Wiltrud Pekarek: Meiner Meinung nach hängt der Erfolg des Direktvertriebs sehr stark von der emotionalen und technischen Qualität der Kundenansprache und der intuitiven Bedienung digitaler Antragsprozesse ab. Der individuelle Beratungsbedarf der Kunden muss befriedigt werden. In der Krankenzusatzversicherung setzen sich reine Online-Abschlussprozesse immer mehr durch. Einfache Produktgestaltungen sind dabei wichtig. In der Beratung von privaten Vollversicherungen und in der BU dagegen ist für eine bedarfsgerecht Beratung der Kunden fundiertes Fachwissen und ein guter Marktüberblick wichtig. So sind derzeit für die Beratung einer Durchschnittsfamilie durchaus zweieinhalb bis drei Stunden zu veranschlagen. Diese Beratungen finden zunehmend virtueller statt. Die Einfachheit von Produkten stößt in den beratungsintensiven Segmenten an Grenzen. Die Abdeckung der individuellen Bedarfe erfordert zwangsläufig eine höhere Vielfalt und damit auch Komplexität in den Produkten.

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Ein wichtiges Zukunftsthema ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz auch bei der Kalkulation von Tarifen. Rein theoretisch erlaubt sie es, individuelle Risiken noch genauer zu ermitteln und sogar in Echtzeit abzubilden – Kritiker warnen, dass darunter der Solidaritätsgedanke leidet. Haben Sie bei der Alten Leipziger-Hallesche bereits Erfahrung damit? Wo sehen Sie Chancen und Risiken?

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz ist sehr vielfältig und setzt immer eines voraus: Daten. Bisher setzen wir in der Risikoprüfung sehr ausgereifte Risikoprüfungssyteme ein, die auf den im Antrag gemachten Angaben basieren. Dass Künstliche Intelligenz in Verbindung mit weitergehender Verwendung persönlicher Daten den Solidaritätsgedanken untergraben könnte, sehe ich auch. Es könnte sein, dass mehr Menschen der Zugang zu einer Versicherung verwehrt würde. Künstliche Intelligenz bietet aber auch große Chancen, neue Versicherungsformen zum Beispiel. Außerdem könnten die Prüfprozesse deutlich beschleunigt werden – zum Beispiel über heute schon verfügbare Künstliche Intelligenz, die über die Smartphonekamera aktiviert wird. Der Abschluss einer Versicherung würde dadurch für den Kunden emotional zu einem ganz anderen Erlebnis als bisher.

Aktuell wird über Quoten für Frauen in Vorständen diskutiert. Laut einer Studie des IAB werden in der Finanz- und Versicherungsbranche nur 16 Prozent der Vorstandsposten von Frauen gehalten. Das ist selbst im Vergleich mit anderen Branchen unterdurchschnittlich. Was sind – aus Ihrer Sicht als langjährige Vorständin – die Ursachen hierfür? Und wie positionieren Sie sich zu einer Quote?

Der Versicherungswelt waren bislang eher hierarchisch geprägte, machtvolle Strukturen bekannt, in denen sich Frauen vielleicht schwerer getan haben. Der digitale Wandel wird auch in der Versicherungswirtschaft von kulturellen Entwicklungen begleitet. Ein neues Verständnis von Führung und Zusammenarbeit entsteht. Werte wie zum Beispiel Offenheit, Verantwortung und Wertschätzung werden besprochen und prägen die Arbeitsplatzkultur. Ein derartiges Umfeld bietet Frauen mehr Raum, ihr Können in den obersten Führungsetagen zur Entfaltung zu bringen. Als ich 2004 in den Vorstand der Hallesche gekommen bin, war ich weit und breit die einzige Frau. Das ist heute nicht mehr so und das begrüße ich sehr. Eine Quote sehe ich persönlich eher skeptisch. Welche Frau wollte denn eine Quotenfrau sein? Ich nicht! Andererseits ist es schon so, dass alleine durch die Quotendiskussion Bewegung in das Thema gekommen ist.


 In diesem Jahr ist Bundestagswahl. Was wünschen Sie sich von der neuen Bundesregierung mit Blick auf Deutschland als Versicherungsstandort?

Gerade die Corona-Pandemie hat die überragende Leistungsfähigkeit unseres dualen Gesundheitssystems sehr deutlich aufgezeigt. Europäische Nachbarländer mit einer Einheitsversicherung stießen sehr schnell an ihre Grenzen mit schlimmen Auswirkungen für die Erkrankten. Auch deshalb sollten Überlegungen hin zu einer Einheitsversicherung dort bleiben, wo sie derzeit richtigerweise sind: In der politischen Mottenkiste.

Im Interesse der Verbraucher ist eine Änderung in den Mechanismen der Beitragsanpassung. Die SPD blockiert dieses Vorhaben bis dato. Wir wünschen uns, dass sich das ändert. Bei einer Pflege-Reform sollte die neue Bundesregierung darauf achten, dass die Forderung nach mehr Steuerfinanzierung in der Pflege nicht zu einer Abkehr von der privaten Vorsorge führt. Die nachfolgenden Generationen wären die großen Verlierer.

Gespannt sind wir, ob das Sozialpartnermodell der bAV 2021/22 an Fahrt aufnimmt und ob sich die Politik zu einer Überarbeitung der Riester-Produkte durchringt. Auch in der bAV gibt es Reformbedarf hinsichtlich der Beitragszusage mit Mindestleistung. Und ich wünsche mir eine Regulierung mit Augenmaß, die genügend Zeit für die Umsetzung der komplexen Vorhaben in den Unternehmen gibt.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig

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