Der Verklagte: Einbruchsopfer oder Betrüger?

Schlimm klingt, was einem Mann im August 2017 widerfahren sein soll. Demnach machten sich Diebe die Behinderung des Mannes schamlos für einen Einbruch zunutze – der Mann leidet an einer schweren Form der Bluterkrankheit sowie Gelenkarthrosen. Nach eigenen Angaben kehrte der Mann aus einer Eisdiele in seine Wohnung zurück. Als er aber die Tür schließen wollte, habe etwas gegen die Tür geschlagen, so dass der Mann gestürzt sei. In der Folge habe eine Person dem Gestürzten Pfefferspray in die Augen gesprüht. Daraufhin seien mehrere Menschen in die Wohnung eingedrungen, um Luxusgegenstände im Wert von über 10.000 Euro zu entwenden. Auch Bargeld in Höhe von 1.400 Euro nahmen die Täter als Beute mit.

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Ein Vorfall, für den die Hausratversicherung schnell 10.000 Euro an das angebliche Opfer zahlte. Denn normalerweise ist die Allgemeinen Hausrat bei einem solchen Vorfall in der Einstandspflicht – sie leistet gemäß den Allgemeine Hausrat-Versicherungsbedingungen (VHB) auch für „Einbruchdiebstahl, Vandalismus nach einem Einbruch sowie Raub oder den Versuch einer solchen Tat“.

Dem Versicherer freilich kamen bald Zweifel. Denn ist es glaubhaft, dass der Mann schon 17:00 Uhr sein Softeis kaufte, aber erst um 19:00 Uhr von der Polizei aufgefunden wurde – allerdings mit dem zwei Stunden zuvor gekauften Eis? Und ist es glaubhaft, dass genau zum Tag des Einbruchsdiebstahls – zufällig – die hohe Summe Bargeld vom Konto der Mutter des Betroffenen abgehoben wurde und zum Diebesgut wurde?

Der Versicherer sah sich nun selbst als Opfer eines vorgetäuschten Versicherungsfalls und behauptete, er habe ohne rechtlichen Grund geleistet. Deswegen forderte der Hausratversicherer auch die Rückzahlung der 10.000 Euro und berief sie hierbei auf den Herausgabeanspruch nach Paragraph 812 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Freilich: Der angeblich bestohlene Mann wollte die erhaltene Summe nicht zurückzahlen. Also ging der Versicherer vor Gericht.

Jedoch: Nachdem bereits das Landgericht (LG) Leipzig die Klage abwies (Az. 3 O 3357/18), wies nun auch das Oberlandesgericht (OLG) Dresden mit Urteil vom 14.01.2020 die Berufung zurück (Az. 4 U 1245/19). Eine Revision gegen die Entscheidung wurde nicht zugelassen.

Begriff „Vorauszahlung“ erklärt keinen Vorbehalt

Warum aber die deutliche Niederlage des Hausratversicherers vor Gericht durch zwei Instanzen? Könnte man doch meinen: Aufgrund des geschilderten Vorfalls sind Zweifel des Versicherers durchaus angebracht. Die Krux aber liegt an der Beweislast für den Rückforderungsprozess. Denn selbst, wenn Zweifel nicht endgültig ausgeräumt werden können, gehen sie bei Rückforderung einer geleisteten Schadensumme zulasten des Versicherers. Sobald ein Versicherer leisten soll, ohne dass ihm schon alle Umstände des angezeigten Versicherungsfalls bekannt sind, werden so die hohen gesetzlichen Anforderungen zum Problem.

Die Versicherer versuchen sich zwar dadurch abzusichern, dass sie nur unter Vorbehalt leisten. So wollte auch der Hausratversicherer vor Gericht geltend machen, er habe einen Vorbehalt mit Prüfung der Eintrittspflicht dem Grunde nach erklärt. Dies sei gegeben, weil er im Anerkennungsschreiben die Zahlung für den Einbruchsdiebstahl als “Vorauszahlung“ bezeichnete.

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Laut Oberlandesgericht Dresden aber kann keineswegs von einer wirksamen Vorbehaltserklärung aufgrund des Begriffs gesprochen werden. Schlimmer noch: „Vorauszahlung“ könnte sogar nahelegen, dass nur ein Vorschuss auf eine bestehende Verbindlichkeit geleistet wurde – als würden noch Zahlungen folgen.

Trotz Vorbehalt für Anerkenntnis: Beweislast liegt in der Regel beim Versicherer

Laut Gericht hat der Hausratversicherer mit seinem Schreiben einen wirksamen Vorbehalt der Prüfung seiner Eintrittspflicht dem Grunde nach nicht erklärt. Besteht aber überhaupt die Möglichkeit, über eine wirksame Vorbehaltserklärung die Beweislast umzukehren – so dass der Versicherungsnehmer beweisen muss, dass sich der Vorfall tatsächlich wie behauptet ereignete? Das Oberlandesgericht Dresden räumt immerhin die Möglichkeit ein. Denn eine Umkehr der Beweislast für den Versicherer könne „allenfalls dann angenommen werden, wenn der Versicherer ausdrücklich zu erkennen gegeben hat, dass er sich zum Grund der an ihn gestellten Forderung noch nicht abschließend äußern möchte.“ Weitere Ausführungen zu diesem Problem fehlen aber in den Urteilsgründen des Oberlandesgerichts Dresden.

Deswegen lohnt es sich, zusätzlich ein Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz mit Datum vom 14.01.2010 zurate zu ziehen (Az. 10 U 411/09). Demnach dient ein Vorbehalt „regelmäßig nur dazu, dem Verständnis der Leistung des Versicherers als Anerkenntnis entgegen zu treten und die Wirkung des Paragraphen 814 Bürgerliches Gesetzbuch auszuschließen“. Der Vorbehalt stellt so zwar sicher, dass ein Herausgabeanspruch nach Paragraph 812 BGB besteht – das Geleistete kann nämlich gemäß Paragraph 814 BGB nicht zurückgefordert werden, sobald der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war oder sobald die Leistung einer sittlichen Pflicht entsprach. Jedoch: Die Erklärung des Vorbehalts nimmt – selbst bei Wirksamkeit – den Versicherer nicht automatisch aus der Beweispflicht.

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Beweislast beim Versicherungsnehmer: Lediglich in Ausnahmefällen

Das Oberlandesgericht Koblenz führt hierzu aus: Lediglich in besonderen Ausnahmefällen kann davon ausgegangen werden, dass ein Rückforderungsvorbehalt dem Versicherungsnehmer die Beweislast für das Bestehen des Anspruchs aufbürdet. Als Beispiel nennt das Gericht die Vor-Leistung eines Unfallversicherers für die Absprengung eines Knochenstücks. Der Versicherer gewährte hier die Leistung unter dem deutlichen Vorbehalt, dass eine ärztliche Untersuchung a) die Beeinträchtigung als Unfallfolge auswies und b) eine Beeinträchtigung von mindestens 50 Prozent für die Mindestdauer von sechs Monaten bestätigt. Der Versicherungsnehmer musste nun tatsächlich einen ärztlichen Nachweis vorlegen, um zu beweisen, dass er Anspruch auf die gezahlten Leistungen hat. Die Regel aber ist: Die Beweislast liegt zunächst für Rückforderungen beim Versicherer.

Freie Beweiswürdigung des OLG zulasten des Versicherers

Hätte der Hausratversicherers zum Beispiel dem Oberlandesgericht Dresden einen wirksamen Vorbehalt präsentieren können, hätte das Gericht zunächst geprüft, ob der Ausnahmefall einer Beweislastumkehr vorliegt. So aber lag die volle Beweislast von vorn herein beim Versicherer. Deswegen gingen auch Zweifel der Beweiswürdigung zu seinen Lasten unter Grundlage der freien Beweiswürdigung durch das Gericht nach Paragraph 286 Zivilprozessordnung (ZPO):

  • Der Versicherer meinte, dass schon aufgrund der geschilderten Umstände kein Einbruchdiebstahl oder Raub gemäß den Allgemeine Hausrat-Versicherungsbedingungen (VHB) vorgelegen habe. Fehlten doch Aufbruchsspuren an den Schränken, aus denen die Diebe ihre Beute entwendet hätten. Laut Schilderung des angeblichen Opfers aber wurde ihm Pfefferspray in die Augen gesprüht und wurde ihm gedroht – deswegen gab er den Schlüssel zu den Schränken heraus. Ein ärztlicher Befund ergab auch tatsächlich, dass dem Mann Pfefferspray in die Augen gesprüht wurde. Somit hielt es das Oberverwaltungsgericht für plausibel genug, dass sich die Tat als Raub ereignet hat.
  • Der Versicherer wollte es im Sinne einer vorgetäuschten Straftat geltend machen, dass das mutmaßliche Einbruchsopfer erst eineinhalb Stunden nach dem behaupteten Überfall einen Notruf abgesetzt habe. Wegen der Schwerbehinderung des Betroffenen und einer eingeschränkten Sicht durch Pfefferspray in den Augen fand das Gericht dies allerdings "nicht so unplausibel, dass allein hieraus ein Indiz für das Vortäuschen einer Straftat abgeleitet werden könnte.“
  • Der Versicherer zweifelte aber auch an, dass das mutmaßliche Einbruchsopfer nach eigenen Schilderungen um 17:00 Uhr eine Eiswaffel gekauft habe, obwohl die Polizei den Verklagten erst um ca. 19:15 Uhr just mit dieser Waffel antraf. Das Gericht aber hielt dem Verklagten zugute, dass „auf die Zeitangaben von Opfern oder Zeugen einer Straftat, die durch das Tatgeschehen in eine Stresssituation versetzt werden, regelmäßig nur begrenzt Verlass ist, ohne dass sich hieraus aber ein Rückschluss auf ihre Wahrheitstreue ergäbe.“
  • Aus Sicht des Versicherers sprach es auch für eine vorgetäuschte Straftat, dass just am Tag des Überfalls das Opfer 1.400 Euro vom Konto der Mutter abhob, die dann zu zusätzlichem Diebesgut wurden. Ein Kontoauszug aber bewies die Barabhebung. Und die Behauptung des Mannes, er habe das Geld zur Barbezahlung von Lebensmitteln und eine Reise der Mutter gebraucht, konnte schlicht durch die Versicherung nicht glaubhaft widerlegt werden.

Weil dem klagenden Versicherer demnach der Beweis nicht gelungen ist, er habe ohne rechtlichen Grund geleistet, wurde die Berufung abgewiesen. Der Versicherer hat keinen Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Summe in Höhe von 10.000 Euro. Zudem trägt er nun noch die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist auf der Webseite der sächsischen Justiz – nach Eingabe des Aktenzeichens in die Suchleiste – verfügbar

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