlich auch unseren bKV-Versicherten zur Verfügung.

In Kooperation mit IBM wollen wir unsere App in diesem Jahr um die elektronische Patientenakte (ePA) erweitern. So wird es den Versicherten der DKV künftig möglich sein, ihre Gesundheitsdaten, Arztbefunde oder Medikationspläne nicht nur selbst zu verwalten, sondern sie auch mit Ärzten und Apothekern digital auszutauschen. Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, mit der ePA einen sicheren, digitalen Aufbewahrungsort für sämtliche medizinische Unterlagen aufzubauen und die Nutzung für unsere Kundinnen und Kunden dabei so einfach wie möglich zu gestalten.

Große Erwartungen wurden in das sogenannte Sozialpartner-Modell gesteckt. Bisher gibt es erst ein Angebot auf dem Markt. Warum kommt die Nahles-Rente so schwer in Gang? Und wie könnten insbesondere Beschäftigte in KMU erreicht werden, Frau Taube?

Ulrike Taube: Das Sozialpartner-Modell kann sich aus unserer Sicht als weiterer Durchführungsweg etablieren und die Verbreitung der bAV erhöhen. Daher beobachten wir die Entwicklung für das eigene Geschäft sehr sorgfältig. Grundsätzlich gilt: Wir brauchen mehr Vorsorge für das Alter. Hier können alle Akteure – der Staat und die Privatunternehmen – im Rahmen ihrer Gestaltungsmöglichkeiten Angebote schaffen, die dies den Menschen ermöglicht.

Beteiligt sich die Firma, können Betriebsrenten ein wirksames Instrument sein, um Fachkräfte zu gewinnen und zu halten. Sollten Vermittler in ihrer Beratung von KMU das Thema Fachkräfte-Gewinnung stärker betonen?

Ulrike Taube: Ja, unbedingt. Verschiedene Studien belegen, dass die bAV ein sehr wichtiges personalpolitisches Instrument ist. Ohne betriebliche Angebote wie bAV, bKV oder bUV sind Arbeitgeber auf dem Personalmarkt heute nicht mehr wettbewerbsfähig. Aus unserer Sicht ist es daher ein wesentliches Merkmal guter Beratung, diese Themen aktiv anzusprechen und dem Arbeitgeber mögliche Ängste zu nehmen bzw. Einwände zu entkräften. Daher greifen wir ihre Fragen, gerade in Bezug auf deren langfristig gegebene Verantwortung gegenüber ihren Arbeitnehmern, von Anfang an auf und klären diese proaktiv.

Frau Fiegl, auch die betriebliche Krankenversicherung ist ein möglicher Baustein für KMU, um Fachkräfte zu gewinnen und zu halten. Krankheitsbedingte Arbeitsausfälle werden im Idealfall reduziert. Wo sehen Sie künftige Potentiale?

Frauke Fiegl: Zunächst möchte ich nochmals betonen, dass die Potenziale riesig sind. Dies liegt unter anderem darin begründet, dass aktuell lediglich rund 2 Millionen aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland eine bKV haben, oder anders ausgedrückt: 44 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer noch keine haben. Zudem steigt die Beliebtheit der bKV stetig. Dies bestätigt auch eine Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung, bei der die bKV inzwischen als doppelt so beliebt wie ein Dienstwagen gesehen wird.

Wenn man sich zudem die allgemeine Situation des demografischen Wandels, gepaart mit dem Fachkräftemangel sowie dem „War for talents“ in Deutschland, vergegenwärtigt, stellt die bKV ein ganz wichtiges Instrumentarium für Arbeitgeber dar, um im hart umkämpften Rekrutierungsmarkt neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen und langfristig an sich zu binden.

Sehr beliebt sind Zahnzusatz-Policen. Welche Rolle könnten beziehungsweise sollten betriebliche BU- oder Pflegeversicherungen einnehmen?

Frauke Fiegl: Das Thema bPV muss zukünftig eine immer stärkere Rolle in Deutschland einnehmen – nicht zuletzt deswegen, weil jeder Zweite im Laufe seines Lebens Pflegeleistungen benötigen wird. Zudem sind die Kosten für die Pflege in den letzten Jahren dramatisch gestiegen und werden weiter steigen. Wir als DKV haben diese Entwicklung früh aufgegriffen und bereits 2021 mit BonusMed Pflege Plus bPV als Produkt eine tarifvertragsunabhängige bPV angeboten, um möglichst vielen Arbeitnehmern diese wichtige Absicherung zu ermöglichen.

In der betrieblichen Krankenversicherung können auch Angehörige – oft auch ohne Gesundheitsfragen – mitversichert werden. Wie werden diese Angebote genutzt?

Frauke Fiegl: In der Branche wird dieser Trend immer stärker genutzt, insbesondere nehmen Angebote sogenannter Budgettarife zu. Auch die Mitversicherungsmöglichkeit von Familienangehörigen spielt eine Rolle. Wir kennen diesen dynamischen Markt sehr gut und leiten fortlaufend Maßnahmen zur Optimierung des Produktangebots in der bKV ab. Zudem haben wir bereits heute die Möglichkeit, neben der bKV einen Firmengruppenvertrag mit entsprechenden Beitragsvorteilen anzubieten. Ein weiterer Vorteil ist, dass viele dieser Tarife ohne Gesundheitsfragen angeboten werden. Diese beiden zusätzlichen Optionen sind für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber weitere wichtige Instrumente, um neue Mitarbeiter für sich zu gewinnen und langfristig an das eigene Unternehmen zu binden.

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Hintergrund: Das Interview erschien zuerst in unserem Printmagazin 01/2023.

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