Die Bundesregierung hat am Donnerstag die sogenannte Grundrente durch den Bundestag gebracht - nach monatelangem Streit, bei dem sogar ein Auseinanderbrechen der Großen Koalition drohte. Am Freitag soll nun der Bundesrat über den Gesetzentwurf abstimmen. Gibt die Länderkammer ihr Okay, kann das Gesetz wie geplant zum 1. Januar 2021 in Kraft treten.

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Mit der Grundrente will die Bundesregierung die Altersbezüge langjähriger Geringverdiener aufbessern. Anspruch soll haben, wer mindestens 33 Jahre an Beitragszeiten für Beschäftigung, Erziehung oder Pflege vorweisen kann. Im Bundestag votierten die Fraktionen von Union und SPD für das Projekt, während sich Linke und Grüne enthielten. Dagegen stimmten FDP und AfD.

Schwieriger Kompromiss

Der aktuelle Gesetzentwurf ist ein Kompromiss, nachdem speziell die Unionsparteien lange ihre Zustimmung zur Grundrente verweigert hatten. Der Grund: Die Finanzierung ist noch weitgehend unklar.

Immerhin 1,3 bis 1,6 Milliarden Euro pro Jahr soll das Reformvorhaben kosten, so Schätzungen der Bundesregierung. Hierbei eingerechnet hatte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) auch die Transaktionssteuer: eine Umsatzsteuer auf Devisen, Aktien, Anleihen sowie den Handel mit Derivaten. Doch ob diese kommt, ist ungewiss: das Gesetzvorhaben steckt auf EU-Ebene fest.

Auch verlangten die Unions-Fraktionen lange eine Bedarfsprüfung: nur wer finanzielle Not leide, solle die Extrarente bekommen. Die SPD aber beharrte darauf, dass die Grundrente eine Anerkennung für die Arbeitsleistung sei: Den Betroffenen folglich der beschämende Weg zum Sozialamt erspart bleiben solle. Stattdessen soll es nun eine Einkommensprüfung geben, wofür sich Rententräger und Finanzamt untereinander abstimmen sollen.

Die SPD begrüßt den nun gefundenen Kompromiss mit CDU und CSU. "Es geht um eine Richtungsentscheidung für unser Land“, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in der Bundestags-Debatte. Bei der Grundrente gehe es nicht darum, Almosen zu verteilen, erklärte Heil. Es gehe um den Wert der Arbeit und der täglichen Leistung. Denn viele Menschen mit geringem Einkommen erlebten, dass die soziale Mitte für sie nicht erreichbar sei. „Hier ist gesellschaftliches Vertrauen verloren gegangen.“

"Kein Mensch weiß, ob er Grundrente bekommt!"

Kritik kam erwartungsgemäß von der Opposition. "Kein Mensch weiß, ob er oder sie die Grundrente bekommt und wenn ja, wieviel", sagte Markus Kurth, rentenpolitischer Sprecher von Bündnis 90 / Die Grünen. Er kritisierte, dass Zeiten von Arbeitslosigkeit und Erwerbsminderung nicht für die Grundrente zählten. „Das finde ich ausgesprochen fatal“, sagte Kurth. Er erwarte, dass es massenweise Enttäuschungen geben werde.

Ähnlich äußerte sich die Linke, die eine Anhebung der Löhne und ein höheres Rentenniveau forderte. Der rentenpolitische Sprecher Matthias Birkwald warf der Union vor, aus einem ursprünglich guten Gesetzentwurf „nach einem Jahr Sperrfeuer ein bürokratisches Monster“ gemacht zu haben. Die angedachte Einkommensprüfung sei „haarsträubend kompliziert und beschämend“.

Der FDP-Rentenexperte Johannes Vogel sprach von einer „sozialpolitischen Irrfahrt“. „Diese Grundrente hilft zu wenig gegen Altersarmut“, sagte er. Gleichzeitig würden viele neue Ungerechtigkeiten geschaffen. Vogel rechnete vor, dass durch die Grundrente unverhältnismäßig hohe Verwaltungskosten entstünden: Diese beziffern sich nach Berechnungen der Liberalen auf 13 Prozent, während die Grundrente-Zahlungen nur 1,2 Prozent aller Rentenleistungen ausmachen würden.

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Die AfD hält die Grundrente sogar für verfassungswidrig und kann sich dabei auf ein Gutachten der arbeitgebernahen Lobby-Organisation Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) stützen. „Das Konzept der Grundrente ist zu teuer, sozial wirkungslos und belastet die folgenden Generationen“, sagte die Abgeordnete Ulrike Schielke-Ziesing. Laut Gutachten verletzt die Grundrente unter anderem das Äquivalenzprinzip nach Artikel 3 Absatz 1 und 2 GG, wonach (Renten)Beitrag und Leistung im Verhältnis stehen müssen.

Einkommensprüfung: Einkommensfreibetrag regelt Obergrenzen

Den vollen Aufschlag erhalten nach dem aktuellen Gesetzentwurf nur diejenigen, deren monatliches Einkommen als Rentner bei maximal 1.250 Euro (Alleinstehende) beziehungsweise bei 1.950 Euro (Eheleute und Lebenspartner) liegt. Wenn das Einkommen darüber hinausgeht, wird die Grundrente ganz oder vollständig darauf angerechnet. Dieser sogenannte Einkommensfreibetrag soll jährlich angepasst werden. Er bezieht sich auf das zu versteuernde Einkommen (Gehalt, Renten, Betriebsrenten, Miet­einkünfte) inklusive der zu versteuernden Kapitalerträge.

Beim Einkommensfreibetrag gelten folgende Grenzen:

  • Liegt das Einkommen zwischen 1.250 Euro und 1.600 Euro bei Alleinstehenden, werden 60 Prozent des Einkommens-Anteils auf die Grundrente angerechnet, der den Maximalbetrag von 1.250 Euro übersteigt. Bei Paaren und Lebenspartnern liegt dieser Korridor zwischen 1.950 und 2.300 Euro.
  • Über­steigt das Einkommen bei Allein­stehenden 1.600 Euro und bei Paaren 2.300 Euro, wird das Einkommen zu 100 Prozent auf die Grundrente ange­rechnet.

Deutliche Verzögerungen

Genau diese komplizierte Einkommensprüfung ist es auch, weshalb Rentnerinnen und Rentner mit kleinem Geldbeutel nicht pünktlich zum 1. Januar 2021 auf die Grundrente hoffen dürfen. Rentenversicherungs-Träger und Finanzämter müssen die Daten miteinander abstimmen, möglichst automatisch. Hierfür fehlen tausende Mitarbeiter und die notwendigen IT-Strukturen, so hatte die Deutsche Rentenversicherung Bund in einer Stellungnahme selbst zu bedenken gegeben. Mit Konsequenzen:

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Auszahlungen an anspruchsberechtigte Neurentner soll es nach den jüngsten Vereinbarungen in der Koalition erst ab Juli 2021 geben, berichtet die "Rheinische Post" aus Koalitionskreisen. Wer bereits Bestandsrentner sei, werde bis spätestens Ende 2022 warten müssen. Das Geld wird dann rückwirkend nachgezahlt.

Wer lange in Minijobs steckte, geht leer aus

Eine weitere Krux aus Sicht vieler Altersrentner: Nur wer über einen längeren Zeitraum einen ausreichend hohen Lohn erhielt und entsprechende Entgeltpunkte in der Rentenkasse sammelte, ist anspruchsberechtigt. Es sollen "diejenigen Personen keine Grundrente erhalten, deren Arbeitsentgelte häufig lediglich die Bedeutung eines ergänzenden Einkommens hatten, wie dies insbesondere bei ,Minijobbern‘ der Fall ist. Um die Zielgenauigkeit der Grundrente zu erhöhen, soll daher ein Anspruch auf die Grundrente nur dann bestehen, wenn ein Entgelt von mindestens 30 Prozent des Durchschnittsentgelts versichert worden ist“, heißt es im Gesetzentwurf.

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