Der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen spricht sich dafür aus, künftig deutlich weniger Staatsdiener zu verbeamten. Der Beamtenstatus solle künftig auf hoheitliche Aufgaben beschränkt werden, forderte er in einem Interview mit dem Münchener Merkur: folglich auf Justiz, Polizei und Finanzverwaltung. „Es ist nicht einzusehen, warum Uni-Professoren oder Lehrer verbeamtet sein müssen. Das hätte nie passieren dürfen“, sagte er dem Blatt.

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Hohe Pensionslasten für Bund, Länder und Kommunen

Hintergrund sind die hohen Ausgaben von Bund, Ländern und Kommunen für die Ruhestandsgelder von Beamten. Laut Statistischem Bundesamt gab es Stand 1. Januar 2022 mehr als 1,38 Millionen Pensionärinnen und Pensionäre. Im Schnitt bezogen sie ein durchschnittliches Ruhegehalt von 3.170 Euro brutto im Monat (2021: 3.160 Euro). Die Ausgaben für Pensionen bezifferten sich laut Destatis auf 52,5 Milliarden Euro, was rund 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes entspricht. Hinzu gesellten sich 8,2 Milliarden Euro für die Hinterbliebenen-Versorgung. Ausgaben für Beihilfen sind hierbei noch gar nicht eingerechnet. Die Versorgung wird aus Steuermitteln finanziert.

Der Schuldienst der Bundesländer stellt hierbei die größte Gruppe an Ruhegehalts-Empfängern. Auf ihn entfielen 33,1 Prozent aller Pensionärinnen und Pensionäre. Es folgen ehemalige Beamtinnen und Beamte der Deutschen Bundesbahn und der Post als zweitgrößter Gruppe (20,9 Prozent). Dass sich die Zahl der Pensionärinnen und Pensionäre in den Jahren zwischen 2000 und 2020 um 53,9 Prozent erhöht hat, ist laut der Statistikbehörde eine Folge davon, dass in den 1960er- und 1970er-Jahren viele Lehrerinnen und Lehrer eingestellt worden seien.

Doch damit nicht genug: Es droht bereits die nächste Pensionierungswelle, da auch in den 80er Jahren viele Menschen verbeamtet wurden. Doch bestehende Pensionsansprüche könnten nicht mehr beschnitten werden, erklärt Raffelhüschen. „Das wäre ein Eingriff in Eigentumsrechte, der verfassungsrechtlich ausgeschlossen ist“, sagt der Ökonom dem „Merkur“. Und weiter: "Wir könnten aber damit aufhören, bestimmte Berufsgruppen wie Lehrer zu verbeamten. Sie könnten in Zukunft als Angestellte arbeiten und damit in die Rentenkasse einzahlen“. Dass dies funktioniere, hätten andere europäische Staaten vorgemacht.

Fehlen künftig bis zu 158.000 Lehrkräfte?

Bernd Raffelhüschens Vorschlag trifft aber auf eine Situation, in der die Bundesländer händeringend nach neuen Lehrerinnen und Lehrern suchen. Denn die Demografie wirkt sich auch auf den Lehrerberuf aus. Wie viele Lehrer fehlen, darüber gehen die Zahlen weit auseinander:

Laut einer Studie des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) könnten bis 2035 bis zu 158.000 Lehrkräfte in Deutschland fehlen. Der Verband kritisiert eine Studie der Kultusministerkonferenz (KMK), die im selben Zeitraum anhand einer eigenen Analyse aber immer noch von 23.800 fehlenden Lehrkräften ausgeht. Ein Vorwurf der Lehrergewerkschaft an die Kultusministerkonferenz: Sie würde von einer unrealistisch hohen Zahl an Lehramts-Absolventinnen und Absolventen ausgehen, die aktuell überhaupt nicht zur Verfügung steht. Auch seien Angebote wie Ganztags-Schulen und pädagogische Maßnahmen für Inklusion gar nicht berücksichtigt.

Fakt ist: Schon heute fehlt vielerorts Lehrpersonal. Nach Angaben der Kultusministerien der Länder sind momentan mehr als 12.000 Lehrerstellen unbesetzt, wie eine Umfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) ergab. Allein im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen würden demnach mehr als 8.000 Pädagogen fehlen. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, nannte die Zahlen geschönt. Seiner Einschätzung nach liegt die Zahl der unbesetzten Lehrerstellen in Deutschland zwischen 32.000 und 40.000. Laut Meidinger würden in vielen Bundesländern zu Beginn des Schuljahres viele Angebote je nach Lehrermangel gestrichen, sodass der Bedarf nur auf Papier gedeckt sei. Auch kämen in den Schulen viele Eltern und Nicht-Pädagogen zum Einsatz, die dann Unterrichtsstunden übernehmen.

Dass Handlungsbedarf besteht, hat auch die Politik erkannt. In der letzten Woche hat die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) ein Gutachten vorgestellt, wie dem aktuellen Lehrermangel Abhilfe geschafft werden kann. Die Vorschläge sorgten bei Lehrerverbänden für Wut und Entsetzen: Teilzeit für Lehrer solle eingeschränkt werden, die Klassen sollen deutlich vergrößert werden, Lehrer sollen länger arbeiten. Und Pensionärinnen und Pensionäre sollen aus dem Ruhestand zurückgeholt werden. Einen „Schlag ins Gesicht der Lehrerinnen und Lehrer“, nannte Michael Jung, Landesvorsitzender des Lehrerverbandes Sachsen, die Vorschläge. Diese seien kontraproduktiv: nicht nur würden die vorgeschlagenen Maßnahmen die Lernqualität verschlechtern. Der Lehrerberuf werde auch unattraktiver - mehr Lehrerinnen und Lehrer könnten sich aus dem Schuldienst verabschieden.

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Denn ohnehin sind in den letzten Jahren immer mehr Bundesländer dazu übergegangen, Lehrkräfte nicht mehr oder nur noch selten zu verbeamten. Das führte auch zu einer Spaltung in den Klassenzimmern: auf der einen Seite gut verdienende Beamte. Und auf der anderen Seite Lehrerinnen und Lehrer, die deutlich weniger verdienen und teils auf Abruf unterrichten. Zu Beginn der Sommerferien 2022 haben sich bundesweit rund 5.700 Lehrkräfte arbeitslos gemeldet, wie aus Zahlen der Bundesagentur für Arbeit hervorgeht. Um den Lehrerberuf wieder attraktiver zu machen und mehr Lehramts-Studenten zu gewinnen, haben Expertenkommissionen in Sachsen und Berlin gerade einen Vorschlag unterbreitet: mehr Lehrkräfte sollen künftig wieder verbeamtet werden.

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