Markus Kurth: Die OECD macht es sich hier leider zu leicht. Wir wissen, dass es schon bei der Rente mit 67 zahlreiche Problemgruppen gibt. Vielen Menschen ist es in den vergangenen Jahren nicht gelungen, mit der Anhebung der Regelaltersgrenze Schritt zu halten. Denn nach wie vor ist der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im rentennahen Alter zu niedrig. Die Zahl der MinijobberInnen über 63 Jahre und der Anteil atypisch Beschäftigter haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen, während die Zahl der in Vollzeit arbeitenden Älteren stagniert. Und Frauen kurz vor dem Rentenalter machen besonders in Ostdeutschland einen immer größeren Teil der Arbeitslosen aus. In zahlreichen Branchen und Berufsgruppen – gerade in jenen, in denen manuelle Tätigkeiten dominieren – bleibt ein Arbeiten bis 67 oft Utopie.

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Für die Akzeptanz der getroffenen Entscheidung, die Regelaltersgrenze anzuheben, ist es entscheidend, Lösungen für die vielfältigen Problemgruppen zu schaffen. Wir Grüne wollen deshalb die Teilrente attraktiver machen – unter anderem, indem wir die Abschläge für besonders belastete Beschäftigte streichen. Die Möglichkeiten auch umfangreicher Weiterbildungen für Ältere sind zu erweitern. Die Erwerbsminderungsrente wollen wir stärken. Präventionsmaßnahmen müssen zum Standard werden und gemeinsam mit der Rehabilitation einen noch größeren Beitrag zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit leisten.

Aktuell wird eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige diskutiert, weil speziell sogenannte Soloselbstständige mit kleinem Einkommen oft darauf verzichten, aber später Anspruch auf Grundsicherung haben. Wie positionieren Sie sich zu dieser Pflicht — wie könnte diese gestaltet sein?

Immer mehr alte Menschen landen im Sozialhilfesystem. Insbesondere die zahlreichen Selbstständigen, die nicht für das Alter abgesichert sind und zunehmend die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Anspruch nehmen müssen, brauchen in Zukunft einen besseren Schutz vor Altersarmut. Damit dies gelingt, ist es notwendig, diese Menschen in der Rentenversicherung zu versichern.

Mit der Einführung einer Bürgerversicherung können sie am Solidarsystem teilhaben. Ihre Rentenansprüche sind dann im Fall einer Insolvenz pfändungssicher geschützt. Die gesetzliche Rentenversicherung ist im Gegensatz zu manchen Finanzdienstleistern sicher vor Pleiten und bietet mit der Erwerbsminderungsrente Leistungen, die private Versicherungen nicht im Angebot haben. Das schließt private Vorsorge nicht aus. Die gesetzliche Rentenversicherung sollte jedoch die Basis darstellen. Die Vereinbarung im Koalitionsvertrag - eine Versicherungspflicht mit Wahloption zwischen der Rentenversicherung und anderen effektiven und insolvenzsicheren Vorsorgearten - kommt dieser Forderung immerhin nah. Es bleibt jedoch fraglich, wie verwaltungsarm überprüft werden soll, ob eine mögliche Absicherung jenseits der Rentenversicherung zu einer Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus führt.

Neben der gesetzlichen und betrieblichen Rente sollen die Menschen auch privat vorsorgen: unter anderem staatlich gefördert mit der Riester-Rente. Muss Riester reformiert oder gar abgeschafft werden? Oder funktioniert das aktuelle Modell? Über 16,56 Millionen Menschen hatten zum Ende des dritten Quartals einen Riester-Vertrag abgeschlossen. Aber das Neugeschäft stagniert, jeder fünfte Vertrag liegt nach Schätzungen des Bundesarbeitsministeriums auf Eis.

Die Riester-Rente funktioniert in der Tat nicht so, wie es bei ihrer Einführung erwartet wurde. Nur rund sieben Millionen Menschen sorgen in vollem Umfang über die geförderte private Altersvorsorge vor. Und das mit regelmäßig zu geringen Renditen und zu hohen Verwaltungskosten. Ihrer Funktion, nämlich das Absinken des Rentenniveaus flächendeckend auszugleichen, wird die Riester-Rente daher bei weitem nicht gerecht. Das Rentenniveau muss deshalb langfristig stabilisiert werden. Wir Grüne fordern außerdem einen Neustart in der privaten Vorsorge. Neben einer besseren Förderung von Geringverdienenden braucht es endlich transparentere und günstigere Möglichkeiten der Geldanlage.

Wie positionieren Sie sich zu der Idee, einen Kapitalstock bei der Deutschen Rentenversicherung aufzubauen, ähnlich dem schwedischen Staatsfonds? Dort zahlen die Bürger 2,5 Prozent ihres Gehalts in bis zu fünf Fonds ein, über 800 stehen zu Auswahl. Sie müssen Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Die Verwaltungskosten: 0,1 Prozent. Ein Modell auch für Deutschland?

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Das schwedische Modell der „Premiepension“ ist sicher nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar, da sie dort Teil der ersten, obligatorischen Säule der Alterssicherung ist. Die Grundidee eines von einer öffentlichen Einrichtung, wie zum Beispiel der Rentenversicherung, verwalteten Fonds zur Altersvorsorge unterstützen wir aber. Unser Ziel ist die Einführung eines Grünen Bürgerfonds. Die Verwaltung des Bürgerfonds über eine öffentliche Stelle kann gewährleisten, dass er als Non-Profit-Produkt ausgestaltet wird, die Verwaltungskosten minimiert werden und dass die zusätzliche Altersvorsorge an Vertrauen zurückgewinnt, das durch die vielen mangelhaften Altersvorsorgeprodukte in den letzten Jahren sehr gelitten hat. Ähnlich wie beim norwegischen Staatsfonds wollen wir sicherstellen, dass der Bürgerfonds soziale, ökologische und ethische Maßstäbe bei der Kapitalanlage transparent einbezieht.

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