Anfang Juni 2021 hatte der Wissenschaftliche Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) ein Gutachten vorgelegt, das dem deutschen Rentensystem attestiert, in einer Sackgasse zu stecken (Versicherungsbote berichtete). Eine von mehreren Schrauben an denen die Politik drehen müsse, um aus dieser ‚Sackgasse‘ herauszukommen, sei es unter anderem, das Renteneintrittsalter zu erhöhen. Andernfalls müssten die Bundeszuschüsse noch weiter steigen.

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Bereits 2019 flossen knapp 26 Prozent des Bundeshaushalts in die Rentenversicherung. Sollen die Haltelinien beim Rentenniveau und beim Beitrag Bestand haben, müsste der Bund bis 2040 etwa 44 Prozent seines Etats zuschiessen. Bis 2060 sogar über 55 Prozent. „Das würde den Bundeshaushalt sprengen und wäre auch mit massiven Steuererhöhungen nicht finanzierbar“, sagte Prof. Klaus M. Schmidt (LMU München), Vorsitzender des Beirats anlässlich der Vorlage des Gutachtens. „Die jüngere Generation muss wissen, mit welcher gesetzlichen Rente sie in Zukunft rechnen kann.“, forderte Schmidt. Da sich die Finanzierungsprobleme schon in wenigen Jahren dramatisch zuspitzen werden, müsse zügig gehandelt werden.

Kritik an Gutachten

Auf das Gutachten folgte heftige Kritik aus der Politik und von Gewerkschaften. „Die Mär von einer nicht mehr finanzierbaren gesetzlichen Rente, die Professor Axel Börsch-Supan als Autor des Gutachtens für das Bundeswirtschaftsministerium seit Jahren faktenfrei in die Welt posaunt, ist ausgemachter Blödsinn. Der Beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung liegt mit 18,6 Prozent auf dem niedrigsten Stand seit 1993“, sagte Matthias W. Birkwald, Rentenexperte der Linke. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) schoss gegen das Gutachten des Beirats. Anja Piel, DGB-Vorstandsmitglied, sagte gegenüber der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, dass es sich bei dem Gutachten um politische Propaganda handeln würde. Der Beirat wolle „Renten drastisch kürzen, Sozialstaat abbauen und Alterssicherung privatisieren; all das, um Arbeitgeber massiv zu entlasten“.

Der rentenpolitische Sprecher der CDU, Peter Weiß, wieß darauf hin, dass die Anhebung auf das Renteneintrittsalter von 67 Jahren noch nicht abgeschlossen sei. "Bevor man sich den Überlegungen einer Rente z.B. mit 68 oder 70 Jahren widmet, muss man erst die Erfahrungen mit der Rente ab 67 Jahren auswerten, die gerade erst schrittweise bis 2030 eingeführt wird. Als Ergebnis der Anhebung der Regelaltersgrenze wird es im Jahr 2031 dann die erste „echte“ Rente mit 67 geben.", erklärte Weiß.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sprach von einem Horrorszenario, das dazu dienen solle, "Rentenkürzungen durchzusetzen, für die es in dieser Zeit keinen Anlass gibt". Zudem warf der Finanzminster den Wissenschaftlern vor in dem Gutachten falsch gerechnet zu haben. Die Vorschläge seien "unsozial", so Scholz.

Jeder Fünfte erlebt nicht die Rente

Während auf der einen Seite über ein höheres Renteneintrittsalter debattiert wird, belegen aktuelle Zahlen der Bundesregierung, dass schon heute knapp jeder Sechste Bundesbürger vor Erreichen des Renteneintrittsalters verstirbt. So hatten 2019 rund 17 Prozent aller Verstorbenen das 67. Lebensjahr nicht erreicht, 14,4 Prozent erlebten sogar ihr 65. Jahr nicht mehr. Knapp 19,8 Prozent aller Verstorbenen waren zudem jünger als 69 Jahre. Das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor.

Viele Beschäftigte werden auch künftig das reguläre Renteneintrittsalter nicht erreichen. Dabei wünschen sich viele Bundesbürger einen frühen Ruhestand. Das zeigen die Ergebnisse einer Umfrage der LV 1871. Demnach geben immerhin 70,2 Prozent an, spätestens mit 60 in Rente gehen zu wollen. Zudem habe die Bevölkerung in Deutschland tendenziell ein hohes Sicherheitsbedürfnis, vertraue dem Sozialstaat und glaube daran, dass Arbeit sich auszahlt und der Generationenvertrag aufgeht. 65,8 Prozent der Befragten beziehen ihr Einkommen aus einem Angestellten-Verhältnis. Nur 15 Prozent nennen auch Geldanlagen und Kredite als Einnahmequelle. Auf Immobilien setzen 16 Prozent der Befragten.

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„Die Mehrheit verlässt sich auf die vermeintliche Sicherheit der Festanstellung und die staatliche Altersvorsorge. Das steht im Gegensatz zur langfristigen Entwicklung unserer Gesellschaft in Zeiten des demographischen Wandels: Der Sozialstaat baut derzeit ab, langfristig tragende Lösungen sind nicht in Sicht, die Lebenserwartung steigt und der Generationenvertrag wackelt. Gleichzeitig boomt der Kapitalmarkt. Die Bundesbürger müssen aufhören, sich auf den Staat zu verlassen, der nicht mehr als die Grundsicherung garantieren kann. Sie müssen anfangen, anders zu denken und Risiko nicht mit Verlust gleichzusetzen, sondern mit Rendite. Wir verfügen in Deutschland über ein breites Anlage-, Vorsorge- und Absicherungsspektrum. Damit hat jeder Einzelne viele Möglichkeiten und Hebel, um sich finanziell besser aufzustellen. Dabei können und müssen nur das eigene Risikoempfinden und die eigene Lebensplanung berücksichtigt werden.“, sagt LV 1871 Vorstand Hermann Schrögenauer.

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