Es mag paradox klingen, doch die Riester-Fondssparpläne des Start-ups Fairr sind aktuell nicht mehr in Aktienfonds und ETFs investiert. Wie die Wirtschaftswoche am Montag berichtet, haben die Berliner aus den Depots der Riester-Sparer alle entsprechenden Fondsanteile verkauft: ohne die Kundinnen und Kunden zu fragen. Das Geld sei komplett in Cash umgeschichtet worden, berichtet das Magazin. Mit einer Ausnahme: Die in Kundenportfolios enthaltenen Anleihenfonds werden weiterhin gehalten. Betroffen seien sämtliche Depots.

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Die Wirtschaftswoche zitiert aus einem Schreiben, das am Freitag an Kundinnen und Kunden verschickt wurde. Darin heißt es, „dass in der derzeitigen Phase mit großen Marktschwankungen im Rahmen des aufsichtsrechtlich vorgeschriebenen Risikomanagements das Risiko minimiert wird“. Um das Risiko besser steuern zu können, sei deshalb aus den Aktienmärkten in Cash umgeschichtet worden, „bis besser kalkulierbare Parameter wieder eine tragfähige Risikomodellierung erlauben“.

Die Sache mit den Garantien

Warum aber stößt Fairr ausgerechnet jetzt die Fondsanteile ab? Ein Problem ist die gesetzlich zugesicherte Bruttobeitragsgarantie bei Riester-Produkten. Die Anbieter müssen gewährleisten, dass zu Ruhestandsbeginn die eingezahlten Gelder der Sparer sowie staatliche Zulagen auf jeden Fall erhalten bleiben und in eine lebenslange Rente umgerechnet werden. Diese Beitragsgarantie ist mit vermeintlich sicheren Papieren wie z.B. langjährigen Staatsanleihen zu unterfüttern - auch das schreibt der Gesetzgeber vor.

Bei Riester-Fondssparplänen wird das Geld der Kundinnen und Kunden zum einen in Aktien und Fonds angelegt: so sollen sie von den Renditechancen an den Kapitalmärkten profitieren. Und zum anderen in festverzinsliche Papiere, die in Niedrigzins-Zeiten kaum etwas abwerfen, aber für die Beitragsgarantien unabdingbar sind.

Das Problem: Immer dann, wenn es an den Kapitalmärkten zu großen Schwankungen oder Kursstürzen kommt, wächst die Notwendigkeit Aktien abzustoßen. Dann reichen die Erträge aus vermeintlich sicheren Anleihen nicht mehr aus, um mögliche Verluste der Aktien abzufangen und die Garantien aufrecht zu erhalten. Folglich muss sehr schnell Geld umgeschichtet werden: im Zweifel zum Nachteil für die Sparenden.

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Fairr fällt es nun auf die Füße, dass sie einen sehr hohen Anteil in Aktien und ETFs gesteckt hatten. Noch 20 Jahre vor Auszahlungsbeginn sollten 100 Prozent der Kundengelder in Aktien stecken, berichtet die „Wirtschaftswoche“, überwiegend in Indexfonds. Zehn Jahre vor dem Ruhestand habe die Aktienquote noch bei rund 45 Prozent gelegen. Andere Anbieter sind da deutlich vorsichtiger und halten mehr Anleihen. Die Depots werden von der Hamburger Sutor Bank verwaltet - sie steht auch für die Beitragsgarantie gerade.

"Das Risiko war absehbar"

Das Start-up Fairr hat also bei seinen Riester-Produkten eine recht riskante Anlagestrategie gewählt und besaß vergleichsweise geringe Sicherheitspuffer über festverzinsliche Papiere. Folglich mussten alle Aktien geradezu fluchtartig abgestoßen werden. Die Anlagestrategie ist ein Grund, weshalb die Verbraucherzentrale schon vor Jahren Zweifel an dem Modell angemeldet hatte.

„Das Risiko war absehbar und sein Eintritt nur eine Frage der Zeit. Es muss sich nun zeigen, ob die Sutor Bank für die Garantie in allen Depots geradestehen kann und wird“, zitiert die Wirtschaftswoche Nils Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.

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Für die betroffenen Kundinnen und Kunden ist das doppelt bitter. Fairr muss nun ausgerechnet zu einer Zeit die Fondsanteile abstoßen, zu der die Börse eine historische Talfahrt hinlegt: Und die Papiere entsprechend unter Wert gehandelt werden. Ausverkauf zum Schleuderpreis. Von einer Erholung an der Börse können sie nun nicht mehr direkt profitieren.

Und Hoffnungszeichen gibt es bereits: Am Dienstag startete der Dax mit deutlichen Gewinnen in den Handel und baute sie im Laufe des Vormittags weiter aus. Bis 11:25 Uhr gewann er rund 6,4 Prozent und stieg auf 9300 Punkte: unter anderem, weil die US-Notenbank mit zusätzlichem billigen Geld lockt und sich in Asien erste Entspannungen in der Krise abzeichnen, wovon auch deutsche Firmen profitieren würden.

Fairr will später wieder in Aktien gehen

Zwar bestätigte Alexander Khim, Head of Pension Products bei Fairr, gegenüber der Wirtschaftswoche, dass man später wieder in Aktien einsteigen wolle, sobald Aktien weniger stark schwankten und die Kalkulierbarkeit wieder hergestellt sei. Wann das sein werde, sei aber aktuell noch unsicher. Auf der hauseigenen Webseite wird hingegen immer noch mit den Worten geworben: "Keine undurch­sichtigen Investments. Bei Fairr investierst Du in ETFs!"

Gegenüber dem Versicherungsboten teilte ein Fairr-Sprecher mit: "Für die gesetzliche Beitragsgarantie im Sinne des Kundenschutzes müssen alle Anbieter von Riesterverträgen vorgeschriebene kaufmännische und aufsichtsrechtliche Risikobetrachtungen vornehmen. Der Wert der Kundenportfolios wird deshalb permanent mit den (abgezinsten) Verpflichtungen aus den Beitragsgarantien abgeglichen. Ausgelöst durch die COVID-19-Krise kam es seit Februar 2020 zu Kursverlusten und deutlichen Schwankungen an den Finanzmärkten. Von diesen ungewöhnlichen, zum Teil nie dagewesenen Schwankungen sind Aktien und gleichzeitig Zinsen (Anleihen) betroffen.

Die Zinsen an den Anleihemärkten finden in der breiten Öffentlichkeit meist weniger Beachtung, sie sind jedoch integraler Bestandteil aller finanzmathematischer Risikoberechnungen. In der Folge konnte das Verhältnis von Kundenportfolios zu den abgezinsten Verpflichtungen aus der Beitragsgarantie im Rahmen des Risikomanagements nicht mehr verlässlich berechnet werden. Der Anlageausschuss der Sutor Bank hat aus diesem Grund zugunsten einer stabilen Risikobewertung entschieden, in Liquidität umzuschichten. Die langfristige Investmentstrategie des fairriesters bleibt davon unberührt."

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Trotz Bedenken der Verbraucherzentralen konnten sich die Altersvorsorge-Produkte von Fairr prominenter Unterstützung erfreuen. Offensiv empfohlen hatte diese das Portal "Finanztip" und dessen Chefredakteur Hermann-Josef Tenhagen. Finanztip kürte Fairriester zum "besten Fondssparplan mit staatlicher Zulage": Und Tenhagen lobte ihn unter anderem auf der Webseite des "Spiegel" (der Versicherungsbote berichtete).

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