Versicherungsbote: Frau Pekarek, wie ist die Alte Leipziger-Hallesche bisher durch die Corona-Krise gekommen?

Anzeige

Wiltrud Pekarek: Zu Beginn der Corona-Pandemie haben wir nicht damit gerechnet, dass wir heute auf ein starkes Jahr 2020 zurückblicken dürfen. In der Lebensversicherung hatten wir ein sehr gutes Neugeschäft. Gerade bei der Anfang 2020 eingeführten neuen Berufsunfähigkeitsversicherung war der vertriebliche Erfolg groß: Der Antragseingang wuchs im Vergleich zum Vorjahr um über 30 Prozent. Auch in der betrieblichen Krankenversicherung sind wir erneut sehr deutlich gewachsen. Unsere sehr guten Produkte sind auf Menschen getroffen, die sich stärker auf das Thema Sicherheit rückbesonnen haben. Das Bewusstsein in der Bevölkerung für Gesundheit und Vorsorgethemen ist gestiegen.

Wie stark wird sich Corona grundsätzlich auf die privaten Kranken- und Lebensversicherer auswirken? Erwarten Sie, dass die Krise die ohnehin vorhandenen Probleme – Niedrigzins und ein schwächelndes Neugeschäft – verschärft? Kann die Krise vielleicht auch eine Chance sein?

In einigen Bereichen - Auslandsreiseversicherungen zum Beispiel - leidet das Neugeschäft natürlich. In anderen prosperiert es. Corona wirkt in den Sparten unterschiedlich. Insgesamt ist die Branche stabil und die ALH Gruppe ist auch im Pandemiejahr 2020 gewachsen. Gesundheitspolitik war in der Geschichte der Bundesrepublik nie so bedeutsam wie heute. Die Menschen beschäftigen sich mehr mit der Frage nach der eigenen Absicherung der Gesundheit oder des Einkommens. Das ist eine Chance. Die Absicherung biometrischer Risiken, also Tod, Berufs- und Erwerbsunfähigkeit sowie Langlebigkeit, ist auch vor dem Hintergrund reduzierter Zinsgarantien von herausragender Bedeutung. Die anhaltenden Niedrigzinsen machen Vorsorge auf Dauer zwar anspruchsvoller, aber nicht weniger bedeutsam – im Gegenteil. Auch hat sich die demografische Entwicklung unserer Bevölkerung durch Corona nicht verändert. Die nachhaltige, generationengerechte Finanzierung der Gesundheitsleistungen bleibt elementar. Wir müssen uns, wie im Übrigen auch schon vor Corona, auf neue Situationen einstellen. Dies erfordert, dass die Politik Änderungen zulässt, zum Beispiel bei Riester-Renten oder den Mechanismen für die Beitragsanpassung in der PKV.

Die Allianz als größter deutscher Versicherer hat angekündigt, auch nach der Coronakrise rund ein Viertel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Homeoffice zu lassen - und damit auch Büroräume einzusparen. Welche Erfahrungen haben Sie (als Versicherer, gern auch persönlich) mit Homeoffice gemacht? Gibt es in Ihrem Haus ähnliche Pläne?

Derzeit arbeiten etwa 80 Prozent unserer Mitarbeiter von zu Hause aus. Wir haben gute Erfahrungen mit dem Homeoffice gemacht. Unsere Mitarbeiter haben sich sehr flexibel gezeigt – und die Möglichkeit, von zuhause zu arbeiten, gut angenommen. In einer Zeit nach Corona werden wir sicherlich „hybrider“ arbeiten, das heißt, im Homeoffice wie auch im Unternehmen. Wir arbeiten derzeit an einer neuen Form der Arbeitsorganisation, befragen hierzu auch unsere Mitarbeiter und binden unsere Arbeitnehmervertreter mit ein. Wie für viele Führungskräfte war es für mich persönlich eine ganz neue Erfahrung, auf Distanz und viel digitaler zu führen.

Eine wesentliche Erkenntnis für mich: Virtuell ist viel mehr möglich, als wir gedacht hätten, allerdings nicht alles. Die Frage, wie Mitarbeiterbindung im virtuelleren Umfeld auf Dauer gelingen kann, beschäftigt mich dabei sehr. Dass lange Sitzungen und Lenkungsausschüsse am Bildschirm ganz schön anstrengend sein können, können wir, glaube ich, alle bestätigen. So eine kleine Yogarunde oder ein Lauf durchs Treppenhaus sind hilfreich, um wieder konzentriert dem Geschehen am Bildschirm folgen zu können.

Anzeige

"Stabile Beiträge sind in der BU zentral"

Wir wollen mit Ihnen über die Einkommensabsicherung sprechen. Berufsunfähigkeits-Policen sind noch immer nicht derart verbreitet, wie dies wünschenswert und notwendig wäre. Was sind aus Ihrer Sicht Gründe hierfür?

Wiltrud Pekarek: Im Schnitt hat jeder vierte Haushalt in Deutschland laut Statistischem Bundesamt eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Wer Kinder hat, setzt deutlich häufiger auf diesen Versicherungsschutz. Mehr als jedes zweite Paar mit Nachwuchs ist für den Fall einer Berufsunfähigkeit versichert. Die Zahlen belegen, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung zwar schon weit verbreitet, aber durchaus noch ausbaufähig ist. Fakt ist aber auch, dass aufgrund des Gesundheitszustands, der ausgeübten Hobbys oder des Berufs in manchen Fällen keine Berufsunfähigkeitsversicherung möglich ist. Außerdem können sich Kunden den Berufsunfähigkeitsschutz nicht immer leisten. Wir haben aber auch für diese Menschen ein Angebot, etwa die Erwerbsminderungsversicherung, und werden dieses weiter ausbauen.

Anzeige

In der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung wird selbst von Versicherungsmaklern die zunehmende Berufsgruppendifferenzierung kritisiert und ein Gegensteuern gefordert: weil Risikoberufe kaum bzw. sehr schwer einen bezahlbaren Schutz finden würden. Wie positionieren Sie sich als Mathematikerin und Aktuarin dazu?

Am Markt ist eine zunehmende Tendenz der Berufsgruppendifferenzierung zu beobachten. Die Berufsgruppen werden dabei nicht mehr nur nach kaufmännisch und körperlich Tätigen unterteilt, sondern es werden auch zusätzliche Merkmale wie Bildungsabschluss, Berufsausbildung, Personalverantwortung oder Raucherstatus berücksichtigt. Diese Vorgehensweise wird unserer Meinung nach dem individuellen Einzelfall gerechter und führt zu fairen und risikogerechten Preisen. Langfristig stabile Beiträge sind in der BU ganz zentral. Die Alte Leipziger hat sich von Assekurata als erster Versicherer in einem prospektiven Verfahren prüfen lassen und dabei sehr gut abgeschnitten.

Gewerkschaften und Verbraucherschützer fordern gar eine Rückführung der BU-Risiken in die Sozialversicherung: eben mit dem Argument, dass dieser existentiell wichtige Schutz zu vielen Berufstätigen verwehrt wird. Wie positionieren Sie sich dazu? Ist vielleicht sogar eine Initiative der Privatversicherer gefragt, um gewisse Fehlentwicklungen auszugleichen und dies zu verhindern?

Das ist aus meiner Sicht nicht sinnvoll. Die Mehrbelastung für die Sozialsysteme wäre enorm. Der private und betriebliche Berufsunfähigkeitsschutz weist eine außerordentlich hohe Qualität auf. Gerade auch, wenn man ihn mit dem staatlichen Erwerbsminderungsschutz vergleicht. Ich sehe das ähnlich wie in der Krankenversicherung: Wer die PKV abschafft, verschlechtert das Versorgungsniveau insgesamt. So wäre es auch mit der BU.

Wir sehen übrigens vor allem im Bereich der betrieblichen Altersversorgung gute Möglichkeiten, den Berufsunfähigkeitsschutz in der Bevölkerung weiter zu verbreiten. Wenn ein Unternehmen im Zusammenhang mit der bAV auch den BU-Schutz seiner Mitarbeiter ganz oder teilweise finanziert, ist das ein zusätzliches Zeichen der Wertschätzung und Fürsorge für die Arbeitnehmer und stärkt deren Bindung an das Unternehmen. Außerdem trägt ein solches Mitarbeiterangebot dazu bei, dass sich das Unternehmen als attraktiver Arbeitgeber im Wettbewerb um knappe Fachkräfte positioniert. Hinzu kommen handfeste finanzielle Vorteile und eine vereinfachte Gesundheitsprüfung bei Kollektivverträgen.

"Einheitsversicherung in die Mottenkiste"

Zunehmend werden Versicherungen online abgeschlossen. Gerade bei komplexen und beratungsintensiven Tarifen wie in der PKV oder BU, bei denen auch Gesundheitsfragen beantwortet werden müssen, ist das umstritten. Die Abschlusszahlen im Direktvertrieb sind hier noch gering. Halten Sie es für realistisch, dass sich der Direktvertrieb auch bei diesen Produkten stärker durchsetzt? Müssen die Tarife hierfür möglicherweise einfacher werden?

Wiltrud Pekarek: Meiner Meinung nach hängt der Erfolg des Direktvertriebs sehr stark von der emotionalen und technischen Qualität der Kundenansprache und der intuitiven Bedienung digitaler Antragsprozesse ab. Der individuelle Beratungsbedarf der Kunden muss befriedigt werden. In der Krankenzusatzversicherung setzen sich reine Online-Abschlussprozesse immer mehr durch. Einfache Produktgestaltungen sind dabei wichtig. In der Beratung von privaten Vollversicherungen und in der BU dagegen ist für eine bedarfsgerecht Beratung der Kunden fundiertes Fachwissen und ein guter Marktüberblick wichtig. So sind derzeit für die Beratung einer Durchschnittsfamilie durchaus zweieinhalb bis drei Stunden zu veranschlagen. Diese Beratungen finden zunehmend virtueller statt. Die Einfachheit von Produkten stößt in den beratungsintensiven Segmenten an Grenzen. Die Abdeckung der individuellen Bedarfe erfordert zwangsläufig eine höhere Vielfalt und damit auch Komplexität in den Produkten.

Ein wichtiges Zukunftsthema ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz auch bei der Kalkulation von Tarifen. Rein theoretisch erlaubt sie es, individuelle Risiken noch genauer zu ermitteln und sogar in Echtzeit abzubilden – Kritiker warnen, dass darunter der Solidaritätsgedanke leidet. Haben Sie bei der Alten Leipziger-Hallesche bereits Erfahrung damit? Wo sehen Sie Chancen und Risiken?

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz ist sehr vielfältig und setzt immer eines voraus: Daten. Bisher setzen wir in der Risikoprüfung sehr ausgereifte Risikoprüfungssyteme ein, die auf den im Antrag gemachten Angaben basieren. Dass Künstliche Intelligenz in Verbindung mit weitergehender Verwendung persönlicher Daten den Solidaritätsgedanken untergraben könnte, sehe ich auch. Es könnte sein, dass mehr Menschen der Zugang zu einer Versicherung verwehrt würde. Künstliche Intelligenz bietet aber auch große Chancen, neue Versicherungsformen zum Beispiel. Außerdem könnten die Prüfprozesse deutlich beschleunigt werden – zum Beispiel über heute schon verfügbare Künstliche Intelligenz, die über die Smartphonekamera aktiviert wird. Der Abschluss einer Versicherung würde dadurch für den Kunden emotional zu einem ganz anderen Erlebnis als bisher.

Aktuell wird über Quoten für Frauen in Vorständen diskutiert. Laut einer Studie des IAB werden in der Finanz- und Versicherungsbranche nur 16 Prozent der Vorstandsposten von Frauen gehalten. Das ist selbst im Vergleich mit anderen Branchen unterdurchschnittlich. Was sind – aus Ihrer Sicht als langjährige Vorständin – die Ursachen hierfür? Und wie positionieren Sie sich zu einer Quote?

Der Versicherungswelt waren bislang eher hierarchisch geprägte, machtvolle Strukturen bekannt, in denen sich Frauen vielleicht schwerer getan haben. Der digitale Wandel wird auch in der Versicherungswirtschaft von kulturellen Entwicklungen begleitet. Ein neues Verständnis von Führung und Zusammenarbeit entsteht. Werte wie zum Beispiel Offenheit, Verantwortung und Wertschätzung werden besprochen und prägen die Arbeitsplatzkultur. Ein derartiges Umfeld bietet Frauen mehr Raum, ihr Können in den obersten Führungsetagen zur Entfaltung zu bringen. Als ich 2004 in den Vorstand der Hallesche gekommen bin, war ich weit und breit die einzige Frau. Das ist heute nicht mehr so und das begrüße ich sehr. Eine Quote sehe ich persönlich eher skeptisch. Welche Frau wollte denn eine Quotenfrau sein? Ich nicht! Andererseits ist es schon so, dass alleine durch die Quotendiskussion Bewegung in das Thema gekommen ist.


 In diesem Jahr ist Bundestagswahl. Was wünschen Sie sich von der neuen Bundesregierung mit Blick auf Deutschland als Versicherungsstandort?

Gerade die Corona-Pandemie hat die überragende Leistungsfähigkeit unseres dualen Gesundheitssystems sehr deutlich aufgezeigt. Europäische Nachbarländer mit einer Einheitsversicherung stießen sehr schnell an ihre Grenzen mit schlimmen Auswirkungen für die Erkrankten. Auch deshalb sollten Überlegungen hin zu einer Einheitsversicherung dort bleiben, wo sie derzeit richtigerweise sind: In der politischen Mottenkiste.

Im Interesse der Verbraucher ist eine Änderung in den Mechanismen der Beitragsanpassung. Die SPD blockiert dieses Vorhaben bis dato. Wir wünschen uns, dass sich das ändert. Bei einer Pflege-Reform sollte die neue Bundesregierung darauf achten, dass die Forderung nach mehr Steuerfinanzierung in der Pflege nicht zu einer Abkehr von der privaten Vorsorge führt. Die nachfolgenden Generationen wären die großen Verlierer.

Gespannt sind wir, ob das Sozialpartnermodell der bAV 2021/22 an Fahrt aufnimmt und ob sich die Politik zu einer Überarbeitung der Riester-Produkte durchringt. Auch in der bAV gibt es Reformbedarf hinsichtlich der Beitragszusage mit Mindestleistung. Und ich wünsche mir eine Regulierung mit Augenmaß, die genügend Zeit für die Umsetzung der komplexen Vorhaben in den Unternehmen gibt.

Anzeige

Die Fragen stellte Mirko Wenig

Seite 1/2/3/

Anzeige